Predigt zum 2. Herrentag der Großen Fastenzeit / hl. Gregorios Palamas (Hebr. 1:10-2:3; Hebr. 7:26-8:2; Mk. 2:1-12; Joh. 10:9-16) (16.03.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
sehr oft begehen wir den Fehler, das Fasten allein auf den Verzicht von Speisen und Getränken zu reduzieren, weshalb uns die Kirche beizeiten daran erinnert, dass es uns, wie es auch in den Texten des Fastentriodions ausdrücklich erwähnt wird, um das geistliche Fasten gehen soll. Askese ist notwendig und richtig, sie ist aber nicht das Ziel des Fastens an sich. Die Läuterung der Seele dient der Gemeinschaft mit Gott, wie es der heilige Gregorios Palamas (+1357) verkörperte, der ein großer Asket auf dem Heiligen Berg war und später als Erzbischof von Thessaloniki die Lehre vom Hesychasmus verfocht. Er gilt seitdem als herausragender Lehrer der Kirche und Protagonist des Jesus-Gebets.
Für jeden orthodoxen Christen ist das Gebet schlechthin das Größte und Wichtigste. Ich selbst liebe die Pilgerfahrten zum Berg Athos, weil man dort gewissermaßen schon in das kommende Äon eintaucht – so groß ist die Gnade Gottes auch unwürdigen Pilgern wie mir gegenüber. Aber wir können auch hier bei uns z.B. in der ersten Woche der Großen Fastenzeit oder in der Großen Woche der Leiden Christi einen Vorgeschmack auf das Leben der künftigen Welt bekommen. Wem es gegeben ist, viel zu beten, der kann diesen Zustand der Gnade womöglich das ganze Jahr über aufrechterhalten. Doch nicht alle sind große Asketen. Das liegt in der Natur der Sache, und ist wohl so von Gott gewollt, denn so funktioniert die kirchliche Einheit in der Vielfalt und die Vielfalt in der Einheit: „Es gibt verschieden Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn, es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allem. Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt. Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen, dem anderen durch den gleichen Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln, dem dritten im gleichen Geist die Glaubenskraft, einem anderen – immer in dem einen Geist – die Gabe, Krankheiten zu heilen, einem anderen Wunderkräfte, einem anderen prophetisches Reden, einem anderen die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden, wieder einem anderen verschiedene Arten von Zungenrede, einem anderen schließlich die Gabe, sie zu deuten. Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; einem jeden teilt Er Seine besondere Gabe zu, wie Er will“ (1 Kor. 12:4-11). Deshalb sind auch unsere Begabungen und Charismata mannigfaltig. „So hat Gott in der Kirche die einen als Apostel eingesetzt, die anderen als Propheten, die dritten als Lehrer; ferner verlieh Er die Kraft, Wunder zu tun, sodann die Gaben, Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, endlich die verschiedenen Gaben von Zungenrede. Sind etwa alle Apostel, alle Propheten, alle Lehrer? Haben alle die Kraft, Wunder zu tun? Besitzen alle die Gabe, Krankheiten zu heilen? Reden alle in Zungen? Können alle solche Reden auslegen?“ (1 Kor. 12:28-30). Natürlich nicht.
Auf unseren heutigen Denkansatz hinsichtlich der Askese und des Verweilens im Gebet bezogen, erkennen wir, dass auch wir heute auf vielerlei Art Gott dienen und uns Ihm wohlgefällig erweisen können. Wenn es heißt: „Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess. 5:17; vgl. Lk. 18:1; Röm. 12:12; Eph. 6:18), so ist damit selbstverständlich nicht gemeint, dass wir uns mit nichts anderem beschäftigen dürfen, als in der Kirche oder daheim vor den Ikonen zu stehen und zu Gott zu flehen. Der Apostel erklärt dies an anderer Stelle: „Ob ihr also esst oder trinkt oder etwas anderes tut: tut alles zur Verherrlichung Gottes!“ (1 Kor. 10:31). „Beten“ kann man also auch unterwegs, zwischendurch, bei der Arbeit, „nebenbei“. Eine Mutter, die Kinder aufzuziehen hat, hat naturgemäß nicht die Zeit wie die Monialin, welche die täglichen Gottesdienste in der Kirche und ihre geregelten Gebetszeiten in der Zelle hat, und doch erfüllt sie dadurch ihren Gottesdienst, wenn sie dies liebevoll, geduldig, dankend und zur Ehre Gottes tut (s. 1 Tim. 2:13-15). Ein Berufstätiger kann Gott ebenso gefallen, wenn er seine weltliche Tätigkeit ehrfürchtig und andachtsvoll versieht. Nehmen wir, zum Beispiel, einen Busfahrer. Seine Aufgabe besteht lediglich darin, die Passagiere von A nach B zu bringen und dabei möglichst den Fahrplan einzuhalten. Aber dabei kann er ein Kreuz bzw. eine Ikone am Armaturenbrett oder am Rückspiegel anbringen oder aber ein Photo einer am Oberkörper entblößten Frau. Er kann dabei das Jesus-Gebet sprechen und seine Fahrgäste so behandeln, als seien sie der Herr Jesus Christus Selbst, Seine Allreine Mutter und die zwölf Apostel – oder das Radio auf volle Lautstärke stellen und vor sich hin fluchen, wenn ein älterer Herr etwas länger braucht, um in der hintersten Reihe Platz zu nehmen, oder wenn sich auf der Straße vor ihm ein Verkehrshindernis aufbaut. Der heilige Nikolai (Velimirovic, + 1956) empfahl einem Lokführer, der an den meisten Sonn- und Feiertagen nicht in der Kirche sein konnte, eben dies zu tun: seine verantwortungsvolle Arbeit zum Dienst an den Menschen mit maximaler Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu vollbringen und so dem Herrn zu widmen, dann würde auch er das Heil zu erlangen. Der heilige Seraphim (+1833) gab jungen Novizinnen die Regel auf den Weg, morgens und abends nur kurz zu beten, doch tagsüber ständig das Jesus-Gebet zu sprechen. All das zeigt demzufolge, dass man situationsbedingt stets mit Gott sein und in jeder Lage das Heil erlangen kann – nicht nur im Kloster und nicht einmal nur in der Kirche, sollten die äußeren Umstände dies ergeben. Also ist das Jesus-Gebet, für das der heilige Gregorios für die Nachwelt gestritten hat, keine Prärogative des Mönchsstands oder des Klerus, sondern das „soziale Netzwerk“ aller orthodoxen Christen auf dem Weg zur Arbeit, an der Haltestelle, während der Kaffeepause sowie im Bett vor dem Einschlafen. Und das seit zweitausend Jahren. Amen.