Predigt zum Herrentag des verlorenen Sohnes (1. Kor. 6: 12-20; Lk. 15: 11-32) (16.02.2014)
Liebe Brüder und Schwestern,
im heute gelesenen Gleichnis wird, gewissermaßen, in Kurzform die Frohe Botschaft von der Bekehrung des Menschen und von seiner Versöhnung mit Gott dargestellt, was ja auch das zentrale Thema der großen Fastenzeit ist. Gott erwartet nicht weniger als einen Sinneswandel von uns, wie er sich im Inneren des verlorenen Sohnes vollzogen hatte, so dass auch wir die notwendigen Lehren für unsere Umkehr ziehen, als da wären:
1. Der in einem fremden Land fernab der Heimat große Not leidende Sohn „ging in sich“ und sagte: „Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Mach mich zu einem deiner Tagelöhner“ (Lk. 15: 18-19).
Was aus meiner Sicht besondere Erwähnung finden sollte, ist die Tatsache, dass der junge Mann seine Schuld vor Gott und dem Menschen einsieht und in der Konsequenz seinen Vater als erstes um Vergebung bittet. Er hatte zuvor ja das ABC der Heilsbotschaft missachtet (s.Mt. 22: 38-40; Mk. 12: 30-33 und Lk. 10: 27). Warum ist das jedoch so bemerkenswert und wegweisend für uns? - Na, weil wir es uns in unserer alltäglichen, ach so frommen Praxis sehr oft zu einfach machen. Wir beichten zwar beinahe jede Woche vor Gott, dass wir Bruder X. oder Schwester Y. unrecht getan haben, erhalten dafür vom Priester die Absolution zur Beruhigung unseres Gewissens, aber Bruder X. bzw. Schwester Y. bitten wir nicht um Verzeihung. Ist ja auch viel einfacher so! Gott kann man ja tausendmal am Tag um Vergebung bitten, bei Mitbruder/Mitschwester ist das aber viel schwieriger und unangenehmer.
2. Weiter heißt es über den verlorenen Sohn: „Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn“ (15: 20).
Wenn der Mensch sich seiner Verfehlungen gegenüber Gott bewusst wird, kann er zu jeder Zeit zurückkehren. Als er sich zuvor entschlossen hatte, „in das ferne Land“ zu gehen und nicht auf das Ableben des Vaters zu warten, hinderte ihn dieser nicht daran. Auch wenn es ihn unendlich schmerzte, gab ihm der Vater das, was er wollte, obgleich dem Sohn das Erbteil von Rechts wegen erst nach dem Tode des Vaters zustand. So respektierte der Vater den freien Willen des Sohnes. Im Russischen gibt es hierfür ein treffendes Sprichwort: “Насильно мил не будешь”, was sinngemäß der deutschen Redensart entspricht: „Man kann niemandem zum Glück zwingen“. Auch Gott kann bzw. will es nicht. In so manch einem Kinderzimmer hängt ein Bild, das Christus zeigt, wie Er an die Tür eines Hauses klopft (s. Offb. 3: 20). Wer genau hinschaut, wird merken, dass die Tür von außen keinen Griff oder Henkel hat. Die Tür ist also nur von innen zu öffnen...
Nun ist der Sinneswandel da. Als der Sohn noch weit weg ist, „läuft ihm der Vater entgegen“. Statt irgendwelcher Vorhaltungen oder ironischer Bemerkungen an die Adresse des Sohnes, bezeugt ihm der Vater seine Liebe, die ja nie erloschen war. Vorher, bis zur Rückkehr, hatte sich diese väterliche Liebe noch durch Schmerz und Leid ausgedrückt, jetzt aber findet sie durch die unbeschreibliche Freude der Wiedervereinigung ihren Ausdruck.
3. Der Sohn zeigt seine Bußfertigkeit dadurch, dass er keine Ansprüche stellt. Mit seiner beabsichtigten Bitte um Vergebung erwartet er nur ein Mindestmaß an Milde und Zuvorkommen, mehr hat er nicht verdient: „Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Mach mich zu einem deiner Tagelöhner“ (15: 19).
Wie reagiert aber der Vater? Er akzeptiert zwar die Reue und das Eingeständnis der Unwürdigkeit des Sohnes: „Vater ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein“ (15: 21), aber eine Herabstufung zum Tagelöhner kommt für ihn gar nicht in Frage: „Du bist mein geliebter Sohn, basta!“ Er lässt den Sohn die zweite Hälfte von dem, was er noch im Lande der Schweinezüchter (ein Symbol der Gesetzlosigkeit) als Entschuldigung vorbereitet hatte, gar nicht aussprechen, unterbricht ihn, umarmt, küsst ihn und lässt ein riesiges Fest zu seinen Ehren veranstalten. Gott ehrt Sein Ebenbild, auch wenn sich dieses Bildnis selbst seiner potentiellen Ähnlichkeit zu Gott nicht mehr gewahr ist. Vater bleibt Vater, Sohn bleibt Sohn. Und wir bleiben als Kinder des Himmlischen Vaters Brüder und Schwestern, komme was wolle! „Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat. Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es“ (1. Joh. 3: 1).
4. Wir kennen auch die Reaktion des älteren Sohnes: „So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir hast du aber nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte“ (15: 29), will sagen: „Warum wird der, der die Gebote gebrochen hat, besser behandelt als der, der sich immer an die Gebote hält?!“
Gott entgegnet allen, die an Seiner Gerechtigkeit zweifeln: „Darf ich mit dem, was Mir gehört, nicht tun, was Ich will? Oder bist du neidisch, weil Ich (zu anderen) gütig bin?“ (Mt. 20: 15). Um den Sünder zur Umkehr zu bewegen, stellt Gott nicht nur die bei Menschen gültigen Regeln und Konventionen auf den Kopf – zahlt dem zur elften Stunde gekommenen den gleichen Lohn, wie dem, der den ganzen Tag geschuftet hat, - sondern weit, weit mehr noch:Er lässt Seine eigene Prophezeiung unerfüllt, als Er sieht, dass die Leute von Ninive in Sack und Asche Buße tun (s. Jona 3: 10); Er lässt auch die reumütige Ehebrecherin, die die göttlichen Gebote missachtet hatte und gemäß denen sie sterben musste, in Frieden ziehen, indem Er zu ihr spricht: „Auch Ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“ (Joh. 8: 11).
Für das Heil des Menschen ändert Gott sogar Seine eigenen, von Ihm Selbst zuvor aufgestellten „Spielregeln“, denn: „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ (Jak. 2: 13). Um aber in den „Genuss“ dieser unendlichen Liebe Gottes zu kommen, muss ich mich selbst als größten Sünder von allen betrachten.
5. Wenn wir die aus menschlicher Sicht vermeintlich wahrheitsgemäßen Worte des älteren Sohnes unter der Lupe betrachten, dann merken wir anhand von winzigen, aber entlarvenden Nuancen, wie der Verfall der Liebe auch unweigerlich ein Abweichen von der Wahrheit nach sich zieht. Er wirft nämlich seinem Vater vor: „Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet“ (Lk. 15: 30).
Fällt Ihnen nichts auf? - „Der hier, dein Sohn“ - ist er nicht auch mein Bruder?! Und wessen Vermögen hat er verprasst: das des Vaters, oder sein eigenes?! - Klar, er hat sich vieles zu Schulden kommen lassen, das kann man auch ansprechen, sollte dabei aber, bitteschön, immer bei der Wahrheit bleiben! Für mich ist das ein Indiz dafür, dass es außerhalb der Liebe Gottes keine wirkliche Gerechtigkeit gibt, denn diese beiden sind voneinander getrennt undenkbar: „Bewahre die Liebe und das Recht, und hoffe immer auf deinen Gott! (Hos. 12: 7). Der Apostel sagt: „Gott ist die Liebe“ (1. Joh. 4: 8); aber nur wenn wir nach Gottes Liebe und Gerechtigkeit gegenüber unseren Mitmenschen handeln, können auch wir, treulose Sünder, Gottes Gnade erlangen, „denn das Gericht ist erbarmungslos gegen den, der kein Erbarmen gezeigt hat“ (Jak. 2: 13).
6. Gott ist zur Erlösung des Menschen „jedes Mittel recht“. Er lässt es im schlimmsten Fall zu, dass Sein geliebtes Geschöpf sogar auf ein Niveau mit den unreinen Tiere abgleitet (s. Lk. 15: 16), denn auch dann ist es nicht zu spät für die Erkenntnis: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder! Nur nehmt die Freiheit nicht als Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe“ (Gal. 5: 13). Also ermahnt uns der Apostel Paulus in der heutigen Lesung: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt mir“ (1. Kor. 6: 12). Warum der erste Halbsatz aus der Perspektive des Heils der Menschen nicht ohne den zweiten (be)stehen kann, zeigt, überraschenderweise, die Inschrift im weltweit größten Satanisten-Tempel in San Francisco, die da lautet: „Du darfst alles!“. Dostojewski ergänzte diese größte aller Halbwahrheiten zu seinem bekannten Konditionalsatz: „Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt“. Und so wollen wir abschließend noch einmal der vollen Wahrheit Beachtung schenken: „Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich“ (1. Kor. 6: 13). Amen.