Predigt zum 13. Herrentag nach Pfingsten (1. Kor. 16: 13-24; Mt. 21: 33-42) (18.09.2016)
Liebe Brüder und Schwestern,
das Gleichnis von den bösen Winzern gibt uns die Gelegenheit, uns mit den Gedanken der Menschen (s. Lk. 2: 35) auseinanderzusetzen. Denn schließlich wollen wir heute anhand des Evangeliumstextes ergründen, warum die Winzer zunächst die zu ihnen gesandten Knechte misshandelt und später sogar den Sohn des Weinbergbesitzers umgebracht haben, und – von der Allegorie in die unverschlüsselte Realität gelangend (s. Mt. 18: 45) – weshalb vorgeblich gottgläubige und fromme Menschen zu den schrecklichsten Taten bis hin zur Auflehnung gegen Gott fähig sein können. Wie also werden Diener Gottes zu Dienern des Satans (vgl. Joh. 13: 2)?
Der Herr gibt uns an mehr als einer Stelle zu verstehen, dass unser Herz das maßgebliche Organ für unser Tun ist. Nur wer sein Herz gereinigt hat, kann überhaupt die Kontaktaufnahmen zu Gott wagen: „Wie könnt ihr Gutes reden, wenn ihr böse seid? Denn wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil er Gutes in sich hat, und ein böser Mensch bringt Böses hervor, weil er Böses in sich hat“ (Mt. 12: 34; vgl. Spr. 4: 24; Hiob. 33: 3; Neh. 9: 8; Ps. 50: 12, 19; Mt. 5: 8, 28; 9: 4; 11: 29; 12: 34; 15: 18-19; Mk. 7: 21-22; Lk. 6: 45; Joh. 12: 40 u.v.m.). Weitere Beispiele im Alten und Neuen Testament gibt es zuhauf. Die angeführten Stellen reichen aber aus, um zu verdeutlichen, warum es in der orthodoxen Askese zuallererst um die Reinhaltung des Herzens geht. Dies steht, wohlgemerkt, im direkten Gegensatz zu allen Modellen weltlicher Ethik oder nicht-christlicher Mystik. Die in allen sonstigen Wertesystemen vorhandene Moral zielt ja einzig auf das äußere Handeln des Menschen ab: „Tue dies, unterlasse jenes!“ Orientalische Kulte kennen zudem den unter größten Anstrengungen herbeigeführten Zustand der Leidenschaftslosigkeit, der aber hasserfüllt sein kann und nicht mit einem gereinigten Herzen (s. Mt. 5: 8) einhergeht. - Ebenso kann sich ein Mensch, der nichts Böses tut, alle äußeren Normen des Gesetzes erfüllt, hilfsbereit und zuvorkommend ist, getrost als moralisch bezeichnen, und irrt dabei nicht. Aber war das nicht auch der Pharisäer aus dem uns bekannten Gleichnis (s. Lk. 18: 9-14)?! Es ist offensichtlich, dass bloß moralisches oder gesetzestreues Handeln nicht oberstes Ziel der christlichen Lehre sein kann. Ich kann, wie der besagte Pharisäer, gute Werke verrichten, dabei aber hochmütig, menschenverachtend und berechnend sein. Wie stehe ich dann aber vor Gott da?..
Henoch, Noah, Abraham und Hiob kannten kein Gesetz, doch sie unterschieden sich von ihren Mitmenschen. Wodurch? - Dadurch, dass jeder von ihnen „seinen Weg mit Gott gegangen“ war (Gen. 5: 22, 24; 6: 9). Es war die Reinheit des Herzens, die sie empfänglich für die Botschaft Gottes sein ließ. Und das ist die Voraussetzung für ein Leben nach dem Geist: „Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes“ (Röm. 8: 14).
Wir können uns auch nicht immer auf den Buchstaben des Gesetzes berufen – die Heilige Schrift, Kanones, Heiligenviten – sondern müssen in bisweilen äußerst schwierigen Situationen, für die es keine eindeutigen Präzedenzfälle gibt, eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen. Was dient mir also als moralischer Kompass? - Der Glaube wie bei Abraham (s. Gen. 15: 6) und die Gottesfurcht wie bei Hiob (s. Hiob 1: 1); sie brauchten kein Gesetz, um Gottes Willen zu erfüllen (s. Gal. 5: 23). So auch die Heiligen der christlichen Ära.
Im mittelalterlichen Nowgorod gab es den Brauch, verurteilte Verbrecher mit rücklings verbundenen Händen von der Brücke in den Wolchow-Fluss zu stoßen. Als dies wieder einmal geschehen sollte, schritt gerade der hl. Varlaam von Chutyn´ (+ 1192) über die Brücke. Er bat darum, den Delinquenten zu verschonen und bei sich aufnehmen zu dürfen, verbürgte sich für dessen weitere Unbescholtenheit. Einige Zeit später wurde wieder ein Mann zur Hinrichtung gebracht. Wieder kam der heilige Mönch zum Ort des Geschehens, ging diesmal aber wortlos vorbei... Nun bin ich aber gespannt, ob Sie erraten können, in welchem der beiden Fälle es sich um einen zurecht Verurteilten handelte, und in welchem um einen Unschuldigen...
Gott wendet alles zum Heil unserer Seelen, auch das vermeintlich Böse. Die Strafe für den Sündenfall war der Tod – aber nur so konnte der Vermehrung der Sündhaftigkeit auf Erden ein Ende gesetzt werden und nur so konnten wir durch den freiwilligen Tod Christi zu Teilhabern der Auferstehung werden; die Sintflut zerstörte die alte Welt – doch Noah und seine Familie waren von Gott auserwählt, Ausgangspunkt für eine in Gott erneuerte Menschheit zu werden; die Volkszählung unter Kaiser Augustus (ein weltbewegendes Ereignis für die damalige Zeit) diente in Gottes Heilsplan nur dazu, dass sich die Prophezeiung von der Geburt des Messias in Bethlehem erfüllen sollte (s. Mt. 2: 6). Gott ist der Herrscher der Welt!!! Der Möchtegern-Potentat führte den Herrn Jesus „auf einen sehr hohen Berg“ (Mt. 4: 8) und zeigte Ihm alle Reiche der Welt. Vor einem halben Jahr standen wir in Jericho (das liegt auf etwa 420 m unter N.N.) am Fuße dieses Berges, dessen Gipfel unter dem Meeresspiegel liegt. Auch hierin tritt der Betrug des Teufels symbolisch zutage: Der „Gipfel“ war in Wirklichkeit eine Mulde, von der man schon rein optisch nichts überschauen kann. Deshalb dürfen wir uns angesichts beunruhigender Medienberichte (s. Mt. 24: 6; Mk. 13: 7; Lk. 21: 9) nicht beirren lassen. Wir müssen nur achtgeben, dass bei uns nicht „die Missachtung von Gottes Gesetz überhandnimmt“ und bei uns nicht „die Liebe erkaltet“ (Mt. 24: 12). Deshalb ergeht heute die Ermahnung an uns alle: „Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ (1. Kor. 16: 13-14). Amen.