Predigt zum Gedenktag des heiligen Nikolaos von Myra in Lykien (Hebr. 13:17-21; Lk. 6:17-23) (19.12.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
kaum ein Heiliger wird von so vielen verschiedenen Völkern verehrt, wie der Erzbischof von Myra, der den Status eines Universal-Nothelfers innehat: er ist der Schutzheilige der Kranken, Reisenden, zu unrecht Verurteilten, der Lernenden, der Heiratswilligen, der Familien, der in Geldsorgen Befindlichen usw. Und wenn man das in den richtigen Zusammenhang zum Evangelium Christi stellt, können unsere Gebete um Beistand in irdischen Dingen durchaus wohlwollend vom Herrn aufgenommen werden, d.h. dass sie Gottes Willen entsprechen. Deshalb muss allem unserem Streben unser Bemühen der Vorsatz vorangehen, dass wir Gottes Willen erfüllen wollen (s. Mt. 6:10). Und dies lässt sich am besten in diesem einem Satz zusammenfassen: „Euch aber muss es zuerst um (Gottes) Königtum und um Seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt. 6:33; vgl. Lk. 12:31). Ist diese Einbindung in das Evangelium, also die Verknüpfung mit Gottes Willen nicht gegeben, sind unsere Fürbitten von vornherein hinfällig. Sicher kann Gott einem Kind, dass aus reinem Herzen vielleicht um etwas Ausgefallenes bittet, dessen Wunsch gewähren, auch kann Er einen am Glauben Zweifelnden – sogar einen Ungläubigen – erhören, wenn der Herr vorausschauend erkennt, dass dies dem Seelenheil nützen kann (wie z.B. im Falle des römischen Offiziers Marcus in Henryk Sienkewiczs „Quo vadis?“, der Jesus, an Den er lange Zeit nicht glauben wollte, in der größten Not um Hilfe anrief), aber nur den wirklich Demütigen im Herzen wie eben dem von uns verehrten Gottesdiener aus Kleinasien wird Gott dauerhaft ihre Bitten erfüllen (s. Jak. 5:16b).
Es gibt bei uns ein frommes Sprichwort: „Dein Leben sei wie es deinem Namen entspricht“. Niko-laos lässt sich aus dem Griechischen in etwa als „Überwinder/Bezwinger des Volkes“ übersetzen. Viele Menschen in meinem historischen Vaterland werden sicher heute verstärkt für den militärischen Sieg im gegenwärtigen schrecklichen Konflikt beten. Ich denke aber, dass es viel mehr angebracht wäre, dafür zum heiligen Nikolai zu beten, dass durch seine Fürsprache unser Volk (zu dem ich alle Menschen zähle, die ihre geistlichen Wurzeln im Kiewer Taufbad 988 haben) „besiegt“, d.h. dass es sich endlich unter das „leichte Joch“ Christi (s. Mt. 11:28-30) beugen möge. Vor achtzig Jahren, als das Blut wegen der Untreue unseres Volkes wieder einmal in Strömen floss, sprach Marschall Georgij Zhukov, angesprochen auf den enormen Blutzoll der von ihm befehligten Armeen, folgende höchst einprägsamen Worte: „Macht nichts, die russischen Weiber werden schon ausreichend für Nachwuchs sorgen!“ („Ничего, русские бабы еще народят!“) … In der heutigen Zeit wird diese Rechnung aber nicht aufgehen können, wie sie schon damals nicht im gewünschten oder erwarteten Ausmaß aufgegangen war. Dank der staatlichen Fürsorge in Sachen Familienplanung in der Nachkriegszeit und der freien Lebensgestaltung heute werden russische „Weiber“ zwar oft genug schwanger (auch ungewollt), sorgen aber trotzdem nicht für den erhofften Nachwuchs. Auch die Männer haben ihre Aktien daran. Wenn sich das aber nicht ändert, können wir den heiligen Nikolai oder die anderen Heiligen auch hundert mal am Tag um Frieden für Land und Volk sowie um Wohlergehen für uns persönlich anflehen, unsere Bitten werden aber nicht erhört werden. All diese Zusammenhänge sind übrigens sehr übersichtlich im Buch „Der Krieg und die Bibel“ eines anderen heiligen Nikolai (Velimirovic) dargelegt. Diese sind aber primär aus der Bibel selbst ersichtlich (v.a. Richter, Könige, Chronik). Vater Dimitrij Smirnov (+ 2020) formulierte es so: Erst wenn alle unsere Landsleute an allen Sonn- und Feiertagen in der Kirche sind, werden wir ein gutes Leben führen können. Viele andere angesehene Geistliche unserer Zeit schlagen in die gleiche Kerbe.
Apropos Feiertage. Oft erlebe ich bei „orthodoxen Gläubigen“, die nur gelegentlich zur Kirche kommen (und diese Gelegenheiten sind zumeist Taufen, Hochzeiten, Segnungen von Osterspeisen u.ä.), dass die sich ihrer „Treue gegenüber den orthodoxen Traditionen“ brüsten, da sie selbstverständlich „alle kirchlichen Feiertage einhalten“. Nur bin ich mir zum Einen nicht sicher, ob sie diese orthodoxen Feiertage auch alle kennen, um sie „einzuhalten“ (z.B. neulich das Fest der Einführung der Theotokos in Tempel oder im Frühjahr die Darstellung des Herrn im Tempel), und zum Anderen, habe ich am heutigen Feiertag außer meinen treuen und nicht berufstätigen bzw. schulpflichtigen Gemeindegliedern keinen von ihnen in der Kirche gesehen. Feiertage bedeuten für sie einen reich gedeckten Tisch mit ausreichender Gelegenheit zum Nachspülen. Was das mit „orthodoxer Tradition“ zu tun hat, bleibt ihr Geheimnis. Gerade diesem Verständnis der Feiertagsruhe trat der Herr Jesus Christus entgegen, indem Er viele Gebrechen der Menschen demonstrativ am Sabbat heilte und damit den Unwillen der auf die Einhaltung des Buchstabens des Gesetzes versessenen Pharisäer erregte. Feiertag ist gerade nicht synonym für Nichtstun oder eine üppig kredenzte Tafel, sondern die Unterbrechung irdischer Arbeiten mit dem Ziel, sich (verstärkt) Gott zuzuwenden. Das aber schließt keineswegs aus, dass man an solchen Tagen auch Gott gefällige Werke verrichtet: Kranke und Einsame besucht, Almosen verteilt oder sich für karitative Belange engagiert – selbstverständlich nach dem Gottesdienst. Feiertage kann man eigentlich nur richtig begehen, wenn man auch den Alltag Gott zur Ehre verbringt, also z.B. seine Kinder in der Liebe zu Gott und den Nächsten erzieht, nach der orthodoxen Tradition betet und fastet und vor allem über alles das Königtum Gottes und Seine Gerechtigkeit stellt. Amen.