Predigt zum 26. Herrentag nach Pfingsten (Eph. 5:8-19; Lk. 10:25-37) (25.11.2018)
"Hab acht, mein Volk, auf mein Gesetz, neigt euer Ohr zu den Worten meines Mundes.
Öffnen will ich meinen Mund in Gleichnissen, sprechen über die Rätsel des Anfangs."
(Ps. 77:1-2)
Liebe Brüder und Schwestern,
erneut sehen wir uns heute einem Gleichnis gegenüber, das mit allen anderen Gelichnissen des Herrn die Prophezeiung aus dem Buch der Psalmen (s.o.) erfüllt. Gleichnisse eignen sich einfach vorzüglich, um in irdischer Sprache die "Rätsel des Anfangs" zu entschlüsseln. Dabei geht es immer um die Frage aller Fragen - die Erlangung des Seelenheils. Zu diesem Zweck erschien der Herr in der Welt, verkündete Sein "Gesetz", damit das Volk sein Ohr zu den Worten Seines Mundes neige. Auf die Frage des Gesetzeslehrers, der - ob nun in böser oder neutraler Absicht - den Herrn "prüfen" wollte, gibt uns der Herr zu verstehen, dass das ewige Leben nur durch Gottes- und Nächstenliebe zu erlangen sei. Darauf erwidert der Fragesteller die Antwort des Herrn mit der nächsten Frage: "Und wer ist mein Nächster?" (Lk. 10:29). Um seine Frage zu rechtfertigen, versucht er als angesehener Gesetzeslehrer zwischen den Zeilen zu sagen: "Die Antwort als solche kennen wir als gesetzestreue Juden. Aber wer ist mit meinem ´Nächsten` eigentlich gemeint? Der fromme Stammesgenosse - selbstverständlich; aber auch der Fremde, der Ungläubige, der Feind?!" - Und würde der Herr dies bejahen, hätte man wieder einmal ein kompromittierendes Pfund gegen Ihn in der Hand - soviel zur ursprünglichen Absicht des Fragestellers. Und so antwortet der Herr nicht direkt, sondern in Form eines Gleichnisses, in dem ausgedrückt wird, dass jeder Hilfsbedürftige - ungeachtet seiner religiösen, ethnischen, sozialen etc. Zugehörigkeit - mein Nächster ist.
Das Gesetz rechtfertigt eindeutig die Aussage Christi: sowohl die Liebe zu den Stammesgenossen (s. Lev. 19:16-18), als auch die Liebe zu den Fremden ist im Gesetz verankert (s. Lev. 19:34). Punkt! Aber das "Gewohnheitsrecht" spricht eine andere Sprache. Feinde sind als Hassobjekte, an denen man seine negativsten Emotionen ablassen kann, geradezu unabkömmlich. Oder?
Wenn wir die heute vernommenen Worte des Herrn analysieren, kommen wir zu der zusammenfassenden Erkenntnis, dass es kein Heil, kein ewiges Leben gibt, wenn man diese bösartigen Kräfte in seinem Innersten nicht überwindet. Im Neuen Testament heißt es dazu weiterführend: "Jeder, der die Gerechtigkeit nicht tut und seinen Bruder nicht liebt, ist nicht aus Gott" (1 Joh. 3:10b).
Was aber versetzt mich in die Lage, das Böse in meinem Herzen auszumerzen? Natürlich ist es leicht, so zu tun, als liebe man alle Menschen, indem man immer freundlich lächelt, ein paar Almosen zur Beruhigung des Gewissens gibt und zu offiziellen Anlässen salbungsvolle Worte von Bruderliebe von sich gibt. Aber nicht das erwartet der Herr von uns (s. 1 Joh. 3:18). Er erwartet, dass wir alles einsetzen, was wir haben, um das ewige Leben zu erlangen (s. Mt. 13:44-46).
Es versteht sich von selbst, dass sich die Liebe zu Gott dadurch äußert, dass man Seine Gebote bewahrt (s. 1 Joh. 2:4; 3:24; 2 Joh. 6). Aber wer kann von sich behaupten, dass er die Gebote Gottes uneingeschränkt befolgt? - Mein Egoismus, meine Trägheit, das Aufwühlen meines Verstandes und des Herzens - all das macht mich zu zum Gespött der Dämonen, auch wenn ich manchmal nach außen hin die Contenance zu wahren imstande bin. Ich allein bin gegen das Böse vollkommen machtlos. Wie glücklich darf ich mich da schätzen, dass mir die Möglichkeit gegeben ist, durch das Blut Christi von meinen unzähligen Sünden gereinigt zu werden, um dadurch wieder im Licht zu sein und die Gemeinschaft miteinander, also mit dem Herrn und meinen Mitbrüdern, zu haben (s. 1 Joh. 1:7)! Ist das nicht der Weg zur Erfüllung des Doppelgebots?!..
Andere, außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft Befindliche, meinen, ihnen seien die Sünden bereits vergeben, wenn sie nur an Jesus Christus glaubten. Nach dem Motto: "Ich glaube an Jesus als meinen Erlöser, und schon sind mir alle Sünden von vornherein vergeben!" hoffen sie auf Rechtfertigung sola fide. - Aber können Sünden im voraus vergeben werden? - Wenn ich mich versündigt habe, kann ich, klar, um Vergebung bitten, aber kann ich diese Vergebung a priori auch für noch nicht begangene Vergehen erwarten? Ist das nicht absurd?! Und kommt das (im Endeffekt) nicht eben demselben abendländischen Ablasshandel gleich, der ja ein Motivationsgrund der Reformationsbewegung gewesen war? Denn ob ein Mönch zu Luthers Zeiten seine Goldmünze vor oder nach dem Besuch bei der Dirne in den Geldbeutel der Kirche warf, spielte nach der hier zugrundeliegenden Logik ja im Prinzip keine Rolle. Und wenn der Sündenerlass auf die eine oder andere Weise so leicht zu bekommen ist, wozu sich überhaupt noch mit der Sünde auseinandersetzen?.. Der Teufel ist aber auch schlau...
Und da kommen nun die Orthodoxen ins Spiel, die was von Selbstverleugnung und vom Tragen des Kreuzes als Voraussetzung für die Nachfolge Christi faseln. Sie beweinen täglich ihre Sünden und beichten regelmäßig in der Kirche. Ja, eine Garantie oder einen Rechtsanspruch für das Seelenheil hat keiner. Aber ich kann alles tun, um mich durch die immer weiter vertiefende Einsicht meiner eigenen Sündhaftigkeit schlechter als alle anderen zu sehen, als verdammten Sünder, den einzig und allein die unermesslich Liebe Gottes retten kann. Als Dank für diese vollkommen unverdiente Gnade will ich mich dann auch "von Gott retten lassen" im Mysterium der Heiligen Eucharistie. Jetzt Gott nicht zu lieben ist wahrlich unmöglich! Und ohne dass ich es merke, habe ich vermittels der Gnade des Herrn einen großen Schritt zur Erfüllung des höchsten Gebotes von der Liebe zu Gott und zum Mitmenschen getan. Gott sei Dank! Amen.