Predigt zum zweiten Herrentag nach Pfingsten / Gedenktag aller Heiligen der Russischen Erde / Gedenktag aller ehrwürdigen und Gott tragenden Väter des Heiligen Berges Athos (Röm. 2:10-16; Hebr. 11:33-12:2; Mt. 4:18-23; Mt. 4:25-5:12) (18.06.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
ein Mal im Jahr gedenken wir der nationalen Heiligen der Russischen Erde, zu der alle Teile der historischen Rus´ gehören. An deren richtigen Verehrung entzündet sich ja im Grunde der politische Konflikt unserer Zeit. Wer in der Verehrung der Heiligen seines Landes Potenzial für chauvinistische Töne sieht, der tut den Heiligen unrecht und lästert Gott. Heilige aus jeder Epoche, unabhängig von Geschlecht, Nationalität und sozialem Rang vereinen uns miteinander, und spalten uns nicht. Durch ihr Leben in Christus sind sie eins mit Ihm in Seiner Kirche geworden; sie sind ein Leib mit Ihm – im wahrsten Sinne des Wortes Sein Fleisch und Blut. Und wir sind berufen, es ihnen gleichzutun. Wer das verinnerlicht hat, der kann seinen Bruder oder seine Schwester nicht hassen. Und es gibt nichts, was uns dann voneinander trennen kann (s. Röm. 8:35-39). Dass dies nicht bloß schöne Worte sind, beweist unsere Geschichte. Es ist eine Geschichte der Treue zu Gott einerseits und des Abfalls vom Glauben andererseits, ähnlich wie es sich im Volk Israel zugetragen hat (s. „Buch der Richter“ im Alten Testament). Hauptsache, der Glaube siegt am Ende.
Aufgrund des Glaubens blieb die orthodoxe Kirche trotz rund zweieinhalb Jahrhunderten Versklavung durch die Tataren bestehen und erstand danach zu neuem Leben (1237-1480).
Aufgrund des Glauben wurden die Angriffe der abendländischen Eindringlinge abgewehrt, die den letzten nicht besetzten Rest der Rus´ gewaltsam zu ihrem Glauben bekehren wollten (1240-42).
Aufgrund des Glaubens erstand die Heilige Rus´ aus der Asche, als es keine eigene Regierung und kein eigenes Heer mehr gab, und allein der zum Hungertod verurteilte, in Ketten gelegte Patriarch-Märtyrer seine Stimme aus dem Kerker erhob und das Volk zum Aufstand gegen die fremdländische Intervention ermunterte (1613).
Aufgrund des Glaubens wurde das Zarenreich gerettet, als die ausländischen Streitkräfte, unterstützt von Vaterlandsverrätern, bis in den Osten der Rus´ vorgedrungen waren, bis das Land nach der Schlacht bei Poltawa zur imperialen Großmacht aufstieg (1709).
Aufgrund des Glaubens wurden die aufgeklärten westeuropäischen Eroberer mit all ihren Verbündeten vertrieben, als sie sich schon siegessicher in Moskau für den Winter eingerichtet hatten (1812-13).
Aufgrund des Glaubens wurde eine menschenverachtende Ideologie aus dem Westen niedergemacht, die ihren Vernichtungs-Feldzug begann, als in der gesamten Sowjetunion infolge des Gottlosen Fünfjahresplans („Безбожная пятилетка“, 1932-37) ganze vier Bischöfe noch nicht umgebracht bzw. eingekerkert und nur noch rund 100 Kirchen aktiv waren (1941-45).
Aufgrund des Glaubens erlebt die Kirche eine Renaissance nach siebzigjähriger Verfolgung und massiven Bemühungen zu ihrer Ausrottung (1917-1991).
Und was soll ich noch aufzählen? Die Zeit würde mir nicht reichen, wollte ich von Georgiern, Griechen, Serben, Bulgaren, Rumänen und vielen, vielen anderen reden, die ebenfalls aufgrund des Glaubens der muslimischen oder atheistischen Gewaltherrschaft widerstanden und noch widerstehen und so ihre nationale orthodoxe Identität bewahrten und bis heute bewahren.
Ist das alles jetzt eine nationalistische Selbstbeweihräucherung? Nein! Denn zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass sich das Volk jedes Mal in Massen vom Glauben abwandte, dass viele Menschen die einzige Rettung ihrer Heimat in ausländischen Interventionen sahen und dass das Reservoir an Verrätern in den eigenen Reihen jedes Mal zu bis dahin unbekannten Ausmaßen anwuchs. Man setzte seine Hoffnung nicht auf Gott, sondern man vertraute auf die Elementarmächte dieser Welt (s. Gal. 4:3; Kol. 2:8). Und jedes Mal ist die Kirche das Ziel der Anfeindungen. Jeder weiß, dass der orthodoxe Glaube die Einheit der Nation gewährleistet. Deshalb wird stets auch der Versuch unternommen, diese Einheit durch eine Spaltung der Kirche zu untergraben. Die Einen leben ihren Glauben – für sie gibt es nicht mehr „Juden und Griechen“ (s. Röm. 10:12; Gal. 3:28; vgl. Kol. 3:11) – für die aber, welche die Religion für politische Zwecke instrumentalisieren, findet sich sogar im Glauben ihrer Väter ein Vorwand zu Hass, Feindschaft und zur Trennung voneinander. Aber: „Ist denn Christus zerteilt?“ (1 Kor. 1:13). Man kann zwar selbst von der Einheit im Leib Christi abfallen bzw. andere zum Abfall verleiten, aber der Leib Christi als solcher kann nicht zergliedert werden. Wer die Kirche bekämpft, der kämpft gegen Gott! Und das Ende eines solchen ist schon besiegelt. Wie schrecklich es aber ist, wenn wir „vorsätzlich sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit erlangt haben“ (Hebr. 10:26).
Das oben Geschilderte veranschaulicht, dass Gott für Sein Volk sorgt. Obwohl wir Gott tausendmal untreu waren, umgibt uns eine „Wolke von Zeugen“, die uns letztlich doch dabei hilft, „alle Last und die Fesseln der Sünde“ abzuwerfen (Hebr. 12:1) und wieder in den Schoß der Kirche zurückzukehren.
Und so ist auch das, was heute geschieht, nichts Neues in der Geschichte der Russischen Kirche, die immer wieder gestärkt aus allen Prüfungen hervorgeht. Die Methoden ihrer Feinde werden zwar immer ausgeklügelter, bleiben aber für die, welche reinen Herzens sind, leicht durchschaubar. Amen.