Predigt zum Großen und Hohen Freitag (30.04.2021)
Liebe Brüder und Schwestern,
am heutigen Tag gedenken wir des lebenspendenden Todes unseres Herrn. Es ist der furchtbarste Tag in der Geschichte des Universums – die Sonne verfinsterte sich und die Erde erbebte in dem Moment, als der Mensch gewordene Logos Seinen Atem am Kreuze aushauchte (s. Mt. 27:50-51; Mk. 15:33-37; Lk. 23:44-46). Und doch ist es der Tag, der uns Menschen die Erlösung brachte. Der Tod des Gottessohnes war kein tragisches Unglück der Geschichte, keine Laune des Schicksals, sondern ist vom Erlöser freiwillig auf Sich genommen worden. Der Evangelist Johannes schildert den Moment des Todes des Herrn wie folgt: „Als Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach Er: ´Es ist vollbracht!` Und Er neigte das Haupt und gab Seinen Geist auf“ (Joh. 19:30). Sehr schlichte Worte mit einer unauffälligen Auffälligkeit. Christus neigte zuerst das Haupt, erst danach gab Er Seinen Geist auf (nicht umgekehrt!). Der heilige Johannes Chrysostomos sieht darin den Beleg für die selbst bestimmende Freiwilligkeit des Todes Christi: nicht der Tod überwältigte Ihn, sondern Er nahm den Tod durch einen unvorstellbaren Willensakt auf Sich, und zwar dann, als alles vollbracht war, als Er den Kelch Seiner Leiden bis zur Neige geleert hatte und durch das Verkosten des sauren Essigs den Schuldschein Adams für dessen Verkosten der süßen Frucht im Paradies getilgt hatte. Nun ist das Paradies wieder geöffnet, und ein Räuber zieht als erster mit unserem Herrn hinein!
Ganz besonders gilt für uns an diesem Tag, was immer an hohen kirchlichen Feiertagen gilt: wir sind nicht bloß Zuschauer, sondern Teilhaber der biblischen Ereignisse. So war es bei der Taufe Christi im Jordan, so ist es nun auf Golgatha. Das Eine ist mit dem Anderen untrennbar verbunden: „Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf Seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit Ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich Ihm gleich geworden sind in Seinem Tod, dann werden wir mit Ihm auch in Seiner Auferstehung vereinigt“ (Röm. 6:3-5). Auch wir, die Getauften, sollen den „Kelch“ Christi trinken und mit der „Taufe“ Christi getauft werden (s. Mk. 10:39; vgl. Mt. 20:23), also Seine Leiden und Seinen Tod auf uns nehmen. Wie furchtbar das klingt! Dabei ist das leichte Joch Jesu (s. Mt. 11:28-30) der einzige Weg zur Wiedererlangung der paradiesischen Herrlichkeit. Die Worte vom Tragen seines Kreuzes und der Selbstverleugnung mögen schwer in den Ohren liegen, solange es uns im irdischen Sinne noch gut geht. Ich bin aber überzeugt, dass Zeiten anbrechen werden, in denen wir überhaupt nur noch als freiwillige Leidensgenossen Christi leben werden können. Noch fällt es schwer daran zu denken, alles Irdische hinter sich zu lassen, aber der Tag wird kommen, da wird es gar nicht anders gehen, als Christus nachzufolgen, um dem Tod zu entrinnen (s. Mt. 16:25; Mk. 8:35; Lk. 9:24). „Die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt“ (Gal. 5:24). Einen anderen Weg, der zum Leben führt, gibt es für uns nicht. „Fürchtet euch nicht!“ sagt der Herr (s. vor allem Mt. 10:28; Lk. 12:4). Fürchten müssen sich vielmehr die, die keinen Glauben haben. Und dann, wenn es so weit ist, wird es keine oberflächlich Glaubenden geben – nur noch entweder oder! Was der Herr aber schon jetzt von uns erwartet, ist das bereitwillige Erdulden von Schmähungen, Ungerechtigkeit und Trübsal. Wenn der einzig Sündlose für die Sünden aller Menschen gestorben ist, sollte es ein Leichtes für uns sein, im Vergleich dazu unerhebliche irdische Drangsal mit aufrichtiger Dankbarkeit zu ertragen. Kein Leid und kein Unglück, das über uns kommt, sollen wir als unverdient ansehen, – nur dann sind wir wirklich mit Christus im Leiden vereint wie der Räuber zur Rechten des Herrn. Diese Einsicht öffnete ihm, dem Verbrecher, die Tür zum Paradies!
Wenn wir um Christi willen irdisches Leid ertragen, wird einst auch unser Tod der Beginn des neuen Lebens in der Gemeinschaft Christi sein (s. Röm. 6:8). Und wenn nun der Tod des Erlösers im Fleisch und im Blut furchtbar war, dann nur darum, dass unser Tod selig sein möge. Denn nach der Entmachtung des Teufels sind wir, die wir zuvor durch die Furcht vor dem Tod der Knechtschaft verfallen waren, frei geworden von den Schrecken des Todes (s. Hebr. 2:14-15). Nun ist für uns „Christus das Leben, und Sterben Gewinn“ (Phil. 1:21). Hoffen wir auf Christus, nicht auf die Elementarmächte dieser Welt (s. Kol. 2:8).
Ja, dieser Tag ist zweifelsfrei der betrüblichste von allen Tagen im Kirchenjahr. Und doch ist es der Tag unserer Erlösung: „Mit dem Leibe warst Du im Grabe, mit der Seele als Gott im Hades, im Paradies mit dem Räuber und auf dem Thron mit dem Vater und dem Geist, Der Du alles erfüllst, Unbeschreiblicher!“ - werden wir bald voll des Jubels singen. Heute jedoch schon begibt Sich Christus mit der Seele in den Hades, um von dort alle Gefangenen herauszuführen.
Was in unserer Taufe durch das dreimalige Eintauchen vorgebildet wurde – der Tod Christi und Seine Auferstehung am dritten Tag –, dessen werden wir nun teilhaftig. Der Tod war der Lohn für die Sünde (s. Röm. 6:23), aber dank der unermesslichen Gnade Gottes war der Tod nur das vorletzte Wort. „Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über Ihn. Denn durch Sein Sterben ist Er ein für allemal gestorben für die Sünde, Sein Leben lebt Er aber für Gott. So sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus“ (Röm. 6:9-11). Denn durch Seinen Abstieg in den Hades zerstörte Christus die Pforten der Hölle. Diese werden allen, die Ihm in Seiner Kirche treu bleiben, auch weiterhin nichts anhaben können (s. Mt. 16:18). Amen.
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2021
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