Predigt zum Großen Donnerstag (09.04.2015) (1 Kor 11, 23-32; Mt 26, 1-20. Joh 13, 3-17. Mt 26, 21-39. Lk 22, 43-45. Mt 26, 40 - 27, 2)
Liebe Brüder und Schwestern,
das Datum, an dem unser Herr Jesus Christus mit Seinen Jüngern das Mystische Abendmahl gefeiert hat, war entsprechend dem jüdischen Mondkalender der 14. Nissan – der Tag des alltestamentlichen Paschafestes (s. Mt. 26: 17-19; Mk. 14: 12-16; Lk. 22: 7-13, 15). Nicht von ungefähr gründet der Herr an diesem Tag Seinen Neuen Bund (s. Mt. 26: 28; Mk. 14: 24; Lk. 22: 20; 1. Kor. 11: 25), denn nun wird in Seinem Leib und Seinem Blut das Neue Pascha eingenommen. Er ist das wahre Paschalamm, das nach den Worten des Propheten Jesaia zur Schlachtbank geführt wird (s. Kap. 53), „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh. 1: 29).
Am Tag des alten Paschafestes wurde also das Neue Pascha gegründet – das Mysterium des Leibes und des Blutes Christi, die Heilige Eucharistie, die der hl. Johannes von Kronstadt als „größtes Wunder der Welt“ und als „Himmel auf Erden“ bezeichnet. Nannte man das Paschafest im Alten Bund auch den Tag der Ungesäuerten Brote (s. Mt. 26: 17), griech. azyma, so macht der Herr hier eine Zäsur und verwendet nun, entgegen der Anordnung des Alten Bundes, gesäuertes Brot, griech. artos, als Sinnbild der Neuheit Seines Bundes. Auch wenn schon zuvor in Gottes Bund mit Noah Blut im Fleisch nicht statthaft (s. Gen. 9: 4) und der Genuss des Blutes von Opfertieren für die Juden im Alten Testament strengstens verboten war (s. Lev. 3: 17; 7: 26-27; 17: 12-13; Dtn. 12: 16, 23; 15: 23), wurde es im levitischen Gottesdienst doch als Sühnemittel verwendet. Nun ist das Blut des „Lamms“ aber Bestandteil unserer Errettung. Das erklärt sich aus eben demselben mosaischen Gesetz, wo es nämlich heißt: „Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen einen solchen werde Ich Mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen. Die Lebenskraft des Fleisches sitzt nämlich im Blut. Dieses Blut habe Ich euch gegeben, damit ihr vor dem Altar für euer Leben die Sühne vollzieht; denn das Blut ist es, das für ein Leben sühnt“ (Lev. 17: 10-11). Weiter heißt es da explizit: „Denn das Leben aller Wesen aus Fleisch ist das Blut, das darin ist. Ich habe zu den Israeliten gesagt: Das Blut irgendeines Wesens aus Fleich dürft ihr nicht genießen, denn das Leben aller Wesen aus Fleisch ist ihr Blut. Jeder, der es genießt, soll ausgemerzt werden“ (Lev. 17: 14).
Niemand durfte das Blut irgendeines Wesen aus Fleisch genießen, um nicht die Lebenskraft eines Tieres in sich aufzunehmen, d.h. als Abbild Gottes eins mit dem Tier zu werden. Doch nun hat jeder die Möglichkeit, das vergöttlichende Blut im Leibe des Gottmenschen zu trinken! Er schenkt uns das göttliche Leben in Seinem Blut! Und wir? - Wie damals umringen wir zu Massen den Herrn, wenn wir von Ihm Hilfe, Trost oder Schutz erwarten. Aber wenn Er Sich nach unserer Antwort auf Seine Opferbereitschaft sehnt, lassen wir Ihn allein. Wo waren die Massen, die den Herrn noch während Seiner irdischen Mission buchstäblich erdrückt hatten, als Er verkauft, verraten und ans Kreuz geschlagen wurde? Wo sind heute die Millionen getaufter Kinder und Erwachsener, die in der Stunde der Wahrheit nicht mit dem Herrn sein wollen?
Aber was können wir für Ihn tun? - Nun, Sein sehnsüchtigster Wunsch ist doch unsere Errettung, deshalb ist die Einnahme des Leibes und des Blutes des Herrn zur Vergebung der Sünden (s. Mt. 26: 27) die beste Art, sich Ihm dankbar zu erweisen. Das ist der Sinn und Zweck der Eucharistie (griech. = Danksagung).
Allerdings unterscheidet sich unsere aktuelle Eucharistiepraxis von jener der ersten Christen. Dort war das „Brechen des Brotes“ (s. Lk. 24: 35; Apg. 2: 42; 20: 7) Mittelpunkt des Lebens, bei uns ist es zu einer Pflichtübung, bestenfalls zu einer Oase in der Wüstenei des Alltags geworden. Gewiss, wir bereiten uns heute durch Beten, Fasten und Beichten zum Empfang der Heiligen Gaben vor, um daraus, gewissermaßen, geistliche Energie für das alltägliche Leben zu schöpfen. Aber die Eucharistie soll doch der Vorgeschmack des Himmels sein, die Vorbereitung zum ewigen Leben. Statt am Tag nach der Kommunion wieder in den üblichen Trott des Müßiggangs abzugleiten, sollten wir die in der Heiligen Eucharistie empfangene Gnade in uns tragen und nach Möglichkeit sogar anderen mitteilen. Oft fühlen wir uns aber nicht vorbereitet, „unwürdig“, oder haben keine Zeit und Lust, um am Mahl des Herrn teilzunehmen (s. Mt. 22: 1-10; Lk. 14: 15-24)! Aber nicht der Alltag mit seiner weltlichen Denkweise soll uns diktieren, unter welchen Bedingungen wir am Abendmahl teilnehmen können, sondern umgekehrt – das Leben in Christo soll über unser irdisches Dasein herrschen. Dann wird die Eucharistie zur wahren Danksagung, dann werden wir nicht kraft unserer menschlichen Natur, sondern durch die Gnade des Heiligen Geistes mit allen Brüdern und Schwestern in Christo das höchste Gebot des Herrn befolgen, denn „Ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer“ (Mk. 12: 33). Auch weit mehr als alle sonstigen irdischen Werke. Unser ganzes Fühlen (Herz), Denken (Verstand) und Tun (Kraft), sämtliche zwischenmenschliche Beziehungen (Nächstenliebe) sollen aus dieser eucharistischen Grundeinstellung gestaltet werden, so dass für die Sünde gar kein Platz bleibt... So wird die „Herrlichkeit des Herrn“ (2. Kor. 3: 18) schon in dieser Welt ein immerwährendes Ereignis sein, bis wir das Reich Gottes in vollendeter Gestalt empfangen können (s. Mt. 26: 29; Mk. 14: 25; vgl. 1. Kor. 13: 12). Heute aber ist für uns der Tag der Danksagung:
„Womit kann ich dem Herrn vergelten alles, was Er mir Gutes getan?
- Den Kelch des Heiles will ich nehmen und den Namen des Herrn anrufen“
(Ps. 115: 3-4). Amen.