Predigt zum 1. Herrentag der Großen Fastenzeit / Triumph der Orthodoxie (Hebr. 11:24-26, 32-12:2; Joh. 1:43-51) (09.03.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
anlässlich des Festtages zum Gedenken des Sieges der Orthodoxie über die Häresien im christlich-römischen Reich kann man sich mehrere Vorgehensweisen für eine Predigt vorstellen. Man kann den rein dogmatischen Blickwinkel, den historischen Hintergrund oder die mannigfaltige spirituelle oder asketische Dimension des ersten Herrentags der Großen Fastenzeit als Grundlage nehmen. Es erfordert aber gewisse, auf reichlicher kirchlicher Erfahrung basierende theologische Kenntnisse, will man auch dem missionarischen Aspekt dieses Tages, an dem wir in einer besonderen Fürbitte für alle verirrten Schafe beten (s. Mt. 18:12-14; vgl. Lk. 15:4-7), gerecht werden. Die orthodoxe Kirche gründet ja auf dem Fundament der Apostel („Ich glaube … an die Eine, Heilige, Allumfassende und Apostolische Kirche“), das missionarische Element ist eines ihrer Wesensmerkmale. Alle Heiligen, also nicht nur direkte Glaubensboten, sondern auch Eremiten, Klausner, Narren in Christo oder „anonyme“ Heilige – Märtyrer sowieso – waren bzw. sind Missionare. Wie es der heilige Seraphim von Sarow (Moschnin, + 1833) ausdrückt, werden Tausende um dich herum gerettet werden, wenn du selbst ein Leben nach dem Geist führst (s. Röm. 8:1-17; Gal. 5:13-26; Eph.5:18; 6:17-18). Und jedes einzelne Glied der Kirche ist sozusagen von der Natur der Sache her berufen, missionarisch tätig zu sein. So ist die christliche Mutter im Normalfall der „erste Apostel“ im Leben eines Menschen. Aber die orthodoxe Kirche kennt keinen Proselytismus, also den bewussten Vorsatz, Menschen anderen Glaubens für ihre eigenen Ziele abwerben zu wollen. Natürlich gibt es eine breite mediale Präsenz der orthodoxen Kirche (Bücher, Zeitschriften, TV, Radio, Internet usw.), die jedoch keine aggressive Strategie zum Anwerben möglichst vieler Neophyten um jedem Preis zum Ziel hat. Sie unterbreitet vielmehr ein Angebot an alle Menschen guten Willens: „Komm und sieh!“ (Joh. 1:46). Das ist ihre Aufgabe. Den „Rest“ besorgt ohnehin Gott, Der in Seiner unergründlichen Weisheit weiß, wem es gegeben ist zu Ihm zu kommen (s. Joh. 6:44). Es ist also kein Überreden, kein Sich-Aufdrängen-Wollen, kein penetrantes Lasso-Werfen nach potenziellen „Opfern“. Und Zwangsbekehrungen oder Taufen ohne die Einwilligung des Betreffenden oder gegen seinen artikulierten Willen ist der Orthodoxie ohnehin fremd. Es ist also eher ein passives Missionieren. Viele bei uns als Missionare verehrte Heilige hatten zu keiner Zeit die konkrete Absicht, zu den Ungetauften oder den vom Glauben entfremdeten Menschen zu gehen, sondern lebten einfach heilig in aller Stille, was vor der nicht gläubigen oder nicht christlichen Umgebung allerdings nicht verborgen bleiben konnte. Der heilige Nikolai (Kasatkin, + 1912), zum Beispiel, wurde nicht zum Missionieren nach Japan entsandt, sondern als Seelsorger an der Kaiserlich Russischen Gesandtschaft in Hakodate. Das geschah zu einer Zeit, als jede christliche Mission unter Androhung der Todesstrafe verboten war. Und trotzdem begannen die Japaner, einer nach dem anderen, den orthodoxen Glauben anzunehmen, und zwar zunächst solche, die zuerst von sich aus begonnen hatten, den orthodoxen Priestermönch und späteren Bischof von der Richtigkeit ihres Glaubens überzeugen zu wollen. So war es auch schon in der Epoche der sieben Ökumenischen Konzile: die Kirche rief nicht einfach so Bischofssynoden ein, um der ganzen Welt den Glauben zu verkünden. Diese Versammlungen wurden vielmehr immer dann notwendig, sobald sich die Kirche den Angriffen ihrer Feinde ausgesetzt sah, die nicht selten aus ihrer eigenen Mitte gegen sie aufstanden (s. Apg. 20:29-30). Der Glaube ist ja immer dann stark, wenn er angefochten wird (s. 2 Kor. 12:8-11), und nur dann kann er sich überhaupt bewähren (s. 2 Kor. 6:4-10).
Einst stellte ein Heide einen Christen als Gärtner bei sich ein. Der Arbeitgeber wusste von dem Glauben seines Bediensteten und rang ihm vor Vertragsabschluss das Versprechen ab, dass dieser ihm niemals etwas von seinem Glauben erzählen wird. Der Christ stimmte zu. Nach einiger Zeit kam der Arbeitgeber zu seinem Lohnempfänger, fiel vor ihm auf die Knie und bat ihn um dessen Beistand bei dem Bemühen, so zu werden wie dieser es war. Allein durch Glaube, Hoffnung und Liebe (s. 1 Kor. 13:13) wurde der Heide zu Christus bekehrt. Wer aber diese Eigenschaften entbehrt, sollte die Finger von jeglichen Bekehrungsversuchen lassen. Metropolit Anthony (Bloom, + 2003) sprach in solchen Fällen von Pervertierungen statt Konvertierungen zur Orthodoxie (совращать, а не обращать в Православие).
Und doch können auch einfache Gläubige defensiv den Glauben verkünden, wenn sie z.B. gefragt werden, warum sie z.B. Weihnachten und Ostern „anders feiern als die Christen“. Man muss kein diplomierter Theologe sein, um zu erklären, dass wir, die Orthodoxen, alles so machen wie immer – und das in ALLEN Dingen. Die Fragestellung muss also anders geartet sein. Ihr selbst müsst euch fragen, warum ihr nicht so verfahrt wie es die Christen seit frühester Zeit getan haben (das Gleiche gilt für „moderne“ Themen wie Frauenordination oder die kirchliche Segnung gleichgeschlechtlicher „Ehen“ u.v.m.). Diese defensive Mission soll aber nicht dazu führen, eine wahrscheinlich sowieso fruchtlose Diskussion anzufachen. Der Fragesteller kann so aber ins Grübeln gebracht werden. Und wenn er ehrlich mit sich selbst ist, wird er sich weiter auf seriöse Weise über den urchristlichen Glauben der Orthodoxie sachkundig machen wollen. Wir alle können als Gottes Mitarbeiter (s. 1 Kor. 3:9) den Samen säen. Ob die Saat auch aufgehen wird, wird sich zeigen (s. Mt. 13:1-9; Mk. 4:1-9; Lk. 8:4-8). Gottes Wille soll geschehen (s. Mt. 6:10). Amen.