Predigt zum 22. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 6:11-18; Lk. 16:19-31) (08.11.2020)
Liebe Brüder und Schwestern,
das Gleichnis vom reichen Mann und vom Bettler Lazarus ist ein passgenaues Spiegelbild der Menschheit: Obwohl jederzeit mehr als genug für alle vorhanden ist, leben einige Wenige in Luxus, während die große Mehrheit Not leidet. Haben also die Gottlosen recht, wenn sie behaupten, das Leid so vieler Menschen lasse „den lieben Gott scheinbar ungerührt“? - Mitnichten. In Gottes Gerechtigkeit wird am Ende alles umgedreht: „Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein“ (Mt. 19:30; Mk. 10:31; vgl. Lk. 13:30). Und es ist die absolute Gerechtigkeit! Diese Aussage über den endgültigen Ausgang jeglicher Unrechtsordnung in dieser Welt liefert auch die Antwort auf die Frage, „warum Gott dies alles zulässt“. Mehr noch: wir werden aufgefordert, in diesem Leben freiwillig auf das Streben nach privilegierten Stellungen zu verzichten: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk. 9:35; s. Mt. 20:26-27; Mk. 10:43-44; vgl. 1 Kor. 7:21). Das ist die wahre Nachfolge Christi (s. Phil. 2:7)!
Aus menschlicher Sicht scheint es nicht gerecht zu sein, dass der eine (von Haus aus) reich, der andere aber arm ist. Ferner gibt es Gesunde und Kranke, Schöne und Unansehnliche, Hochtalentierte und mäßig Begabte usw. Aber Gott ist nicht ungerecht. Für Ihn kommt es nicht darauf an, was einer „in die Wiege gelegt bekommen hat“, sondern darauf, was er aus seinem Los macht. Dabei gilt: „Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen“ (Lk. 12:48). Der Arme wurde nicht automatisch gerettet, weil er arm war; hätte er nämlich sein Schicksal verflucht, Gott gelästert und den Reichen verdammt, wäre er nicht gerettet worden. Er erduldete aber das ihm zugewiesene Los mit Geduld und Demut. In seiner Situation war passives Wohlverhalten schon heilbringend.
Nicht so beim Reichen. Auch er wurde nicht verurteilt, nur weil er reich war. Gott hat es nun mal so gefügt, dass es wenige Reiche und viele Arme gibt (s. Mt. 26:11; Mk. 14:7; Joh. 12:8). Heilige wie Abraham, Hiob, Joachim, Philaret oder Seraphim von Vyritsa waren reiche oder wohlhabende Leute. Entscheidend aber war ihr Umgang mit Gottes Gaben. So wurde auch von unserem Reichen erwartet, dass er aktiv die von Gott gegebenen Güter gewinnbringend verwaltet (s. Mt. 25:1-13; Lk. 19:11-27). Er war ja kein durchweg böser Mensch, denn immerhin sorgte er sich um die Seinen (s. Lk. 16:27-28), doch das war in seinem Fall nicht genug (s. Mt. 5:46-47; Lk. 6:32-34). Er hatte es nämlich versäumt, sich zu Lebzeiten um den Fremden, der sein „Nächster“ war (s. Lk. 10:29ff), zu kümmern. Denn „das ganze Gesetz samt den Propheten“ hängt (mit) am Gebot der Nächstenliebe (s. Mt. 22:40). In Ermangelung derselben hätten auch die fünf Brüder des Reichen, die selbstverständlich „Mose und die Propheten“ kannten, niemals ihre Lebensweise geändert (s. Lk. 16:29-31). Wie die todkranke Frau, die in ihrer Verzweiflung zu Erzpriester Dimitrij Smirnov (+ 2020) kam. Er sagte ihr, wie sie leben solle (nämlich fromm), dann hätte sie noch viele Jahre vor sich. Sie aber: „So kann ich nicht leben!..“ - Sie starb nach einem Monat.
Somit war für den Armen ausreichend, „passiv zum Bösen“ zu sein. Das war der Reiche ja ebenso, doch von ihm wurde mehr erwartet: „aktiv im Guten“ zu sein.
Allerdings war der Arme keinesfalls passiv im Glauben, sonst wäre er nicht ins Paradies gekommen. Für karitative Werke fehlten ihm die Mittel. Dafür hatte er womöglich für seinen unbarmherzigen Nachbarn gebetet (s. Mt. 5:44), statt ihn zu verfluchen. Er machte einfach das Beste aus seiner Lage. Ein Indiz dafür Erkennen wir in dem Umstand, dass der Arme mit Namen genannt wird, der Reiche aber nicht. Christus, der Gute Hirte, „ruft die Schafe, die Ihm gehören, einzeln beim Namen“ (Joh. 10:3; vgl. Jes. 62:2; Offb. 2:17). Der Reiche wird nicht namentlich genannt, weil er nicht ins „Buch des Lebens“ eingeschrieben (Offb. 3:5; 13:8; 17:8; 20:12; 21:27) und sein Name nicht „im Himmel verzeichnet“ ist (Lk. 10:20), denn bei ihm wirkten Glaube und Werke nicht zusammen, wurde der Glaube nicht durch Werke vollendet (s. Jak. 2:22).
Armsein ist demzufolge auch mit Verantwortung verbunden. Mittellose und Unglückliche können ebenso der Versuchung erliegen, die besser Situierten zu beneiden und zu verdammen. Die Verantwortung der Vermögenden ist aber höher, da sie etwas von dem zurückgeben müssen, was sie erhalten haben.
Im vormals christlichen byzantinischen Ägypten lebte ein Mann namens Eulogios, der von früh bis spät in einem Steinbruch rackerte, danach aber immer noch die Kraft und die Mittel fand, bei sich zu Hause einkehrende Fremde aufzunehmen, sie von seinem kargen Lohn zu beköstigen und ihnen die Füße zu waschen. Als ein Altvater dies sah, dachte er bei sich: „Was würde dieser Mann erst Gutes tun können, wenn er reich wäre?! - Und so betete er zu Gott… Kurz darauf traf Eulogios mit seinem Eisenpickel auf eine Schatztruhe. Er ging darauf in die Reichshauptstadt Konstantinopel und nahm eine bedeutende Stellung am Hofe des Kaisers ein. Doch für Bedürftige gab er nicht einmal soviel, wie er als armer Arbeiter gegeben hatte. Als der Altvater davon erfuhr, reute es ihn, dass er „Gott ins Handwerk gepfuscht hatte“, und er betete erneut… Kurz darauf wurde am Hofe gegen Eulogios intrigiert, er verlor die Gunst des Kaisers, sein Vermögen, seine Stellung, sein Ansehen – und kehrte in seine Heimat zurück, schuftete wieder tagsüber im Steinbruch und beherbergte bei sich nachts arme Reisende (aus dem Prolog). Aus wenig machte er viel, aus vielem wenig.
Wollen wir also nicht eigenmächtig nach dem „Paradies auf Erden“ streben, das der Reiche für das „einzig wahre“ Leben hielt. „Seid zufrieden mit dem, was ihr habt“ (Hebr. 13:5), sagt die Heilige Schrift. Darin liegt unser Heil. Amen.
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2020
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