Predigt zum Samstag der ersten Woche der Großen Fastenzeit / Theodoros-Samstag (Hebr. 1:1-12; 2 Tim. 2:1-10; Mk. 2:23-3:5; Joh. 15:17-16:2) (20.03.2021)
Liebe Brüder und Schwestern,
der erste Samstag der Großen Fastenzeit ist dem heiligen Großmärtyrer Theodoros dem Rekruten gewidmet. Dieser Brauch hat seine historischen Wurzeln im Wunder, das der Heilige Jahrzehnte nach seinem Martyrium mittels einer Vision am Samstag der Großen Fastenzeit in der Stadt Nikomedia wirkte. Aber gibt es neben dem historischen auch einen inneren Bezug zum Fasten? Die übrigen Gedenktage der Großen Fastenzeit sind ja folgerichtig großen Asketen gewidmet – den heiligen Gregorios Palamas, Johannes Klimakos, Andreas von Kreta und Maria von Ägypten, – die allesamt in Klöstern und Wüsteneien nach Jahrzehnten unsagbar harten Kampfes von Gott verherrlicht wurden. Aber inwieweit lässt sich ein junger Mann, der noch dazu nicht im Kloster, sondern in der Kaserne lebte und im Dienst eines heidnischen Kaisers stand, in eine Reihe mit diesen herausragenden christlichen Asketen stellen? Die Antwort darauf liefert uns überraschenderweise das Fasten als solches – der geistliche Wesenskern jeglicher christlicher Askese. Und diese Erkenntnis soll auch zielführend für uns sein, die wir noch ganz am Anfang unserer bescheidenen asketischen Bemühungen stehen.
Die schier unglaublichen, für uns unvorstellbaren asketischen Großtaten der oben genannten Heiligen und vieler anderer (der heilige Seraphim von Sarov kniete z.B. 1000 Tage und Nächte auf einem Felsen; der heilige Seraphim von Vyritsa machte es ihm rund hundert Jahre später nach) wurden ja nicht um ihrer selbst willen vollbracht, und möglich waren sie nur durch Gottes Gnade. Und die ist der entscheidende Faktor in allem, was unser geistliches Leben und unsere Beziehung zu Gott angeht. Auf die Gnade Gottes kommt es nämlich an.
Das Ziel der Askese (= des Gebets und des Fastens) ist die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit. Heilige sind Menschen, die sich als niedriger als jegliche Kreatur sehen. Aber wie kann jemand, der ein frommes Leben führt, sich geringer achten als alle möglichen Verbrecher und Unholde, deren Existenz ihm doch bekannt sein muss? Auch hier lautet die Antwort: durch Gottes Gnade, bewirkt durch Gebet und Fasten. Diese müssen aber auf der Grundlage der Demut stehen – dem Eingeständnis der eigenen Sündhaftigkeit. Der Betende und Fastende bemüht sich inständig, Gott um Verzeihung seiner Sünden anzuflehen. Anders als die Gebote des alttestamentlichen Gesetzes (s. Ex. 20:1-19; Dtn. 5:6-22) beziehen sich die Gebote des Evangeliums auf das innere Tun (s. Mt. 5:3-12). Sie beginnen mit der Demut und dem Beweinen der eigenen Sündhaftigkeit, ihr Ziel ist das Frohlocken inmitten größter irdischer Drangsal. So konnte auch der heilige Theodoros mit großer Freude für Gott ins Feuer gehen. Er war angesichts seines jungen Alters spirituell wohl noch nicht so weit wie die vorgenannten Asketen, aber die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit inspirierte ihn zum Glaubenszeugnis mittels seines Blutes.
Moment mal, - wird man uns vielleicht entgegnen, - er war ein frommer junger Mann, hatte keine schweren Sünden begangen wie z.B. die heilige Maria von Ägypten. Richtig. Aber wer sich nur auf sich (auf sein Innerstes) konzentriert, und sich durch nichts ablenken lässt, ist auf der Suche nach der ungetrübten Gemeinschaft mit Gott. Er hat nicht die Zeit und die Muße, sich mit den Sünden anderer Menschen zu befassen, denn seine eigenen genügen ihm vollauf. Das ist Fasten!.. Doch er merkt zugleich, dass er es trotz größter Anstrengung einfach nicht schafft, in seinem Herzen nach Gottes Willen zu leben (vgl. Röm. 7:14-25). Er wird dadurch demütig und verspürt angesichts seiner Unwürdigkeit vor Gott überhaupt keine Neigung, jemand anders zu verurteilen (vgl. Mt. 18:32-34). Unsere Morgen- und Abendgebete sowie Vorbereitungsgebete zum Empfang der Heiligen Gaben sind doch samt und sonders von großen Heiligen verfasst (Basilios dem Großen, Johannes Chrysostomos, Johannes von Damaskus, Makarios dem Großen, Simeon dem Neuen Theologen, Simeon Metaphrastes u.v.a.) und handeln durchweg davon, dass wir alle (s. Hiob. 4:17-18) von bösen, unreinen und lästerlichen Gedanken gefangen sind, körperliche Begierden über uns Macht haben und unser Gebet träge und gefühllos ist. Nach außen können wir dabei sehr wohl tugendhaft erscheinen, doch gleichzeitig bleiben Seele und Leib nach wie vor ein Sumpf der Lüste und Leidenschaften.
Die großen Asketen erlangten nach Jahrzehnten der Prüfung und Ausdauer erst im hohen Alter den Zustand der gnadenvollen Leidenschaftslosigkeit. Wozu sonst hätte sich z.B. der heilige Seraphim für tausend Tage und Nächste auf einen Felsen stellen sollen?!.. Der heilige Großmärtyrer Theodoros aber nahm die „Abkürzung“ durch das Blutzeugnis. Die Leiden für Christus nahm er also mit großer Freude auf sich, weil er darin die für ihn willkommene Gelegenheit sah, sich durch sein eigenes Blut von seinen Sünden reinzuwaschen und dadurch die Nachfolge Dessen anzutreten, Der uns alle durch Sein göttliches Blut von der Knechtschaft des Todes erlöst hatte. Ausgangspunkt ist aber immer die Buße – der Anfang und das Ende jeglicher Hinwendung zu Gott (s. Mt. 3:2; 4:17; Lk. 24:47). Die Einsicht der eigenen Sündhaftigkeit vor Gott (s. Ps. 21:7), vor Dem auch der Himmel unrein ist (s. Hiob 15:5), bildet also die Grundlage für jegliches Fortschreiten im geistlichen Leben im Einklang mit Gottes Willen in Bezug auf die Erfüllung unserer Berufung (s. Jes. 6:1-18). So können auch wir Schätze im Himmel erwerben, „wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen“ (Mt. 6:20). Und darauf weist uns die Kirche am morgigen ersten Herrentag der Großen Fastenzeit, dem Triumph der Orthodoxie, noch einmal eindrücklich hin. Amen.
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2021
Deutsch