Predigt zum Lazarus-Samstag - Über das Weinen (Hebr 12,28; 13,1-8; Joh 11,1-45)(12.04.2025) Beliebt
Ehre dem Vater und dem Sohne und Heiligen Geiste. Amen.
Lieber Vater, liebe Gläubigen,
am heutigen Lazarus-Samstag bereiten wir uns weiterhin auf die Leiden unseres Herrn Jesus Christus vor, indem wir die Auferweckung des hl. und gerechten Lazarus des Viertägigen von Bethanien feiern. Es ist der Tag vor Palmsonntag, der im heutigen Troparion bereits anklingt (1. Ton): „Schon vor Deinem Leiden die allgemeine Auferstehung bezeugend, hast Du Lazarus von den Toten auferweckt, Christus, Gott! Deshalb rufen auch wir, wie die Kinder..., Dir, dem Sieger über den Tod, zu: Hosanna in der Höhe, gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Orthpedia.de).
Im Tagesevangelium hörten wir von den beiden Schwestern Marta und Maria. Nachdem ihr Bruder Lazarus, den sie wie einen Vater ehrten und liebten, erkrankte, schickten die beiden Schwestern zu Jesus, aufdass Er kommen möge. Als Jesus vom anderen Jordanufer kommt und in Bethanien - in der Nähe von Jerusalem - eintrifft, liegt Lazarus allerdings schon vier Tage im Grab. Da geht Jesus hin, lässt den Stein, der das Grab verschließt, wegnehmen und spricht mit lauter Stimme: „Lazarus, komm heraus.“ (Joh 11,43).
Und Lazarus tritt heraus aus seinem Grab wie ein Kind - ganz umwickelt mit Binden, wie es dem damaligen Brauch entsprach. Und alle Anwesenden wurden Zeugen dieses Wunders und verneigen sich vor Jesus, der dieses Wunder vor ihren Augen vollbracht hat. Wie wir auf den Ikonen des Lazarus-Samstags sehen, streckt Christus dem Lazarus segnend die Hand aus, während sich Marta und Maria vor Ihm verneigen ganz bis auf die Erde.
Der Überlieferung nach musste Lazarus im Anschluss nach Zypern fliehen, weil ihn die jüdischen Priester aus Neid und vor Grimm töten wollten, denn viele, die ihn sahen, begannen an Jesus zu glauben und das wollten sie nicht. Von den Aposteln wurde er später dann zum dortigen Bischof bestimmt. Auf Zypern diente er fortan Gott wohlgefällig - die Gottesgebärerin fertigte ihm eigenhändig sein Omophorion an (Symbol für das verlorene Lämmchen, das der gute Hirte auf den Schultern zurück zur Herde trägt und für die pastorale Funktion des Bischofs in der Nachfolge Christi steht) -, ernährte sich einzig und allein von der hl. Eucharistie und entschlief 30 Jahre später erneut - man lebt ja bekanntlich nur zweimal.
Heute hörten wir auch wie Jesus weint. Der Herr sieht die Tränen von Marta und Maria und den anderen Anwesenden; Er sieht die Trauer in ihren Herzen und weint: „Jesus weinte.“ (Joh 11,35) steht im Evangelium - zwei Wörter: „Jesus weinte.“ Obwohl er also Lazarus gleich auferwecken wird, weint Er. Diese Szene zeigt wie Jesus Christus ganz Gott und ganz Mensch ist. Und demgemäß werden es auch die hl. Väter der 4. Ökumenischen Synode in Chalcedon 451 in der Zwei-Naturen-Lehre formulieren: „Ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen [einer Göttlichen und einer menschlichen Natur] unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird…“ (Conciliorum oecumenicorum decreta, Wohlmuth).
Als Gott erweckt Christus den Lazarus von den Toten auf, als Mensch aber weint Er. Jesus weinte gemäß dem Evangelium noch einmal an einer anderen Stelle, nämlich vor der Tempelreinigung, als er die Stadt Jerusalem von Weitem sieht. Und auch Petrus weinte als er an das dachte, das Jesus zu ihm gesagt hatte: „Ehe ein Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich.“ (Mt 26,75). Ein tiefer Moment voller Reue, aber auch der Beginn seiner Umkehr (Metanoia).
Das Weinen spielt auch im Alten Testament eine bedeutsame Rolle: (1) König David weinte als er über den Tod seines Sohnes Absalom unterrichtet wurde: „Und der König erschrak und ging hinauf in das Obergemach des Tores und weinte; und so sagte er, als er ging: …mein Sohn!“ (2. Königtümer 19,1).
(3) Und der hl. Prophet Joel ruft auf zu Klage und Umkehr im Angesicht des Tags des Herrn: „Und jetzt sagt der Herr, euer Gott: ‚Kehrt um zu mir aus eurem ganzen Herzen und in Fasten und in Weinen und in Wehklagen.‘“ (Joel 2,12). Das ist ein Aufruf zur Buße.
(4) Hiob erwiedert auf Eliphas: „Meine Bitte möge zum Herrn gelangen, und vor ihm möge mein Auge tränen.“ (Ijob 16,20). Denn vor Gott bleibt keine Träne verborgen.
Die Menschen weinen aus verschiedenen Gründen. Man kann Tränen in drei Hauptarten einteilen: (1) Basale Tränen, die die Augen feucht halten und uns vor Staub schützen; (2) Reflextränen, wenn das Auge gereizt wird; und (3) die emotionalen Tränen aus Trauer, Freude, Wut, Rührung oder auch aus Erleichterung. Interessanterweise haben diese emotionalen Tränen die Tiere nicht, sondern nur die Menschen.
Der menschliche Körper baut damit Stress ab (Stresshormone werden quasi herausgespült). Auch sind Tränen eine Form der Kommunikation, ein nonverbales Signal, kleine Kinder, die noch nicht sprechen können drücken damit aus, dass sie Hilfe benötigen. Und wenn wir jemanden weinen sehen, dann fühlen wir oft mit, es entsteht also Empathie und Bindung, v. a. wichtig beim Leben in Gemeinschaften. Viertens kann Weinen die Selbstregulation unterstützen, da es hilft, Gefühle zu verarbeiten und innere Anspannung zu lösen.
In der Bibel ist Weinen kein Zeichen der Schwäche, sondern häufig ein Ausdruck von tiefem Glauben, Mitgefühl, oder Reue. Bringen uns solche Tränen somit nicht näher zu Gott? Unsere Tränen sind Gott nicht gleichgültig. In Psalm 55 legt David in schwerer Not sein Vertrauen in Gott: „Du hast meine Tränen vor Dich hingestellt, wie Du es auch verheißen hast.“ (Ps 55,9). Die Tränen hat Gott vor sich hingestellt, vermutlich in sog. Lachrymatoria, das waren kleine Fläschchen im antiken Palästina, in denen Tränen aufgefangen wurden, die bei einer Beerdigung vergossen wurden. Diese Tränenfläschchen wurden dann entweder mit ins Grab gelegt, oder den Hinterbliebenen als Andenken an die Trauer mitgegeben. Sie waren also ein Ausdruck von Loyalität und bleibender Erinnerung.
Und auch wir sind in unserer Trauer nicht alleine. Gott sieht unsere Tränen und Er tröstet die Weinenden: „Der Tod, mächtig geworden, hat sie verschlungen, und wiederum nahm Gott jede Träne von jedem Antlitz weg“ (Jes 25,8). Ein großes Versprechen, der Tod hat nicht das letzte Wort, sondern Gott wird alles Leid beenden. „Denn Zorn ist in Seinem Grimm, doch Leben in Seinem Willen.. Des Abends wohnt Weinen bei uns, doch ind er Frühe Frohlocken.“ (Ps 29,6). Der Zorn Gottes dauert also nur einen Augenblick lang, aber Seine Gnade währet ewiglich.
Das Weinen hat seinen Platz im Leben, denn alles hat seine Zeit: „Eine Zeit zu weinen und eine Zeit zu lachen. Eine Zeit zu klagen, und eine Zeit zu tanzen.“ (Kohelet 3,4). Weinen gehört also zum Leben mit dazu. Am Ende jedoch, ganz am Ende, steht eine Welt ohne Tränen, dann wird alles Leid vergangen sein: „Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Apk 21,4).
Der hl. Ignatius Brianchaninov vergleicht eine Träne mit einem Wassertropen, der auf trockenen Boden fällt und so die Blume der Demut wachsen lässt: „Wie die Erde, die lange auf Feuchtigkeit wartet und sie schließlich in Fülle erhält, plötzlich mit zartem und hellem Grün bedeckt ist, so bringt auch das Herz, das durch Trockenheit erschöpft ist und danach durch Tränen wiederbelebt wird, eine Vielzahl von geistlichen Gedanken und Gefühlen hervor, geschmückt mit der gemeinsamen Blume der Demut.“ (Über Tränen, Orthodox Life 5, 1969). So gesehen kann das Weinen am Ende zu etwas sehr Gutem führen.
Der hl. Johannes Klimakos beschreibt in seiner Leiter auf Stufe 7 die Freude über die Trauer mit folgenden Worten: „Größer als die Taufe selbst ist die Quelle der Tränen nach der Taufe… Denn die Taufe ist das Abwaschen der Übel, die vorher in uns waren, aber die nach der Taufe begangenen Sünden werden durch Tränen abgewaschen. Da die Taufe im Kindesalter empfangen wird, haben wir sie alle befleckt, aber wir reinigen sie erneut mit Tränen.“ (Die Leiter des göttlichen Aufstiegs, Stufe 7: Über die freudige Trauer). Daraus lässt sich schließen, dass es sogar eine Freude über unsere Trauer zu entwickeln gibt, um auf die nächste Leitersprosse aufzusteigen.
Abschließend die folgende Frage: Wie können wir gerettet werden? Dies hat sich auch der hl. Sophronios von Essex gefragt - unsere „reine Rose“, die „Bienenkönigin“ aus dem „britischen Garten der Liebe“ (Troparion) - und zitiert als Antwort den hl. Vater Siluan vom Berg Athos - dessen hl. Reliquien hier bei uns in Aubing verehrt werden: „Ich danke Dir, Herr und mein Schöpfer, dass Du meine Seele gnädig gedemütigt und mir den Weg gezeigt hast, den Deine Heiligen gegangen sind. Du liebst diejenigen, die weinen, und alle Heiligen kamen durch Weinen zu Dir. Gewähre mir, gnädiger Herr, zu Dir zu kommen auf dem Weg Deiner Heiligen, auf dem Weg des demütigen Weinens, den Du mir gezeigt hast.“ (Der hl. Siluan zitiert nach Hl. Sophronius der Athonit, Essex-Kloster, 6. Mai 1991). Alle Heiligen kamen also durch ihre Tränen zum Herrn, durch das demütige Beweinen der Verfehlungen, denn am Ende sind es wahrscheinlich doch immer unsere Verfehlungen, die uns in schwierige Lebenslagen führen. Welche Verfehlungen können wir heute beweinen, um uns zu waschen und unserem Herrn Christus wieder näher zu sein?
In der heutigen Epistel haben wir gehört, dass Gott uns nicht verlassen will: „Ich will dich nicht versäumen, noch dich verlassen“ (Hebr 13,5). Christus wird uns nicht verlassen, aber unsere Verfehlungen entfernen uns von Ihm, wie als würde jede Verfehlung eine Binde um uns legen, wie sie der hl. Lazarus um sich hatte, um uns für das seelische Grab vorzubereiten. Welche Binden schnüren uns in dieser Großen Fastenzeit die Seele zu?
„Wenn man Marthas Arbeitsliebe hat…und Marias Zu-Jesu-Füßen-Sitzen“, so der Hl. Theophan der Klausner, „dann wird der Herr selbst kommen und den inneren Lazarus auferwecken - den Geist, und Er wird ihn aus all seinen seelischen und leiblichen Banden entlassen. Dann wird im Menschen ein wahrhaft neues Leben beginnen, körperlos im Leib und unirdisch auf der Erde. Es wird eine wahre Auferstehung im Geist sein vor der zukünftigen Auferstehung, die auch den Leib betreffen wird.“ (Gedanken für jeden Tag des Jahres). Hat man also Marthas unermüdliche Arbeitsliebe, alle möglichen Arten von guten Werken zu tun, und Marias volle, innige Hinwendung zum Herrn mit ganzem Herzen, wird der Herr zu uns kommen und Wohnung in uns nehmen und die Binden, die uns zudecken und schnüren werden zerrissen. Auch werden wir dann einen inneren, grünen Frühling erleben, wie er draußen in der Natur gerade stattfindet, und die neue Schöpfung sein, die uns Christus durch Seine Leiden am Kreuz, Seinen Tod und die Auferstehung gebracht hat; dann wird ein neues Leben für uns beginnen - jedes Mal: Das alte, schlechte Ich muss wie das Senfkorn sterben, damit ein neues, besseres Ich auferstehen kann.
Möge der Herr uns Zuversicht geben, möge Er uns unsere Verfehlungen sehen lassen und unsere Herzen erweichen. Möge Er uns Tränen der Reue und Umkehr geben und unsere Herzen versöhnlich aufeinander zugehen lassen.
Ehre sei Dir, o Gott, für alles. Amen.