Predigt zum 2. Herrentag nach Pfingsten / Festtag aller Heiligen des Russischen und des Deutschen Landes (Röm. 2: 10-16; Mt. 4: 18-23) (10.06.2018)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute feiert die Russische Kirche das Gedächtnis ihrer Heiligen, während unsere deutschsprachige Gemeinde das Gedächtnis aller Heiligen des Deutschen Landes begeht. Wie schon zuvor anlässlich des Festtages aller Heiligen steht für uns das Heiligsein im Mittelpunkt der Betrachtung. So wollen wir nach Heiligung streben, "ohne die keiner den Herrn sehen wird" (Hebr. 12:14). Das Nacheifern all denen, die Christus nachgeeifert haben, ist zwar Motivation der Heiligenverehrung, das Ziel aber ist und bleibt Christus (s. Hebr. 12:1-3).
Wir wissen: der Mensch ist nach dem Abbild Gottes und zu Seiner Ähnlichkeit geschaffen. Ersteres ist gegeben, ob der Mensch es will oder nicht, ob er es anerkennt oder nicht. Er ist Mensch und kein Affe! Seine Berufung ist die Gottähnlichkeit, nicht das Pflücken von Bananen. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn nimmt der Vater die Reue des einsichtsvollen Rückkehrers an, der sich selbst nicht mehr für würdig erachtet, Sohn zu sein (s. Lk. 15:19). Er ist und bleibt sein geliebtes Kind, kein Knecht! Und so wird er als Folge seiner (inneren) Umkehr in allen Ehren wieder als Sohn etabliert (s. Lk. 15:22-14).
Es stellt sich allerdings die grundsätzliche Frage: wie kann der Mensch Gott ähnlich sein? Ist das nicht anmaßend? Und wie soll das überhaupt gehen, da Gott ein reines Geistwesen ist, unerreichbar, unfassbar, allgegenwärtig, anfanglos und ewig, während der Mensch in seiner Begrenztheit vollkommen den Gesetzen der geschaffenen Welt aus Raum, Zeit und Materie unterliegt?
Der Mensch besteht in der Tat aus Fleisch und Blut, aber er trägt auch das göttliche Prinzip, die Ebenbildlichkeit Gottes, in sich. Ein Globus ist auch kein Spielball und keine Wassermelone, sondern ein Abbild der Erdkugel. Nicht perfekt, aber als solches erkennbar. Und der Mensch hat einen ganz konkreten Etalon, nach dem er sich richten kann: den Gottmenschen Jesus Christus! Er ist der Beweis dafür, dass Gott in menschlicher Gestalt abgebildet werden kann.
Unsere zahlreichen Heiligen haben so gelebt, dass Christus in ihnen abgebildet wurde. Aber selbst sie nachzuahmen fällt uns schwer: wer von uns kann 1000 Tage und Nächte auf einem Felsblock knien oder 46 Jahre in der Wüste unter unvorstellbaren Bedingungen zubringen? Aber darum geht es auch gar nicht.
Wenn wir Gott "ähnlich" sein wollen, dann sollten wir erkennen warum. Wir wissen ja, dass Gottes Macht unvorstellbar, Seine Herrlichkeit unbegreiflich, Seine Barmherzigkeit unermesslich und Seine Menschenliebe unaussprechlich ist (s. Mystisches Gebet zur 1. Antiphon der Göttlichen Liturgie). Wenn aber Gottes Menschenliebe wirklich unendlich ist, wozu dann all das Leid in der Welt?! - Gegner des Glaubens werfen uns oftmals vor, wir redeten uns einfach dadurch heraus, dass "Gottes Wege unergründlich" seien. Das sind sie auch. Aber wenn Gottes Größe und Macht, Seine Weisheit und Gerechtigkeit, Seine Milde und Barmherzigkeit in ihrer Ganzheit für den Menschen unfassbar bleiben, so sind sie doch in einem für den Menschen zugänglichen Maß begreifbar. Und da setzt unser Bestreben an, Gott "ähnlich" sein zu wollen.
Man kann ganze Bände über Gottes Ratschlüsse verfassen. Oder ein kurzes Zitat aus dem Evangelium nehmen: "Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben" (Lk. 12:32). Wenn Gott also beschlossen hat, uns Sein Reich zu geben, was können wir daraus schließen? - Dass das Reich Gottes in seiner Wonne und Herrlichkeit mit nichts in dieser Welt vergleichbar ist. Und wenn Gott beschlossen hat, es uns zu geben, also nicht aufzuzwingen, sollen wir bereit sein, es aus freien Stücken anzunehmen. Das geht aber nur im Hier und Jetzt. Wir haben unseren Verstand, unser Herz und unseren freien Willen (das Abbild des dreieinigen Gottes). Aber da gibt es noch den, der von dieser Herrlichkeit im Reich Gottes abgefallen ist und nun mit allen Mitteln verhindern möchte, dass andere diese Herrlichkeit an seiner Statt erlangen. Gott könnte ihn einfach weghauchen, aber stattdessen hat Er uns mit göttlichen Gnadengaben ausgestattet, damit wir allen Fallstricken und Verlockungen des Bösen durch den verantwortungsvollen Gebrauch der vorgenannten menschlichen Begabungen widerstehen. Und wenn wir diesen Weg unbeirrt bestreiten, wird Er uns immer dabei helfen und vor Unheil beschirmen. Nur hören wir leider allzu oft nicht auf Gottes mahnendes Wort, sondern wollen es uns auf ungebührliche Weise in unserem irdischen Wartezimmer gut gehen lassen. Damit verschmähen wir Gottes Liebe. Gott könnte Sich in den Schmollwinkel verziehen und uns unserem selbstgewählten Schicksal überlassen ("Ach, dann seht doch selbst, wie ihr ohne Mich klarkommen wollt!"). Er tut es aber nicht. Er respektiert unseren Willen, "hilft" aber bei der Entscheidungsfindung. Und wenn Er es mit Härte tut, dann sollten wir das richtig einzuordnen wissen (s. Offb. 3:19). Der Preis - das Himmelreich - ist so unermesslich hoch, dass es sich allemal lohnt, jedes Ungemach dieser Welt zu ertragen, um nur nicht von der Gemeinschaft Christi abzufallen. Also ist Gottes Vorgehen zwar in der ganzen Tiefe seiner Weisheit unfassbar und unerklärlich, in Ansätzen jedoch für uns Erdgborene trotzdem fassbar und erklärlich. Und so wollen wir aus der Sicht des Glaubens alle Ereignisse unserer nationalen Geschichte und unserer persönlichen Erlebniswelt bewerten und Gott für alles dankbar sein. Denn in der Aneignung dieses sehr schlichten Erkenntnisreichtums für all unser Denken und Tun können wir tatsächlich unseren nationalen Vorbildern im Glauben nacheifern (s. Hebr. 13:7-8) und so einen unfehlbaren Kompass zur Erlangung der Seligkeit im Reich Gottes unser Eigen nennen. Amen.