Predigt zum Samstag der 30. Woche nach Pfingsten (Eph 5,1-8; Lk 14,1-11) (18.01.2025)
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Liebe Väter, liebe Gläubigen,
im heutigen Evangelium hörten wir von einer Heilung und einer Belehrung.
An einem Sabbat ist Christus bei einem hohen Pharisäer zum Essen eingeladen. Die Pharisäer („Abgesonderte“) waren hochgebildete Schriftgelehrte, Gesetzeslehrer und vor allem besonders eifrig in der Einhaltung der Gesetze. Mit dem sogenannten „Zaun des Gesetzes“ erdrückten sie mit insgesamt 613 Regeln das Volk unerträglich, da praktisch gar nicht möglich war, alle Regeln jederzeit einzuhalten. Es ist gut, sich an Regeln zu halten, aber es fehlte ihnen an Liebe und Barmherzigkeit (vgl. Mt 23,23). Es fehlte ihnen auch an Demut, denn scheinbar ist ihnen nicht bewusst, dass auch sie einmal vor dem furchtbaren Richterstuhl Gottes stehen werden. Und es fehlte ihnen an Glauben, denn sie glaubten nicht an den prophezeiten Sohn Gottes. Dennoch meinten sie, sie seien die „echten“ Söhne Israels und so war auch Saulus einst stolz darauf, ein Pharisäer und der Sohn eines Pharisäers zu sein (vgl. Apg 23,6; Phil 3,5).
In solch einem Hause ist Christus nun zum Essen eingeladen, da steht plötzlich ein Kranker vor Ihm, der die „Wassersucht“ hat. Der heilige Apostel und Evangelist Lukas, der ein Arzt war, nutzt hierfür den medizinischen Fachbegriff: ὑδρωπικός. Es handelt sich dabei um Ansammlungen von Wasser im interzellulären Gewebe des Körpers, zum Beispiel aufgrund einer Nieren- oder Herzinsuffizienz. Das klassische Symptom ist ein unstillbarer Durst, daher der Begriff „Wassersucht“. Diese Krankheit symbolisiert die Habgier – man denke an die Geldgier der Pharisäer.
Bevor Christus aber am Sabbat heilen wird, stellt Er denen mit der allerhöchsten Kenntnis pharisäischer Weisheit eine Frage, auf die sie keine Antwort haben werden: „Ist’s erlaubt, am Sabbat zu heilen oder nicht?“ (Lk 14,3b). Die Pharisäer hätten es zwar gerne verboten, nur begründen konnten sie es nicht. Darüber stand nichts im Gesetz; solch eine Situation war neu, schließlich hatte Gott noch nie jemandem eine solche Kraft zu heilen gegeben. Und spekulieren wollten sie auch nicht. Einem Ochsen oder Esel im Brunnen hätten sie geholfen, die waren viel Geld wert. Aber um die Mitmenschen scherten sie sich nicht.
Nun kommt die entscheidende Frage: Macht denn der Sabbat es zur Sünde, wenn jemand heilt oder Böses tut, wenn jemand ein Leben rettet oder nimmt (vgl. Mk 3,4)? Natürlich nicht.
Und so heilt Christus die Wassersucht – allegorisch heilt Er auch die Habgier –, weil die Göttliche Liebe auch nicht Sabbat hält, sondern immer wirkt (vgl. Joh 5,17). Christus heilt, auch am Sabbat, und zwar gerade am Sabbat, und zwar um einen Denkanstoß zu geben, um das Schmutzwasser aufzuwühlen; denn, wenn sich die Erde im Wasser abgesetzt hat, sieht man den Dreck nicht, das Wasser ist aber trotzdem nicht rein, sondern schmutzig und man kann es nicht trinken, sondern man denkt nur, es sei sauber. Auf diese Weise wühlt Christus auch uns auf, damit wir klar und deutlich sehen, daß wir „unnütze Knechte“ (Lk 17,10) sind und uns lieber darum bemühen, uns „zu verdemütigen“ und uns „für niedriger zu halten als alle Menschen“ (Hll. Kallistos und Ignatios Xanthopoulos). Oder wie der Heilige Apostel Paulus im Ersten Korintherbrief betont: „wer meint, er stehe, mag zusehen, dass er nicht falle“ (1Kor 10,12).
Und so kommen wir zur Belehrung, denn Christus erzählt nun von der rechten Sitzordnung und der Verteilung von Ehre und Schande. Die korrekte Sitzordnung war tatsächlich eine wichtige Sache. Die Tischordnung spiegelt die Gesellschaftsordnung wider. Frommen und Lehrern kam eine besondere Ehrwürdigkeit zu. In dem Gleichnis kommt dann einer, der Angst um seine Ehre hat und sich ohne Geduld direkt zuoberst an den Ehrenplatz setzt, nur um dann wenig später verscheucht zu werden.
Christus aber lehrt: Nicht um die Ehre sollen wir uns sorgen, „denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 14,11). Im Evangelium symbolisiert die Tischordnung nämlich die künftige Heilsordnung. Dort wird es sehr viel besser sein, wenn wir demütig und bescheiden geehrt anstatt hochmütig beschämt werden, weil wir uns für wichtig hielten.
Interessanterweise waren damals Demut und Bescheidenheit gar keine Tugenden, sondern wurden sogar allgemein verachtet – heutzutage scheinen es gleichfalls immer weniger noch Tugenden zu sein. Demut und Bescheidenheit hatte eher etwas mit Menschen niederen Standes zu tun. Auch die Unterwürfigkeit, beispielsweise von Sklaven, war geradewegs eine Schande, würdelose Kriecherei. Und daher war man auch sehr um seine Ehre besorgt. Der Herr aber spricht anders: „Tu weg den Kopfbund und nimm ab die Krone! Denn nichts bleibt, wie es ist, sondern was hoch ist, soll erniedrigt werden, und was niedrig ist, soll erhöht werden“ (Ez 21,31). Die Ehre, die wir uns selbst geben, zerfällt und ist nichtig vor Gott, im Gegenteil wir sinken dadurch vor Ihm.
Was sollen wir also tun? Demnach soll man sich unten halten, fernhalten von der Sucht, etwas aus sich zu machen oder etwas für sich zu begehren. Der Mensch erniedrigt sich vor Gott, indem er anerkennt, dass er von Gott, seinem Schöpfer, abhängig ist und sich von der Liebe Gottes tragen lassen muss, die auch die Armen und Kranken trägt. Jene spüren nämlich die Abhängigkeit vom Schöpfer viel unmittelbarer als die Reichen und Mächtigen, die sich in vermeintlicher Sicherheit wiegen.
Wir sollen im Geringsten treu sein (vgl. Lk 16,10), denn auch die kleinsten Dinge zählen vor Gott viel – man denke an das Scherflein der armen Witwe (vgl. Lk 21). Auch soll man nicht die Geringen ignorieren, sie nicht übersehen, auch sie sind Kinder Gottes. Und wenn wir den Mittellosen helfen und sie sich nicht revanchieren können, umso besser, denn dann werden wir den Lohn dafür von Gott im zukünftigen Leben erwarten können. Wir sollen unseren Blick auf Gott gerichtet halten, wie Petrus als er auf dem Wasser wandelte (vgl. Mt 14). Christus ist unser Vorbild, der uns die Kraft verleiht, um auf dem Weg des Lebens zu bleiben.
Wir sollen auf unsere eigene Erhöhung verzichten und nur Begehren, was Gott gibt, denn es steht auch geschrieben: „wie der Herr einem jeden ausgeteilt hat, wie Gott einen jeden berufen hat“, so soll man auch leben (1Kor 7,17). Das hatten schon die alten Griechen erkannt und sagten: Γνῶθι σαυτόν – Erkenne dich selbst! Und auch der Heilige Johannes Goldmund lässt diese alte Weisheit durchscheinen und entfaltet noch wie folgt: „Der ist es vor allem, der sich selbst kennt, wer meint, er sei nichts. Nichts nämlich ist Gott so angenehm, wie sich zu den Letzten zu zählen“. Und der Heilige Isaak der Syrer verheißt uns: „Den demütig Gesinnten werden die Mysterien enthüllt. Und wo die Demut sproßt, dort blüht die Ehre Gottes“. Aber „[h]ast du dich im Lob erhoben, warte auf Schmach.“ (Markos der Asket).
Und so lasst uns mit einem letzten Zitat aus der Feder des Heiligen Barsanuphios schließen: „Wenn du wirklich gerettet werden willst, dann höre sehr wohl zu: Erhebe deine Füße von der Erde, und führe deinen Geist in den Himmel empor. Und dort soll sich dein Sinnen Tag und Nacht befinden. Und so sehr du Kraft hast, laß dich verachten“.
Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste. Amen.