Predigt zum Hochfest der Taufe Christi (Tit. 12: 11-14, 3: 4-7; Mt. 3: 13-17) (19.01.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
die Taufe Christi ist eines der höchsten Feste des Kirchenjahres, auf gleicher Augenhöhe mit dem Fest der Geburt Christi oder der Verkündigung der Gottesgebärerin. Wie bei kaum einem anderen Fest scheiden sich hier die Geister, liegen Glaube und Aberglaube scheinbar so nahe beieinander, obwohl sie doch miteinander so wenig vereinbar sind wie Feuer und Wasser. Für die, welche sich nicht nach dem Beginn der Liturgie, sondern nach dem Zeitpunkt der Wasserweihe erkundigen, besitzt das Weihwasser „magische Kraft“, die einen selbst und dessen Angehörige vor Flüchen und Krankheiten aller Art bewahren kann. Schon zu Zeiten des irdischen Lebens unseres Herrn hatten die „Überlieferungen der Alten“ (s. Mt. 15:2; Mk. 7:3) einen höheren Stellenwert als die Gebote Gottes (s. Mt. 15:3ff). Heute ist es kaum anders. Vorgestern erhielt ich z.B. einen Anruf von einer deutschen Frau, deren Tochter vor einiger Zeit von mir getauft worden war. Als das Kind etwas größer geworden war, wollte die Mutter es zum Friseur bringen, doch die russische („orthodoxe“) Verwandtschaft entgegnete ihr, dies sei verboten, bevor das Kind nicht ein zweites Mal in der Kirche gewesen sei und der Priester ihr ein weiteres Mal, wie damals im Anschluss an die Taufe, ein Haarbüschel abschneidet. Vorher dürfe man auf keinen Fall zum Friseur... Ich weiß nicht, was noch alles zum Repertoire dieser frommen Familie gehört, aber das Kind an den lebensspendenden Mysterien der Kirche teilhaben zu lassen gehört definitiv nicht dazu. Dieses Phänomen ist nicht neu. Schon vor zweitausend Jahren ermahnte der hl. Apostel Paulus seinen Jünger Timotheos: „Gottlose Altweiberfabeln weise zurück! Übe dich in der Frömmigkeit!“ (1 Tim. 4:7).
Die Ursache für eine solch bunte Veilfalt an „Überlieferungen“ liegt m.E. darin, dass die wahren Glaubensinhalte von den meisten Getauften lediglich als fromme Legenden angesehen werden, die einem womöglich sogar lieb und teuer sein mögen, jedoch über den folkloristischen Aspekt hinaus keinerlei Bezug zu unserer Lebensrealität haben. Zu Weihnachten feiern wir alle die Geburt des Christkindes in Bethlehem, aber wenn es die Geburt von jemand anderem gewesen wäre, würde es auch keinen Unterschied machen – Hauptsache der Weihnachtsbaum ist opulent geschmückt, der Tisch reichlich gedeckt und jeder froh über seine Geschenke. Wenn bei den westlichen Christen das Weihnachtsfest durch Kommerz und Folklore weitestgehend verunstaltet wird, wird bei uns die Theophanie durch den Aberglauben bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Hier und da behaupten die Leute von sich, sie seien gläubige Christen, die jedoch auf Nachfrage nicht recht wissen, woran sie eigentlich glauben.
Wenn wir unseren Festen mit den Augen des Glaubens und der Frömmigkeit begegnen, werden wir uns vergewissern können, dass die Menschwerdung Christi (in der Empfängnis im Leib der allheiligen Jungfrau Maria und in der Geburt auf Erden) dank der Taufe im Jordan zugleich die Vereinigung von uns Menschen mit Gott darstellt. „Der Sohn Gottes wird zum Sohn der Jungfrau“ (aus dem Troparion zum Verkündigungsfest) bedeutet, dass dank der Wirksamkeit des Heiligen Geistes die Menschwerdung Gottes mit der „Gottwerdung“ des Menschen einhergeht. Also war es unsere Empfängnis und unsere Geburt, denn durch die Taufe sind wir zu Gliedern am Leib Christi geworden. Wir sind eins mit dem Gottmenschen Jesus Christus, und zwar von der Empfängnis und der Geburt bis hin zum Tode, der Auferstehung und der Himmelfahrt des Herrn! Das alles ist möglich geworden, nachdem wir alle, die wir auf Christus getauft sind, „Christus (als Gewand) angelegt“ haben (Gal. 3:27). Die Taufe des Sich mit uns vereinenden Gottmenschen im Jordan ist die Taufe der gesamten Menschheit, also auch meine Taufe vermittels der Gnade des heiligen Geistes. Dies geschieht durch Eintritt in die „Kirche des lebendigen Gottes, die die Säule und das Fundament der Wahrheit ist“ (1 Tim. 3:15). In ihr werden wir zu Geheimnisträgern des großen Mysteriums des Glaubens, wonach Gott im Fleisch offenbart und durch den Geist gerechtfertigt wurde (s. 3:16).
Bei der Empfängnis in Nazareth und der Geburt in Bethlehem handelt Gott „notgedrungen“ - Er muss ja, um uns gleich zu werden, wie jeder von uns als kleines Kindlein auf die Welt kommen, denn anders wäre es nicht möglich, die menschliche Natur anzunehmen. In der Taufe jedoch handelt Gott ohne diese Notwendigkeit. Obwohl Er ohne Sünde ist, empfängt Er die „Taufe zur Vergebung der Sünden“ (s. Lk. 3:3). Nicht Er braucht es, sondern wir! Er macht Sich freiwillig zum Schuldigen, damit wir entschuldet werden. Hier, im Jordan, geschieht dies auf mystische Weise; am Karfreitag findet dieses Mysterium seinen schrecklichen, auf die irdische Realität bezogenen Ausdruck in der Verurteilung des schuldlosen Christus anstelle eines Verbrechers. Mehr Liebe, mehr Gnade, mehr Barmherzigkeit geht nicht! „Als aber die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters erschien, hat Er uns gerettet – nicht, weil wir Werke vollbracht hätten, die uns gerecht machen können, sondern aufgrund Seines Erbarmens – durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist. Ihn hat Er in reichem Maß über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Retter, damit wir durch Seine Gnade gerecht gemacht werden und das ewige Leben erben, das wir erhoffen“ (Tit. 3:4-7).
Jetzt liegt es an uns selbst, uns für diesen einzigen und wahren Weg des Heils zu entscheiden. „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Sie erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben“ (Tit. 2:11-12). Amen.