Das Konzept des Urmonotheismus in den religionswissenschaftlichen Studien Mircea Eliades
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Das Konzept des Urmonotheismus in den religionswissenschaftlichen Studien Mircea Eliades
Den Hintergrund dieses Artikels bilden die Studien des rumänischen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade über den uranfänglichen Monotheismus, der während der gesamten Menschheitsgeschichte und für alle Völker charakteristisch war.
Wenn wir beginnen, Mircea Eliades religionswissenschaftliches Konzept vom Primat des Urmonotheismus zu untersuchen, so können wir gleich zu Anfang feststellen, dass das vergangene 20. Jahrhundert von einem beispiellosen Aufstieg und Fall moderner weltanschaulicher Mythen der Neuzeit geprägt war, wie dem des Reduktionismus und Evolutionismus, unter anderem auch in der Religionswissenschaft.
So erwies sich das erdachte Schema des „linearen Evolutionismus“ von H. Spencer (1820–1903), das zu Anfang des Jahrhunderts populär war und die Grundlage der Religion im Ahnenkult vermutete, ebenso als wissenschaftliche Sackgasse, wie jenes des ausgedachten „Animismus als der minimalen Definition von Religion“ bei E. Tylor (1832–1917), der die Grundlagen aller Religionen auf die urzeitlichen Vorstellungen von der Seele und geistigen Wesen zurückführte, die angeblich im Nachdenken über solche Erscheinungen wie Schlaf, Visionen, Krankheit und Tod sowie im Erleben von Trancezuständen und Halluzinationen entstanden seien.
Von A. Hawitt in Australien durchgeführte Forschungen (1830–1908) zeigten, dass die Einheimischen die Existenz höchster Götter anerkennen, obwohl sich ihre Glaubensvorstellungen laut der Theorie E. Tylors auf dem Niveau eines primitiven Animismus befinden müssten.
Sehr schwerwiegende theoretische Argumente gegen das animistische Konzept E. Tylors wurden von A. Lang, einem schottischen Schriftsteller, Dichter, Literaturkritiker und Übersetzer (1844–1912) formuliert. In seinem Werk „The Making of Religion“ stellt er zwei wichtige Fragen: 1) Welcher Natur sind Visionen und Halluzinationen, die E. Tylor zufolge die Grundlage für Vorstellungen über die Seele sein sollen? 2) Ist die Gottesidee in ihren frühesten Formen mit den uranfänglichen Vorstellungen über Geister und geistliche Wesen verbunden?
A. Lang verneinte die zweite Frage und kam zum Schluss, dass die Hauptquelle der Religion der „Glaube an das machtvolle höchste Sein, den Schöpfer aller Dinge, den Vater der Moral und den Menschenrichter“ sei. [1]
Diese Schlussfolgerung wurde vom katholischen Priester, Missionar, Ethnologen und Sprachwissenschaftler Wilhelm Schmidt (1868–1954) weiterentwickelt, der die Wiener Schule in der Ethnologie ins Leben rief. Das zwölfbändige Werk „Der Ursprung der Gottesidee“ Wilhelm Schmidts begründete das Konzept des Urmonotheismus. Seine Anschauungen hatten einen beträchtlichen Einfluss auf die Vorstellungen von Mircea Eliade (1907–1986), der sich als Religionswissenschaftler und –historiker ebenfalls mit der Stellung der höchsten Wesenheit nach urzeitlichen Vorstellungen auseinandersetzte. [2]
Mircea Eliade schrieb: „Wir halten es für nicht angemessen, bei der Beschreibung religiöser Erscheinungen vom Einfachen zum Komplexen zu induzieren. Damit meinen wir eine Darstellung, die mit den elementarsten Hierophanien beginnt (dem Mana, etwas Ungewöhnlichem, usw.), dann den Totemismus, den Fetischismus und die Anbetung der Natur oder von Geistern, von Göttern und Dämonen behandelt und uns letztlich zur monotheistischen Gottesidee bringt. Zusammen mit den einfachsten religiösen Erlebnissen und Vorstellungen begegnen wir ständig den Spuren von mehr oder weniger reichen religiösen Erlebnissen und Vorstellungen, wie z.B. dem Kult des höchsten Wesens.“ [3]
Eliade arbeitete auch eine breite Übersicht zu den modernen und urzeitlichen Religionen aus, die den Primat des Monotheismus für die gesamte Menschheit bereits zur Morgendämmerung der Geschichte bezeugt.
Bei der Entschlüsselung der religiösen Natur des Prämonotheismus hebt Eliade die natürliche Gotteserkenntnis des Urmenschen hervor. „Es ist ersichtlich, dass der Himmel die Verkörperung von Transzendenz, Macht und Heiligkeit ist. Das einfache Anschauen des Firmaments bereitet dem Verstand des Urmenschen eine religiöse Erfahrung, wobei dies nicht unbedingt die Anbetung des Himmels als eines Teils der Natur impliziert. Das Firmament ist vom hinfälligen Menschen und seiner winzigen Lebensspanne weiter als alles andere entfernt. Der Symbolismus seiner Transzendenz ergibt sich bereits allein aus dem Begreifen seiner unendlichen Höhe.“[5]
Bei der Interpretation des Überganges des archaischen Bewusstseins vom Prämonotheismus zum Polytheismus geht Eliade auf das Problem des Verhältnisses zwischen dem Geistigen und Materiellen ein; er beschreibt die Berauschung des Urmenschen - darin ganz uns heutigen Menschen ähnlich - durch ausschließlich irdische Werte und Perspektiven.
Eliade merkt an: „Einer der Hauptfaktoren für die Herabsetzung Gottes aus menschlicher Sicht ist die Tatsache, dass die Bedeutung der Lebenswerte und des Lebens als solchem in der Mentalität des praktisch orientierten Menschen immer weiter steigt. Die Menschen erinnern sich an den Himmel und an die höchste Gottheit nur, wenn ihnen direkte Gefahr vom Himmel droht, während ihre Frömmigkeit die übrige Zeit hinter den alltäglichen Bedürfnissen verschwindet und ihre religiösen Handlungen und ihre Anbetung auf die Kräfte gerichtet sind, die über diese Bedürfnisse „herrschen“ [6].
Der heutige Stand der Religionswissenschaft erlaubt es, die Phasen des Übergangs des archaischen Bewusstseins vom Prämonotheismus zum Polytheismus zurückzufolgen. Am Anfang wird das Gottesbild im Bewusstsein des Urmenschen depersonifiziert und erhält sich nur als Vorstellung einer gewissen geistlichen Macht. Um dies besser zu verstehen, ist es unumgänglich, das für die Einwohner Melanesiens charakteristische religiöse Phänomen des Mana zu betrachten. „Für die Einwohner Melanesiens ist Mana eine geheimnisvolle und aktive Kraft, an der bestimmte Individuen und gewöhnlich auch die Seelen von Verstorbenen und alle Geister Anteil haben“, sagt Mircea Eliade. Der grandiose Akt der Weltschöpfung sei ohne das Mana Gottes unmöglich gewesen; ein Stammeshäuptling müsse ebenfalls über Mana verfügen; die Engländer sollen die Maori besiegt haben, weil ihr Mana sich als das stärkere erwiesen habe. [7].
Während Gott depersonifiziert wird und in eine unpersönliche, unbestimmte Kraft, d.h. in Mana transformiert wird, nimmt die Anbetung der elementaren Naturkräfte in der Weltauffassung des Urmenschen immer mehr zu. Die Natur beginnt nach archaischer Denkweise als Mutter-Göttin, als allgemeine Gebärerin aller Lebenden angesehen zu werden. [8].
Nach Eliade „vereinheitlicht der Mensch dank ihres Kults den Kosmos. Es handelt sich um eine konkrete Verbindung zwischen verschiedenen Realitäten. Der Mond vereint sich mit der Erde und dem Regen durch eine konkrete Tatsache, d.h. durch die Vermählung von Himmel und Erde und die Befruchtung des irdischen Schoßes.“
Man braucht nicht erneut zur Betrachtung des religiösen Phänomens des Mana zurückzukehren, sondern sollte sich konkret der Frage nach seiner Unpersönlichkeit zuwenden. Mircea Eliade erklärt dazu folgendes: „Diese Kraft ist – wenn sie auch unpersönlich ist – immer an eine Person gebunden, die ihr eine Ausrichtung gibt. Kein Mensch verfügt selbst über diese Kraft: Alles, war er tut, tut er mithilfe personifizierter Wesen, Naturgeister oder Geister der Ahnen. Ein Mensch kann fleißig arbeiten und trotzdem nie reich werden, wenn er weder in der Gunst der Ahnen steht, noch ihre Mächtigkeit zu seinen Gunsten nützt.“ [9].
Hier haben wir es bereits mit einem entwickelten Polytheismus zu tun, zu dessen unabdingbaren Eigenschaften man den Animismus, Totemismus, Fetischismus und Magismus rechnen kann. Das Denken und Bewusstsein eines Polytheisten werden magisch.
In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, dass „die Magie überwiegende Bedeutung (im Vergleich zur Religion) in den höher entwickelten Gesellschaften erlangt. In einigen Lebensgemeinschaften der Inuit und Korjaken ist [nach Eliade – Anm. d. Ü.] die Magie weniger verbreitet als bei ihren Nachbarn, den Ainu und Samojeden, welche kulturell und auch in anderer Hinsicht höher entwickelt sind.“ [10]
In der vorchristlichen Welt war das jüdische Volk eine Insel im großen Meer des allgemeinen Polytheismus. „Im Verlauf der gesamten religiösen Geschichte Israels ist Jahwe der Gott des Himmels, der allmächtige Schöpfer, der absolute Herr und „Herr der Heerscharen“, die Stütze der Könige der Davidischen Dynastie, der Schöpfer aller Normen und Gesetze, die die Existenz des Lebens auf Erden ermöglichen. Der Herr ist der wahre und der einzige Herrscher des Kosmos. Er kann alles erschaffen und alles vernichten. Seine Macht ist absolut, daher ist die Freiheit seiner Taten unbeschränkt. (…) Jahwe hat wirklich einen „Bund“ mit dem Volk geschlossen, jedoch bedeutet seine oberste Herrschaft auch, dass er diesen Bund jederzeit auflösen kann. Dass er dies nicht getan hat, folgt nicht aus der Tatsache des Bundesschlusses (denn Gott kann durch nichts gebunden werden), sondern aus der Tatsache seiner unendlichen Güte.“ [11]
Eben mit der religiösen Geschichte des jüdischen Volkes verknüpft Eliade den Ausweg der heidnischen Weltanschauung aus der Sackgasse: „In diesem Kampf zwischen Baal auf der einen und Jahwe auf der anderen Seite wurden erneut himmlische Werte ins Blickfeld des Menschen gerückt, die den irdischen Werten (Geld, Fruchtbarkeit, Macht) entgegenstehen, ebenso wie qualitative Kriterien (die Vermehrung des Glaubens in sich, des Gebets und der Liebe), die quantitativen Kriterien (dem physischen Akt der Opferung, Überbedeutsamkeit von rituellen Gesten usw.) entgegengesetzt sind.“ [12]
Dabei ist es notwendig hinzuzufügen, dass der Gott der Bibel sich nicht so sehr in der Natur, als vielmehr in den Ereignissen der menschlichen Geschichte offenbart. „Die Taten Jahwes sind seine ureigenen Schritte in der Geschichte“, schreibt Eliade, „sie zeigen ihre tiefe Bedeutung dem Volk, das sich Jahwe auserwählt hatte. Das historische Ereignis erhält dabei einen neuen Klang: Es wird zur Theophanie.“ [13]
Desweiteren führt Eliade aus: „Das Christentum geht in der Bewertung der geschichtlichen Zeit noch weiter im Hinblick darauf, dass Gott Fleisch angenommen hat, und damit auch die geschichtliche Bedingtheit der menschlichen Existenz. Die Geschichte kann nun geheiligt werden. Die im Evangelium erwähnte illud tempus ist die eindeutig bestimmte geschichtliche Zeit, als Pontius Pilatus Herrscher über Judäa war, sie ist jedoch durch die Gegenwart Christi geheiligt. Das Christentum wird damit in eine Theologie der Geschichte gegossen, weil der Eingriff Gottes in die Geschichte - insbesondere die Tatsache, dass Gott als historische Persönlichkeit Jesus Christus Fleisch angenommen hat - ein „übergeschichtliches“ Ziel hat, nämlich die Rettung des Menschen“. [14]
Doch der biblische Monotheismus ist in seiner ganzen Geschichtlichkeit für das menschliche Bewusstsein nichts ursprünglich Fremdes. Im Gegenteil, er hat den intuitiven Prämonotheismus des Urmenschen belebt. Zusammenfassend kann man sagen, dass „die Religionsgeschichte letztlich als Drama des Verlustes von Werten und ihres Wiedergewinns dargestellt werden kann, wobei es in gewisser Hinsicht keinen Bruch in der Kontinuität von einem „primitiven“ Archaismus bis hin zum Christentum gab“. [15]
Die Schlussfolgerungen Mircea Eliades, dass die Urreligiosität nicht auf eine einfache Reduktion des Einfachen zum Komplizierten zurückgeführt werden kann, sowie seine Hypothese vom Prämonotheismus des Urmenschen, die er in seinen Forschungen begründet, die der Religion der Urgesellschaften gewidmeten sind und die wir versucht haben, in diesem Artikel kurz darzustellen, verdienen es, von Religionswissenschaftlern sorgfältig studiert und analysiert zu werden. Die Werke Eliades, die auf der Basis eines reichen geschichtlichen, kulturwissenschaftlichen und ethnographischen Materials erarbeitet worden sind, sind von überragendem Wert sowohl für die Religionswissenschaft, als auch für die Geisteskultur auf der ganzen Welt.
[1] Zitiert nach „Лекции по религиоведению: Учебное пособие“ / Под ред. проф. И.Н. Яблокова. — М.: Изд-во МГУ, 1997. — С. 13. („Vorlesungen zur Religionswissenschaft: Studienausgabe" / Ed. Prof. I.N.. Jablokow – Verlag der staatlichen Universität Moskau, S. 13)
[2] Mircea Eliade war ein bekannter rumänischer Philosoph, Religionswissenschaftler und Schriftsteller. Er lebte und arbeitete in Bukarest, Kalkutta, London, Lissabon, Paris und Chicago, hielt Vorlesungen in vielen Universitätsstädten Europas und stand im Kontakt mit breiten wissenschaftlichen und kulturellen Kreisen. Er starb 1986 in Chicago.
[3] Eliade М. Очерки сравнительного религиоведения. — М.: Ладомир, 1999. — С. 11, 38–39. (Eliade M. Grundzüge der vergleichenden Religionswissenschaft. Verlag Ladomir, Moskau 1999, S. 11, 38f. Titel der engl. Ausgabe: Patterns in Comparative Religion).
[4] Der sumerische Begriff Dingir für die Bezeichnung der Gottheit bezeichnete im frühesten Stadium die himmlische Epiphanie: „hell, strahlend“. Obwohl Anu sumerischer Herkunft war, galt er den Einwohnern Babels als höchster Gott. In den Hammurabi-Gesetzen wurde er als „König Anunnaki“ angesprochen. Djaus (sanskr. Duaus = „Himmel“) ist ein allgemeines Wort zur Bezeichnung des höchsten Gottes bei allen arischen Volksstämmen. In den Veden ist die Anrede an den „Vater Himmel“, an den „allwissenden Himmel“ auf uns gekommen. Uralte chinesische Texten benennen Gott mit zwei Namen: Tjan’ („Himmel“ und „Himmelsgott“) und Schan-Di („Herrscher-Höhe“; „Herrscher in den Höhen“). Der Himmel überwacht die kosmische Ordnung, erweist sich als allwissende und rechtsschöpferische Macht. Der Glaube an das höchste himmlische Wesen findet sich bei den archaischsten unter den heutigen primitiven Gesellschaften (bei den Pygmäen, Australiern, Feuerländern, usw.). Siehe Eliade М., Grundzüge der vergleichenden Religionswissenschaft. Russische Ausgabe, S. 64f., 71–75.
[5] Eliade М., Grundzüge der vergleichenden Religionswissenschaft, Russische Ausgabe, S. 50.
[6] Ibid., S. 130, 60.
[7] Ibid., S. 34.
[8] Eliade М., Азиатская алхимия. — М.: Янус–К, 1998., С. 280. (Asiatische Allchemie. Janus-K Verlag, Moskau 1998, S. 280).
[9] Eliade М., Grundzüge der vergleichenden Religionswissenschaft. Russische Ausgabe, S. 36.
[10] Ibid., S. 37.
[11] Eliade М., Grundzüge der vergleichenden Religionswissenschaft. Russische Ausgabe, S. 99–100.
[12] Ibid., S. 112.
[13] Мирча Элиаде, Священное и мирское. — М.: Изд-во МГУ, 1994, С. 73. (Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane , Verlag der staatlichen Universität Moskau, S. 13)
[14] Ibid., S. 73
[15] Eliade М., Grundzüge der vergleichenden Religionswissenschaft. Russische Ausgabe, S. 419–420.
Gorokhov, Varlaam, Priestermönch