Predigt zum 14. Herrentag nach Pfingsten (2 Kor. 1:21-2:4; Mt. 22:1-14) (10.09.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
im heute vorgetragenen Abschnitt aus dem zweiten Korintherbrief erläutert der heilige Apostel Paulus das grundlegende Element unseres Glaubens – der Taufe „aus Wasser und Geist“ (Joh. 3:5). An die Gemeinde von Korinth wählt er folgende Worte: „Gott aber, Der uns und euch in der Treue zu Christus festigt und Der uns alle gesalbt hat, Er ist es auch, Der uns Sein Siegel aufdrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben hat“ (2 Kor. 1:21). Der heilige Apostel Johannes fügt diesen Worten noch weitere hinzu: „Ihr habt die Salbung von Dem, Der heilig ist, und ihr alle wisst es. Ich schreibe euch nicht, dass ihr die Wahrheit nicht wisst, sondern ich schreibe euch, dass ihr sie wisst und dass keine Lüge von der Wahrheit stammt“ … „Für euch aber gilt: Die Salbung, die ihr von Ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr braucht euch von niemand belehren zu lassen. Alles, was Seine Salbung euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Bleibt in Ihm, wie es euch Seine Salbung gelehrt hat“ (1 Joh. 2:20-21; 27).
Es besteht kein Zweifel daran, dass mit der Salbung die Gabe des Heiligen Geistes gemeint ist. Zu Anfang der ersten christlichen Generation wurde die Gabe des Heiligen Geistes noch durch Handauflegung der Apostel übertragen (s. Apg. 8:14-17; 19:1-7), kurze Zeit darauf wurde dieses Mysterium durch die Salbung gespendet, wie es bis heute bei uns geschieht. Dabei wird jeder Empfänger dieser göttlichen Gabe zum Angehörigen des auserwählten Geschlechts, zum Träger der königlichen Priesterschaft, zum Spross des heiligen Stammes und zum Bestandteil von Gottes besonderem Eigentum, damit jeder einzelne von uns die großen Taten Dessen verkünde, Der uns aus der Finsternis in Sein wunderbares Licht gerufen hat. Vorher waren wir (Heiden) nicht Sein Volk, jetzt aber sind wir Gottes Volk; einst gab es für uns kein Erbarmen, jetzt aber haben wir Erbarmen gefunden (s. 1 Petr. 2:9-10). Welch eine erhabene Berufung wir haben, als Volk Gottes, als das Neue Israel (vgl. Ex. 19:5-6) die großen Taten Dessen zu verkünden, Der uns aus der Finsternis in Sein wunderbares Licht berufen hat. Aber diese Berufung bringt auch eine unvorstellbar große Verantwortung mit sich. Davon handelt auch das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl, das wir uns heute zu Gemüte führen.
Ähnlich wie mit dem Abbild Gottes, das wir Menschen seit dem Moment der Zeugung im Mutterleib in uns tragen, und der Ähnlichkeit Gottes, die uns Gott im Mysterium des Heiligen Geistes (der Myronsalbung) „als ersten Anteil (…) in unser Herz gegeben hat“ (s.o. 2 Kor. 1:21), unterscheiden wir hier zwischen Berufung und Erwählung. Erstere ist uns gegeben, Letztere muss erst erworben werden. Berufung allein führt jedenfalls nicht zur Errettung der Seele, „denn viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt“ (Mt. 22:14). Wenn auch das Abbild des drei-einigen Gottes in allen Menschen unauslöschlich vorhanden ist (der Mensch bildet eine Dreiheit aus Verstand, Gefühl und Willen), hängt es vom Zusammenwirken dieser Drei ab, ob der Mensch diese Einheit zur Ähnlichkeit Gottes tatsächlich auch verwirklicht. Nur dann wird dieses unfassbare Gnadengeschenk Gottes auch zum Heil führen, weshalb uns der heilige Apostel ermahnt: „Beleidigt nicht den Heiligen Geist Gottes, Dessen Siegel ihr tragt für den Tag der Erlösung“ (Eph. 4:30). Und der Herr spricht typologisch von dieser vollkommenen Einheit, wenn Er sagt: „Wo zwei oder drei in Meinem Namen versammelt sind, da bin Ich mitten unter ihnen“ (Mt. 18:20). Aus der Verantwortung vor Gott kann man sich auch nicht hinausstehlen, denn „unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm. 11:29).
Durch die Salbung mit dem Heiligen Geist gehören wir alle der königlichen Priesterschaft an – vom Patriarchen bis zum einfachen Gläubigen. Priesterliche Ämter, die ebenfalls durch Handauflegung der Aposteln bzw. Bischöfe (s. Apg. 14:23; 1 Tim. 4:14; 2 Tim. 1:6) vergeben wurden, haben eine ausschließlich funktionale Bedeutung, da sie für den Dienst der Kirche „in Anstand und in Ordnung“ (1 Kor. 14:40) unabdinglich sind.
Wie unvorstellbar glücklich darf sich aber eine Ethnie fühlen, die von Gott mit einer besonderen Mission beauftragt worden ist. Im Alten Bund war dies das Volk Israel, das als das von Gott „erwählte“ Volk bezeichnet wird (s. Röm. 11:28). Rein faktisch hat Gott aber die Juden nicht aus einer Vielzahl bestehender Völker erwählt, sondern Sein eigenes Volk aus dem Samen Abrahams entstehen lassen (s. Jes. 51:2). Doch sind sie Gott ungehorsam geworden. Nun sind die ehemaligen Heiden zu Erben der Verheißungen Gottes geworden. Doch gibt es nichts Schlimmeres als wenn sich ein Volk allein aufgrund seiner Berufung einbildet, schon erwählt zu sein. Je größer die Verantwortung eines Volkes vor Gott, desto höher auch die von Gott aufgelegte Messlatte in Bezug auf dieses Volk. Wir wissen von den Leiden der Israeliten im Alten Testament, die allesamt unnötig gewesen wären, hätten sie sich nur Gottes Willen unterworfen (s. Ps. 80:14-15). Aber was geschieht heute im orthodoxen Russland? Wir beklagen zurecht, dass zwischen 2014 und 2022 etwa 14.000 Menschen bei militärischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine umgekommen sind. Inzwischen dürften es mehrere Hunderttausend sein. Aber im gleichen Zeitraum wurden in Russland an die 5 Millionen Kinder „legal“ im Mutterleib umgebracht. Die, welche dann doch geboren werden dürfen, werden dann selbstverständlich orthodox getauft. Also, eine größere Diskrepanz zwischen Berufung und Erwählung kann ich mir gar nicht vorstellen. Und wir klagen noch unser Leid vor Gott?! Ich kann es nicht fassen. Amen.