Predigt zum 17. Herrentag nach Pfingsten / Synaxis aller Heiligen des Deutschen Landes (2 Kor. 6:16-7:1; Lk. 5:1-11) (05.10.2025)
Details Eintrag
Liebe Brüder und Schwestern,
wie es einen kirchlichen Feiertag für jeden persönlich gibt (den Namenstag), wie es auch einen kirchlichen Feiertag für die gesamte Familie gibt (bei den Serben und Mazedoniern die Slawa), und wie es für jede Landeskirche einen eigenen kirchlichen Feiertag gibt (bei den Russen ist es der Tag aller Heiligen, die im Russischen Lande aufgestrahlt sind), die alle miteinander eine Unterart des kirchlichen Festes Aller Heiligen im Nachgang an das Hochfest der Gründung der Kirche sind, so gibt es jetzt auch einen kirchlichen Feiertag nicht nur für unsere Berliner Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, sondern für alle auf deutschem Boden angesiedelten orthodoxen Diözesen. Wir alle begehen heute das Fest der Versammlung aller Heiligen, die im Deutschen Lande aufgestrahlt sind. Anhand solcher Feste wird die Verbindung zwischen himmlischer Kirche und irdischer Kirche besonders deutlich. Sie bilden eine Einheit vor Gott, wie aus der Inschrift auf Beinhäusern des Heiligen Berges Athos (aber wohl nicht nur da) abgeleitet werden kann. Die bereits Heimgegangenen teilen uns folgendes mit: „Wir waren einst wie ihr, und ihr werdet einst wie wir sein“. Im Grunde sind wir aber alle eins.
Wenn die Kirche aber das Gedächtnis der Heiligen allgemein, national, regional oder eben wie heute bei uns auf diözesaner Ebene würdigt, tut sie dies aus einem bestimmten Grund. Die Heiligen zu allen Zeiten sind unsere Orientierungspunkte für ein Leben in Christus bezogen auf unsere Zeit, auf unsere konkreten historischen, politischen, sozialen und materiellen Bedingungen. Es liegt dabei auf der Hand, dass z.B. russische Heilige den Russen näher sind, deutsche Heilige den Deutschen und griechische Heilige den Griechen, auch wenn das einer subjektiven und irdischen Sichtweise geschuldet ist. Im geistlichen Sinne spielen solche Identifikationskriterien natürlich keine Rolle, denn dank der Vereinigung in Christus gibt es „nicht mehr Juden oder Griechen“ (Gal. 3:28). Aber unsere menschliche Schwäche benötigt solche Anhaltspunkte, auf die wir uns zeit unseres irdischen Lebens beziehen können.
Heilige leuchten uns den Weg ins ewige Leben, den sie ja selbst beschritten haben. Eines haben sie alle gemeinsam: die absolute Fokussierung auf Christus (s. 1 Kor. 2:2). Auch wenn wir meinen, unseren nahen und fernen Vorfahren in zivilisatorischer oder technologischer Hinsicht überlegen zu sein, haben wir vor Gott keine Rechtfertigung dafür, dass wir in Glaubensfragen im Vergleich zu ihnen völlig unbedarft sind. Mag sein, dass wir mehr gelesen (oder im Radio, TV und vor allem im Internet an Informationen aufgenommen) haben, aber das reale Leben der vielleicht weniger gebildeten und aufgeklärten Generationen vor uns war ungleich mehr mit dem Glauben verknüpft als es heute bei uns der Fall ist. Die Bitte um das tägliche Brot (s. Mt. 6:11; Lk. 11:3) ist für ein Mitglied unserer Konsumgesellschaft und Bürger des Sozialstaats ja gar nicht mehr nachvollziehbar; für unsere Ahnen war diese Sorge jedoch beinahe alltäglich. Es ist vergleichbar mit dem Unterschied zwischen Jung und Alt. Als ich noch jung war, konnte ich nicht verstehen, dass ältere Menschen sich gegenseitig zum Jahreswechsel, zum Geburtstag usw. vor allem Gesundheit wünschten. Wozu?, dachte ich damals. Gesundheit hat man doch. Sie ist selbstverständlich, zumindest für die meisten jungen Menschen. Nun bin ich um einige Jahrzehnte gealtert und weiß jetzt, was für eine Gabe Gottes, was für ein Schatz es ist, wenn man sich noch im fortgeschrittenen Alter guter Gesundheit erfreuen darf.
Im geistlichen Sinne sind wir heute ungleich mehr mit Krankheit geschlagen als unsere frommen Vorfahren. Unsere selbsternannten „gläubigen“ Zeitgenossen wissen doch gar nicht, was die Gesundheit der Seele ist, gelten ihre „spirituellen“ Bestrebungen doch fast ausschließlich physischen, materiellen und zeitlichen Dingen, wie sie im täglichen Horoskop vorgeben sind: Gesundheit, Geld, Liebe. Was sonst benötigt der Mensch?!
Das soeben Dargelegte offenbart, dass wir heute vor Gott katastrophale Gesetzesübertreter sind, auch wenn wir es nach staatlichen und gesellschaftlichen Normen und nach heute geltenden moralischen Richtlinien nicht sind. Wenn wir uns aber nach den über alle Epochen gültigen, zeitlosen Vorgaben unseres Glaubens ausrichten und uns auf das geistliche Vermächtnis unserer Heiligen besinnen, dann erkennen wir, dass wir durch unsere moderne Lebensweise vom Weg des Heils abgekommen sind und für uns die Religion (lat. religare: verbinden, anbinden) größtenteils zur Folklore oder zum primitiven Aberglauben mutiert ist. Für eine wahre Verbindung zu Gott oder für eine echte Anbindung zur Kirche haben wir in unserer schnelllebigen Zeit keinen Platz. Christus hat in unseren Herzen „keinen Ort, wo Er Sein Haupt hinlegen kann“ (Lk. 9:58). So begnügen wir uns mit einem oberflächlichen Glauben, mit einem nominellen Christentum. Über das Leben von heiligen Glaubensboten, Märtyrern, Bekennern oder Asketen lernen wir zwar manchmal aus „Legenden“, die vielleicht ein Schmunzeln bei uns hervorrufen, seltener auch mal aufrichtige Bewunderung, aber so gut wie nie zu einer äußerlichen oder innerlichen Veränderung unseres Lebenswandels führen.
Als kleine, zahlenmäßig unbedeutende Schar deutschsprachiger orthodoxer Christen (s. Lk. 12:32) haben wir uns aber – trotz unserer augenfälligen Sündhaftigkeit – dem Vermächtnis der deutschen Heiligen verschrieben. Auch sie mussten wohl eine ganze Nacht völlig ergebnislos auf dem See verbringen, bevor sie der Herr nach einem wunderbaren Ereignis zu Menschenfischern (s. Lk. 5:10) machte. Uns vielleicht auch? Wer weiß?... Amen.