Predigt zum 20. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 1:11-19; Lk. 8:5-15) (30.10.2022)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute wurde uns das Gleichnis vom Sämann zu Gehör gebracht. Der Herr erklärt den Sinn dieser auf Anhieb unverständlichen Parabel in Seinen ergänzenden Ausführungen Selbst, sodass wir feststellend sagen können, dass darin die Rede vom Glauben ist. Unser Glaube gründet ja auf der Offenbarung Gottes – zunächst auf der Offenbarung durch das Gesetz und die Propheten, dann durch deren Erfüllung im Evangelium unseres Herrn Jesus Christus.
Gott offenbarte sich also den Propheten, die in Seinem Namen die Wahrheit verkündeten; am Ende der Zeit aber kam Gott zu den Menschen herab und „wurde offenbart im Fleisch“ (1 Tim. 3:16). Seither gibt es diejenigen, die glauben und diejenigen, die nicht glauben. Doch dabei gibt es wieder jeweils Unterscheidungen. Einige glauben deshalb nicht, weil sie die Wahrheit nicht kennen oder weil sie ihnen niemand nähergebracht hat; andere kennen Gottes Offenbarung in der Welt sehr wohl, nehmen sie aber trotzdem nicht an (s. Joh. 1:10-11). Christus Selbst wurde ja von denen zum Kreuztod ausgeliefert, die Ihn mit dem Verstand bestens erkannt haben mussten, - und von den Heidenvölkern angenommen, die zuvor nichts von Ihm gehört und bestenfalls nur eine dunkle Ahnung gehabt haben konnten (s. Apg. 17:23). Doch sie sind es, die nun hören (s. Apg. 28:28). Nun sind wir, ihre Nachfahren, in der Lage, das Wort Gottes zu hören und den Samen auf „guten Boden“ (Lk. 8:8,15) fallen zu lassen.
Das Gleichnis vom Sämann erwähnt aber mit keinem Wort diejenigen, die aus unverschuldeter Unwissenheit ungläubig sind. Das tut der Apostel Paulus an einer anderen Stelle (s. Röm. 2:12-16) und bezieht sich dabei auf die Zeit vor der Menschwerdung Gottes. Seitdem aber Gott im Fleisch erschienen ist, gibt es nur wenige, die aus objektiver Unkenntnis ungläubig sind. Der überwiegende Teil kennt jetzt zumindest ansatzweise das Evangelium oder hat die Möglichkeit dazu es zu kennen. Unser Gleichnis unterteilt die fruchtlosen Empfänger der Botschaft in drei Kategorien, wobei alle drei Bezugsgruppen das Wort hören:
a) diejenigen, die es hören, aber durch das Wirken des Teufels gar nicht erst zum Glauben kommen (s. Lk. 8:5,12);
b) diejenigen, die es hören und anfangs voller Begeisterung befolgen, dann aber zur Zeit der Drangsal vom Glauben abfallen (s. 8:6,13);
c) diejenigen, die es hören und sodann vielleicht mit dem kühlen Verstand aufnehmen, die jedoch letztlich nicht geneigt sind, die Verkündigung vom Reich Gottes über die angenehmen Dinge dieser Welt zu stellen (s. 8:7,14).
Wir alle kennen hinreichend Beispiele von Menschen dieser drei Kategorien. Zur ersten gehören diejenigen, die von sich behaupten, sie würden erst dann an Gott glauben, wenn sie Ihn sehen würden. Doch was wollen sie? - Dass Gott zu ihnen auf die Erde kommt und sagt: „Hier bin Ich!“ - Aber das geschah doch schon vor zweitausend Jahren! Was hätte Gott denn noch tun sollen, damit sie glauben – etwa Tote auferwecken (vgl. Lk. 16:31)?!..
Es gibt zudem zuhauf Dinge, die wir nicht sehen und an die wir glauben (Elektrizität, Röntgenstrahlen, UV-Licht, Magnetfelder etc.). Ich kann durch meine körperlichen Sinne Menschen, Tiere und Dinge sehen, hören, riechen, schmecken, tasten und mich dadurch von ihrer realen Existenz überzeugen lassen. Gott ist aber ein Geistwesen. Zu Seiner Wahrnehmung gibt es ebenfalls Rezeptoren – das Herz, den Verstand, den Willen. Wir bestehen doch nicht nur aus Fleisch und Blut, sondern aus Leib und Seele. Wir können somit Gott mithilfe unserer geistigen „Organe“ völlig real erfassen und Ihn sogar „im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh. 4:23-24). Wenn einer das aus irgendeinem Grunde noch nicht einmal versucht hat, ist es seine Sache. Aber er kann dann nicht für Millionen andere sprechen, die reale Erfahrungen mit Gott in den Mysterien der Kirche, im liturgischen oder häuslichen Gebet oder die auch völlig unvermittelt entsprechende spirituelle Erlebnisse hatten oder haben. Das Leugnen hiervon ist dann selbstverschuldete Unkenntnis (oder – Unglaube).
Über solche, die den Glauben zunächst freudig angenommen oder mit dem Verstand akzeptiert haben, danach aber durch den Einfluss irdischer Faktoren abtrünnig wurden (Prüfungen; Reichtum, Genusssucht), kann man sagen, dass sie die Botschaft Jesu Christi im Kern nie wirklich verinnerlicht haben. Erzpriester Dimitrij Smirnov (+ 2020) betont, dass die Frohe Botschaft darin besteht, dass wir hier auf Erden ein Leben in Christus führen können und sollen, - quasi als Vorstufe des ewigen Lebens im Himmelreich (s. Mt. 6:33; Lk. 12:31). Doch die meisten unserer „Glaubensbrüder“ interessieren sich gar nicht für dieses himmlische Leben mit Gott, sondern nur für das irdische: da hat Gott gefälligst helfend einzugreifen, wenn es mal nicht nach ihren Wünschen läuft...
95% unserer „Orthodoxen“ kennen ja nur das Vaterunser. Woher sollten sie denn diese weitergehende Kenntnis auch nehmen? Oder ist da, im Gebet des Herrn, etwa auch die Rede vom Himmelreich und sogar davon, dass wir unser Leben nicht nach unserem, sondern nach Gottes Willen ausrichten sollen?..
Nun gut, solange ich noch nach entsprechenden Quellen in der Schrift oder im Gebetbuch suche, sollten wir uns alle auf die letzten Worte der heutigen Lesung besinnen, die klar und eindeutig festlegen, was wahrer Glaube in den Augen des Herrn bedeutet: „Auf guten Boden ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort mit gutem und aufrichtigem Herzen hören, daran festhalten und durch ihre Ausdauer Frucht bringen“ (Lk. 8:15). Denn das sind diejenigen, die Gott wirklich im Herzen haben!.. Amen.