Predigt zum Festtag der heiligen kaiserlichen Leidensdulder Zar Nikolai, Zarin Alexandra, Zarewitsch Alexej und der Zarentöchter Olga, Tatjana, Maria und Anastasia (Röm. 8:28-39; Joh. 15:17-16:2) (17.07.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
wenn ich behaupte, dass wir den heutigen Festtag wie jeden Gedenktag von Märtyrern feierlich begehen, dann habe ich meine Wortwahl bewusst so gewählt. Was sich in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1918 (hier und weiter alle Angaben nach Julianischem Kalender) im Keller des Hauses des Kaufmanns Ipatiew in Ekaterinburg abgespielt hat, war schrecklich und grausam. Aber: „Kostbar ist vor dem Herrn der Tod Seiner Frommen“ (Ps. 115:6). Wir lasen zudem heute: „Wir wissen, dass Gott bei denen, die Ihn lieben alles zum Guten führt, bei denen, die nach Seinem ewigen Plan berufen sind; denn alle, die Er im Voraus erkannt hat, hat Er auch im Voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt Seines Sohnes teilzuhaben, damit Dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei“ (Röm. 8:28-29).
Betrachten wir einige Meilensteine des Lebens Nikolais II: Geboren wurde Zarewitsch Nikolai Alexandrowitsch Romanow am 6. Mai 1868, dem Gedenktag des heiligen Hiob, der durch sein unschuldiges Leiden ein alttestamentliches Urbild des Leidenden Messias gewesen war. Die Krönung Nikolais II am 1. November 1894 wurde durch ein schreckliches Unglück auf der Ordynka überschattet, bei dem sehr viele Menschen zu Tode kamen. Am 19. Juli 1903 wurde ihm bei der Heiligsprechung des ehrwürdigen Seraphim von Sarow ein eigenhändig verfasster Brief des Heiligen (+ 2. Januar 1833), adressiert an den Zaren, der ihn verherrlichen wird, übergeben. Nachdem er diesen gelesen hatte, weinte der Zar bitterlich. Der Wortlaut des Briefes blieb seither verborgen, aber man kann davon ausgehen, dass das Herrscherpaar mitsamt ihrer Familie von da an bewusst dem gewaltsamen Tode ins Auge schaute. Mit Sanftmut fügten sie sich in ihr Schicksal, wohl wissend, dass sich an ihnen der Wille des Herrn erfüllen sollte: „Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie Mich schon vor euch gehasst hat. Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil Ich euch aus der Welt erwählt habe, hasst euch die Welt“ (Joh. 15:18-19). Der Herr fügt ja den heute kirchlich verlesenen Worten über die Verfolgung und Tötung der Ihm Getreuen durch die Menschen, die den Vater und Seinen Christus nicht erkannt haben, noch folgenden Satz hinzu: „Ich habe es euch gesagt, damit ihr, wenn deren Stunde kommt, euch an Meine Worte erinnert“ (Joh. 16:4a).
Viele Prophezeiungen vor, während und nach dem irdischen Leben des heiligen Märtyrer-Zaren Nikolai besagen, dass die Herrlichkeit des letzten russischen Zaren größer sein wird, als die aller anderen Herrscher. Wenn wir nur die historischen Fakten betrachten, war Nikolai II vielleicht kein genialer innenpolitischer Reformer wie Peter I der Große, kein begnadeter außenpolitischer Stratege wie Katharina II die Große, und auch kein epochal herausragender sozialer Erneuerer wie sein Großvater Alexander II, der Befreier der Bauern. Obwohl auch unter dem letzten Zaren weitreichende Reformanstrengungen durchgeführt wurden, war der Kelch des Zornes Gottes (vgl. Ps. 74:9; Jes. 51:17-23; Jer. 25:15-29; Offb. 14:8-10) über Russland wohl schon endgültig voll, hatte sich die Waage der Gerechtigkeit Gottes zu Seiten der Bestrafung des abtrünnigen Volkes geneigt. Dennoch handelte Gott gnädig an Seinem Volk, indem er ihm solch einen Zaren als Fürsprecher schenkte. Dieser Zar sollte keinen irdischen Ruhm erben wie seine Vorgänger, aber sein Ruhm sollte vor dem Herrn Bestand haben. Ihm wurde das Schicksal aus den Händen Gottes zuteil, „an Wesen und Gestalt Seines Sohnes teilzuhaben“ (Röm. 8:29). Er ertrug zuerst die Undankbarkeit seines Volkes, dann den Verrat seiner engsten Weggefährten – sogar aus den Reihen des Klerus – bis er mit seiner Familie zur Schlachtbank geführt wurde. Welch eine Ergebenheit gegenüber Gottes Heilsplan, welch eine Sanftmut! Auch verzieh die älteste Tochter Olga ihren Henkern schon im Voraus in Versform, als sich diese Prüfung für die Zarenfamilie noch gar nicht abzuzeichnen schien. In Person solcher Heiliger handelt Gott also auch in Seinem Zorn gnädig an uns (Ex. 34:6; Ps. 85:15; 102:8). Fürwahr, so einen Gesalbten Gottes gab es seit König David kaum. „Groß ist seine Herrlichkeit ob Deines Heils, Herrlichkeit und Pracht legst Du auf ihn. Denn Du gibst ihm Segen in alle Ewigkeit, Du erfüllst ihn mit höchster Freude von Deinem Angesicht her“ (Ps. 20:6-7). Schon seit dem Moment der Ermordung der Zarenfamilie haben wir also solche Fürsprecher vor Gott, dass wir weiter die Hoffnung aufrechterhalten dürfen, dass unserem Volk der schändliche Verrat am von Gott eingesetzten Zaren verziehen werden kann. Er, der Märtyrer-Zar, der selbst mitsamt Familie freiwillig zum Opfer für sein Volk wurde, ist nun unser aller Fürsprecher vor dem Thron Gottes. Im Jahre 1613 verpflichteten wir Russen uns alle zur Treue gegenüber unserem Herrscherhaus, doch 1917 brachen wir als Volk diesen Treueeid. Obwohl ich weder im St. Ipatiew-Kloster in Kostroma, noch im Ipatiew-Haus in Jekaterinburg persönlich zugegen war, fühle ich mich namens meiner Vorfahren und meiner Nachfahren an den Eid gebunden. Ich fühle mich auch mitverantwortlich für den Treuebruch, obwohl sich meine gesamten Familienangehörigen dem Bösen mit aller Macht entgegenstemmt hatten. Denn es kommt für jeden heute darauf an, wie er innerlich zu den Ereignissen des 4. (17.) Juli 1918 in Jekaterinburg steht, und welche Konsequenzen er daraus zieht. Davon hängt das weitere Schicksal Russlands und – davon bin ich überzeugt – das der gesamten Welt ab. Amen.