Predigt zum 5. Herrentag der Großen Fastenzeit / hl. Maria von Ägypten (Hebr. 11:11-14; Gal. 3:23-29; Mk. 5:32-45; Lk. 6:36-50) (06.04.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
an verschiedenen Herrentagen der Großen Fastenzeit ehren wir ganz besonders die Heiligen, die sich durch große Askese hervorgetan haben. So gedenken wir heute der heiligen Maria von Ägypten, einer ehemaligen Dirne, die nach ihrer Bekehrung bis ans Lebensende in der Judäischen Wüste in unvorstellbarer Enthaltsamkeit verweilt hatte. Man mag sich jedoch angesichts solcher Vorbilder fragen, weshalb es Menschen überhaupt in die Wüste zieht, anstatt dass sie für die Gesellschaft „etwas Nützliches tun“. Diese Betrachtungsweise ist aber komplett oberflächlich und voreingenommen. Eremit wird man ja nicht gleich nach dem Noviziat. Zuerst muss das Leben in der Gemeinschaft bewältigt werden, dass von jedem viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Nachsicht gegenüber den Schwächen anderer erfordert. Wenn der Mönch sich in diesem Gemeinschaftsleben, in dem selbstverständlich das Gebet im Mittelpunkt steht, bewährt hat, kann er in eine Skite, zumeist ein kleineres Kloster mit strengerer Regel, das dem Mutterkloster affiliiert ist, übersiedeln. Erst nach einem langen Leben in Entsagung alles Weltlichen und vertiefter Gottesschau kann der Mönch in das vollkommene Einsiedlerdasein wechseln. Niemals geschieht dies im Unfrieden oder infolge einer Enttäuschung, sondern nur dazu, um Gottes Gemeinschaft noch intensiver erleben zu können. Der Asket ist also keiner, der sich zum Zwecke des „Leidens“ selbst kasteit, sondern einer, der auf alle für ihn entbehrlichen Dinge verzichtet, um nach dem Geiste leben zu können (s. Röm. 8:14). Und das ist im Grunde der Sinn und Zweck des Fastens schlechthin.
Heilige tun nie etwas aus Eigenwillen. In jungen Jahren übt man den absoluten Gehorsam zuerst den Eltern oder den Erziehern gegenüber; wenn man dann bewusst den Weg der geistlichen Vervollkommnung begonnen hat, leistet man seinen Gehorsam gegenüber dem geistlichen Vater, sei dies nun ein Gemeindepriester oder der Abt eines Klosters. Und sehr oft bewahrheiten sich die Worte des Herrn, die Er über Seine wahren Nachfolger gesagt hat: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt. 5:14-16). Der heilige Seraphim (+ 1833) blieb 15 Jahre in seiner Klosterzelle, ohne diese zu verlassen, bevor er als Starez für die Menschen da war. Auch der heilige Theophan (+ 1893) verließ seine Zelle nicht mehr während der letzten zehn Jahre seines Lebens, war aber durch seine rege Korrespondenz mit den Menschen in der Ödnis der Welt verbunden.
In der tiefsten Brezhnew-Zeit wurde der damalige Vorsitzende des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Philaret (Vakhromeev, + 2021), bei einer Pressekonferenz von einem ausländischen Korrespondenten die heikle Frage gestellt, warum die Kirche in der Sowjetunion keine Mission betreibe. Möglicherweise wurde davor, wie in diesen Zeiten der Parkett-Diplomatie üblich, ein weiteres mal die obligatorische Floskel bemüht, dass es in der Sowjetunion uneingeschränkte, von der Verfassung des Landes garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit gäbe. Nicht so oft wurde dabei aber erwähnt, dass tatsächlich antireligiöse Propaganda ausdrücklich erlaubt war, „religiöse Propaganda“ hingegen nicht. Als Letztere galt die Unterweisung von Minderjährigen im Glauben (auch nicht in kirchlichen Einrichtungen), das Herausgeben geistlicher Literatur (Bibel, Katechismus, andere theologische Schriften), Pastoraldienst in Kindergärten, Altenheimen, Lehreinrichtungen, Armeeeinheiten, Krankenhäusern etc. Unter diesen Paragraph fielen auch der Dienst von minderjährigen Ministranten und das Tragen priesterlicher Kleidung in der Öffentlichkeit. Kurzum, alles, was erlaubt war, war das „Verrichten des Kultes“ innerhalb der Kirchenwände. Eine Seelsorge war somit nur in einem sehr begrenzten Rahmen innerhalb der Gottesdienst (Beichte, Predigt), und das unter den wachen Augen und Ohren der staatlichen Behörden und deren inoffizieller Mitarbeiter für Informationsbeschaffung, möglich. Der Metropolit war aber geübt in solchen Situationen. Er antwortete dem Journalisten dahingehend, dass es schon genüge, in einem völlig abgedunkelten großen Raum eine Kerze aufzustellen, damit alle, die Orientierung in der Finsternis suchen, diese auch finden. Alle werden von dem Licht angezogen werden und von sich aus ihren Weg in der Dunkelheit finden, ohne dass man ihnen die Kerze in die entlegensten Winkel des Raumes bringen muss. Und das ist die Mission der Kirche, die in Person ihrer von Gott geheiligten Lichtgestalten immer dann sichtbar wird, wenn die Finsternis undurchdringlich zu sein scheint. Und zusammen mit den bekannten verherrlichten Heiligen leuchten stets auch die kleineren Lichter in der Finsternis der Drangsal und Not dieser Welt (vgl. 1 Kor. 15:41): Eltern, Großeltern, die ihren Kindern und Enkelkindern den Glauben an Gott vermittelten, einfache gläubige Laien – Männer und Frauen – inmitten von Ungläubigen oder Andersgläubigen, die nie ihren Glauben aus sich herauskehrten, aber still und bescheiden durch ihre Verhaltensweise Zeugnis von Christus ablegten usw. Wie sehr müssen sie sich zu Zeiten der Unterdrückung danach gesehnt haben, das zu haben, was wir heute genießen dürfen: Glaubensfreiheit. Aber leider ist es wohl schon wieder an der Zeit zu sagen: „Nur noch kurze Zeit ist das Licht bei euch. Geht euren Weg, solange ihr das Licht habt, damit euch nicht die Finsternis überrascht. Wer in der Finsternis geht, weiß nicht, wohin er gerät. Solange ihr das Licht bei euch habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichtes werdet“ (Joh. 12:35-36a). Amen.