Predigt zum dritten Herrentag der Großen Fastenzeit / Kreuzverehrung (Hebr. 4:14-5:6; Mk. 8:34-9:1) (22.03.2020)
Liebe Brüder und Schwestern,
am heutigen Tag der Kreuzverehrung ist etwas eingetreten, was sich bislang kaum einer hat vorstellen können: Gläubige in vielen Ländern weltweit können wegen des COVID-19-Virus nicht am Gottesdienst in der Kirche teilnehmen. Von mehreren Seiten kommen nun konfessionsübergreifende Aufrufe und Vorschläge zum gemeinsamen Gebet für die Kontaminierten und Erkrankten, für die von Infizierung am meisten gefährdeten Personengruppen, für das medizinische Personal, die Regierenden, für diejenigen, die sich der Gefahr von Berufs wegen aussetzen müssen, die zahlreichen Freiwilligen usw. Alles schön und gut. Als aber ein römisch-katholischer Pfarrer im Internet den Gedanken äußerte, eine solche Pandemie könne doch in einem gewissen Zusammenhang mit unserer sündhaften Lebensweise stehen, gab es sofort einen beispiellosen Sturm der Entrüstung im Netz: Ein absurder Rückfall ins mittelalterliche Denken sei das! - Aber, die Frage sei doch wohl gestattet: Wenn der liebe Gott uns diese Prüfung nicht unserer Sünden wegen auferlegt, - weshalb dann?! Wenn wir keine elendigen Sünder sind, wozu musste Sich der Schöpfer des Alls dann überhaupt ans Kreuz nageln lassen und einen schmachvollen Tod erdulden? Dann muss Gott aus Sicht dieser nominellen Christen nun schlecht gelaunt sein, und hat Spaß daran, völlig Unbeteiligte dafür büßen zu lassen...
Gott, der verschiedene Dinge zulässt, hat Tieferes im Sinn, denn „wir wissen, dass Gott bei denen, die Ihn lieben, alles zum Guten führt, bei denen, die nach Seinem ewigen Plan berufen sind“ (s. Röm. 8:28). Dieser „ewige Plan“ wird heute nun wirksam, so wie übrigens auch gestern und vorgestern. Nicht mehr und nicht weniger. Es dürfte also von Vorteil sein, auf der Seite derer zu stehen, die Gott lieben! Tun wir das aber? - Die Kirche gewährt uns heute die Gelegenheit zur Selbstkontrolle, damit wir erkennen, wie man Christus Gott seine Liebe zu erweisen hat. Der Herr spricht nämlich: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst und folge Mir nach. Denn wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben um Meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis könnte ein Mensch sein Leben zurückkaufen?“ (Mk. 8:34b-38).
Erkennt jemand von Ihnen hier einen Grund, anhand der gegenwärtigen Lage in Panik zu verfallen?! - Wer Christus liebt, wird doch, wenn es von ihm verlangt wird, gerne verhungern oder im Kerker schmachten, wenn es dem Willen des Allerhöchsten entspricht. Es kommt es in Hinblick auf das Seelenheil nur darauf an, dass wir den Herrn Jesus lieben (s. 1 Kor. 16:22). Beweisen wir es jetzt!
Am heutigen dritten Fastensonntag verehren wir – jeder situationsbedingt auf die ihm z.Z. zugängliche Weise – das lebensspendende Kreuz des Herrn. Zu früheren Zeiten wurde das Kreuz des Herrn während der Seuchenzeit in einer feierlichen Prozession aus der Hagia Sophia herausgetragen, um die Brunnen und Quellen der Kaiserstadt zu segnen und so alle Krankheitserreger im Keim ersticken zu lassen. Heute hingegen werden Kirchen wegen der Ansteckungsgefahr geschlossen. O tempora, o mores!.. Aber was für eine Kraft besaß das gemeinsame Gebet aller Gläubigen doch damals, als die Menschen ihre Hoffnung „nicht auf Herrscher, auf Menschenkinder, bei denen kein Heil ist“ (Ps. 145:3), sondern auf den Herrn setzten, - und Buße taten! Also können auch wir heute wenigstens zu Hause verstärkt dafür bitten, dass der Herr das drohende Unheil von uns abwendet, denn etwas anderes können wir (außer der Einhaltung der vorgeschriebenen hygienischen Vorsichtsmaßnahmen, versteht sich) jetzt nicht tun. Eigentlich beten wir nahezu unbedacht (im blinden Vertrauen auf das staatliche Gesundheitssystem) bei jeder Litanei darum, von todbringenden Seuchen verschont zu werden. Und notfalls, wenn die hochtechnisierte Welt kein Gegenmittel hat, kann man sich ja immer noch vertrauensvoll an die letzte und höchste Instanz wenden. Die ist ja immer da.
Auch mir bleiben die Beweggründe für das Handeln Gottes nach wie vor verborgen. Ich weiß nur, dass unser Schicksal in Gottes Hand ist. Sicher bin auch ich kleinmütig und schwach im Glauben. Aber dann kann ich doch wenigstens die Gelegenheit nutzen, diesen wieder zu stärken, indem ich z.B. die Situation so annehme wie sie ist. Wir können doch jetzt nicht einfach die Hände in den Schoß legen! - Weltweit beten orthodoxe Christen täglich von 22.00 bis 22.15 Uhr Ortszeit: „Herr, Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich Deiner Welt!“ - Es ist Seine Welt, noch dazu die einzige! Alles, was in ihr passiert, geschieht zu unserem Heil, „denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass Er Seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh. 3:16). Und wir sind so kleingläubig?!
Der Weckruf kommt zur rechten Zeit. Es ist geradezu selbstzerstörerisch, das Leben ohne Gott genießen zu wollen (s. Lk. 12:19). Wir können jetzt im Glauben wachsen – oder Toilettenpapier horten. Das ist nämlich die Alternative. Nicht zum Zwecke ungezügelter Vergnügung und Genusssucht erschuf Gott diese Welt! Gott ist die Quelle aller Freude, Seine Liebe ist unermesslich und kein Preis war Ihm zu hoch für unsere Erlösung (s. 1 Kor. 6:20)! Es wäre demnach schon viel erreicht, wenn wir Ihm unsere täglichen Gebete mit Aufmerksamkeit und voller Ehrfurcht vortragen würden. Das ist die Grundlage für die Genesung der Seele und des Leibes! „Lasst uns also voll Zuversicht hingehen zum Thron der Gnade, damit Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit“ (Hebr. 4:16). Diese Hilfe brauchen wir, um uns wenigstens geringfügig am Tragen des Kreuzes des Herrn zu beteiligen. Amen.