Predigt zum Großen Mittwoch (08.04.2015) (Mt 26, 6-16)
Liebe Brüder und Schwestern,
jedes Jahr gedenken wir am Mittwoch der Karwoche des Verrates unseres Herrn durch Judas Iskariot. Dessen Gang zu den Hohenpriestern ging die Salbung des Hauptes unseres Herrn mit wertvollem und wohlriechendem Öl durch eine Frau im Hause Simons des Aussätzigen in Betanien voraus. Obwohl es sich hierbei eher um eine Randepisode der Heilsgeschichte handelt, wird unser Herz jedes Jahr von Rührung ergriffen, wenn wir während der Evangeliumslesung die Worte des Herrn über diese unbekannte Frau vernehmen: „Amen, Ich sage euch: Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie für Mich getan hat“ (Mt. 26: 13).
Letztlich war das der Ausgangspunkt für den Verrat, hatte Judas doch eine „bessere“ Verwendung (s. Joh. 12: 4-5) für das kostbare Nardenöl im Sinn. „Darauf ging einer der Zwölf namens Judas Iskariot zu den Hohenpriestern und sagte: ´Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere?` Und sie zahlten ihm dreißig Silberstücke. Von da an suchte er nach einer Gelegenheit, Ihn auszuliefern“ (Mt. 26: 14-16). An anderen Stellen ist konkret davon die Rede, dass der Satan von Judas Besitz ergriffen hatte (s. Lk. 22: 3; Joh. 13: 27). War Judas also nur ein willenloses Werkzeug, durch das sich das ohnehin vorgezeichnete Schicksal erfüllen sollte (s. Mt. 26: 24)? Oder haben die Recht, welche behaupten, Judas habe den Verrat in der hehren Absicht begangen, den Messias zur Offenbarung Seiner Macht zu bewegen? Fakt ist: in der Heiligen Schrift lässt sich kein Hinweis auf ein „ehrenwertes“ Motiv erkennen (s. Joh. 12: 6). Wie dem auch sei, Judas hatte auch danach noch die Möglichkeit zur Umkehr, doch stattdessen nahm er sich in seiner Verzweiflung das Leben. Er hatte wohl, anders als Petrus, den Glauben an Christus als den Sohn Gottes und an Dessen unendliche Liebe verloren.
Viele von uns können die verzweifelte Situation des Judas vielleicht nachvollziehen. Jeder Mensch hört wohl in solchen schicksalhaften Momenten zwei innere Stimmen: die eine, laut und penetrant: „Keiner versteht mich, alle sind gegen mich, niemand hilft mir, Gott hat mich verlassen!“ Die andere, leise aber einfühlsam: „Mein Glaube muss stärker sein, ich darf nicht aufgeben, Gott hält immer eine Lösung bereit; nur wer bis zuletzt standhaft bleibt, wird gerettet werden“. So kann es auch bei Judas gewesen sein. Er hörte jedoch auf die Stimme, die uns in unseren Augen zum unschuldigen Opfer der äußeren Unstände dastehen lässt, von Feinden bedrängt, von Freunden verlassen, von Gott vergessen. Es ist die aufdringliche Stimme der dämonischen Eigenliebe, die plötzlich verstummt, wenn andere Leid erdulden müssen. Sie empfindet auch kein Mitleid mit dem Herrn, Der an diesem Tag, von Seinen Getreuen verlassen, unschuldiges Opfer eines schändlichen Verrats wurde.
Obwohl wir halbherzige Christen täglich beten: „Vergib uns unsere Schuld“, sehen wir uns nicht wirklich als Schuldner vor Gott! Im Gegenteil, wir erwarten von Gott, dass Er unseren Willen erfüllt, obgleich wir ebenfalls täglich sagen: „Dein Wille geschehe“. Und wenn Gott uns (aus unserer Perspektive) etwas „schuldig bleibt“, wenden wir uns enttäuscht ab, verzweifeln, bemitleiden uns selbst. Darin sind wir „weltklasse“. Warum aber nur darin?..
Die Heilige Schrift gibt uns unzählige Beispiele dafür, dass sich Gottvertrauen und Geduld immer auszahlen. Sie lehrt uns, die Erfüllung von Gottes Willen in allen Dingen, vor allem aber in Bezug auf uns selbst, anzustreben. Die Heiligenviten erzählen uns im Grunde nichts anderes, als das. Nur wer danach lebt, denkt, fühlt und handelt, der liebt Gott wirklich mit all seinem Verstand, mit all seinem Herzen und mit all seiner Kraft. Er zeigt so, dass er nach menschlichem Ermessen würdig ist, dass Christus für ihn gestorben ist. Wer so lebt, hat begriffen, dass Gold erst durch Feuer gereinigt werden muss (s. 1. Petr. 1: 7), dass Gott Sein geliebtes Geschöpf nur auf dem Weg der Prüfungen zur Vergöttlichung führen kann. Der Mensch kann Gott dazu seine Zustimmung erteilen – und erklimmt die Himmelsleiter; er kann sie Ihm aber auch verweigern – und wird Opfer seines Selbstmitleids.
Mit dem mittleren Tag der Passionswoche tritt das Erlösungswerk Christi in seine letzte und entscheidende Phase, weshalb wir im ehrfürchtigen Gedenken an diesen Tag das ganze Jahr über an Mittwochen fasten. Ab dem heutigen Tag wird deutlich: das Schlachtfeld für alle Krieger Christi ist das eigene Herz. Nun gibt es keine Grauzonen mehr. Nur noch „entweder“, „oder“! - Wir können mit den elf Jüngern durch das Abendmahl Christi geheiligt werden, oder wie der Verräter zum Gericht und zur Verdammnis daran teilnehmen; wir können wie Petrus zum Herrn zurückkehren, oder wie Judas verzweifeln und zugrunde gehen; wir können wie der Räuber zur Rechten Christus als unseren Herrn bekennen und mit Ihm ins Paradies einziehen, oder wie der Räuber zur Linken dem Herrn die Schuld für unser selbstverschuldetes Leid geben; wir können wie Johannes und die Myronträgerinnen Christus und Seiner Mutter im Moment der Erniedrigung die Treue halten, oder wie die Volksmenge die Befreiung des Mörders fordern; wir können schließlich wie die Jünger an die Auferstehung des Herrn glauben, oder wie die Hohenpriester und Schriftgelehrten unsere Herzen vor dieser Tatsache verschließen. Entweder, oder! Tertium non datur.
Der heutige Tag markiert den Beginn der heilsbringenden Leiden des Herrn. Aber Christus wird auch als „der Erste der Entschlafenen“ von den Toten auferweckt werden (s. 1. Kor. 15: 20). Ehrfürchtig betrachten wir diese Leiden jedes Jahr und dürfen uns unendlich geehrt fühlen, wenn wir in diesem irdischen Leben auf die eine oder andere Weise an ihnen teilhaben dürfen.
Ehre sei Gott für alles! Amen.