Predigt zum Lazarus-Samstag (Hebr. 12:28 – 13:8; Joh. 11:1-45) (31.03.2018)
Liebe Brüder und Schwestern,
in der ganzen Erzählung von der heute von uns gefeierten Auferweckung des Lazarus spiegelt sich die besondere Nähe des Herrn zu Lazarus und seinen beiden Schwestern wider (s. Joh. 11:5). Diese heilige Familie genoss die Gunst, als Freunde des Herrn zu gelten (s. 11:3,11,35), und zwar im ganz irdischen Sinne. Denn Seiner menschlichen Natur nach konnte der Herr fühlen wie jeder von uns, Emotionen und Präferenzen haben - so hatte Er eindeutig einen Lieblingsjünger (s. Joh. 20:2; 21:20), so fühlte Er sich besonders wohl im Hause des Lazarus und seiner beiden Schwestern, deren Gastfreundschaft Er gerne genoss (s. Joh. 11:2; 12:3). Und jetzt wollen wir uns doch mal ansehen, wie sich diese Freundschaft auf das Leben dieser Familie auswirkte, denn die Vermischung aus menschlicher Zuneigung und göttlicher Liebe stellt - wie wir sehen werden - ein Spiegelbild auch unserer Beziehung zu Gott dar.
Diese Familie war dem Herrn treu ergeben, lebte nach den Geboten Gottes, sorgte sich stets um Sein leibliches Wohl und um das Seines Gefolges, hörte unermüdlich Seinen Worten zu (s. Lk. 10:39-40). Wer, wenn nicht diese Familie konnte mit Fug und Recht von sich behaupten, für den Herrn Jesus Christus wie die engste Verwandtschaft zu sein (vgl. Mt. 12:50; Mk. 3:35; Lk. 8:21)?! - Jetzt aber brauchen sie Seine Hilfe: Lazarus ist schwer erkrankt, es geht dem Ende zu. Sie wissen ja, dass der Herr Jesus Christus bloß zu kommen braucht, um ihn wieder aufzurichten, weshalb sie nach Ihm rufen lassen. Aber Er macht überhaupt keine Anstalten, um nach Betanien zu kommen, bleibt noch zwei Tage an dem Ort, an dem Er Sich gerade aufhält, wartet solange, bis Lazarus tot ist. Erst dann macht Er Sich auf den Weg, wobei Er Seine engsten, Ihm auf Gedeih und Verderb ergebenen Freunde ebenfalls der Gefahr aussetzt, mit Lazarus zu sterben (denn das sollen die Worte des Thomas ausdrücken - s. Joh. 11:16). Würde jemand von uns so mit seinen Freunden umgehen?! - Das ist gewiss keine menschliche, sondern, aus irdischer Sicht, sogar eine unmenschliche Vorgehensweise. Hier aber kommt die göttliche Weisheit und Vorsehung zum Tragen: "Wen der Herr liebt, den züchtigt Er" (Spr. 3:12; vgl. Offb. 3:19). "Der Herr Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit" (Hebr. 13:8). Hat Er nicht vorher schon Seine treu ergebenen Knechte Hiob und Abraham furchtbarsten, jedes menschliche Vorstellungsvermögen übersteigenden Prüfungen ausgesetzt (s. Gen. 22; Hiob. 1-2)? Und weshalb? - Weil sie zu ihrer Zeit Gottes einzige Getreuen auf dem ganzen damaligen Erdkreis waren. Sonst gab es niemanden, den Gott hätte prüfen können.
Nun also Lazarus, der als einer der letzten Gerechten des Alten Bundes den Tod ohne die Hoffnung auf die schon erfolgte Auferstehung kosten muss. Nein, grausamer geht es nicht! Auch wir kennen das. Wir verzichten auf mancherlei Annehmlichkeiten des irdischen Lebens, versuchen fromm und nach dem Gewissen in der Befolgung der Gebote unseres Herrn zu leben, werden aber oftmals - so scheint es - viel härter geprüft als unsere areligiösen Mitmenschen. Bei dem schrecklichen Massaker in der Schule von Beslan (Nordossetien) im September 2003 starben mehrere Kinder einer streng religiösen (und deshalb vielleicht einzig kinderreichen) Familie aus dem Ort. So wie die Leute damals in Betanien ihre Häme nicht verbergen konnten (s. Joh. 11:37), so sagten auch hier manche Formalgläubige zu den Eltern der Kinder: "Was haben euch euer Glaube und eure Frömmigkeit genutzt, wenn Gott eure Kinder nicht aus dem Kugelhagel der Islamisten gerettet hat?!" Auch Hiobs Frau redete einstmals so (s. Hiob. 2:9). Aber gerade in unerschütterlich Gläubigen zeigt sich doch, dass der leibliche Tod nicht das letzte Wort ist, denn "über solche hat der zweite Tod keine Gewalt" (Offb. 20:6). Der Herr sagt ja: "Amen, amen, Ich sage euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben" (Joh. 6:47). Also ergibt alles Leid dieser Welt mit Christus doch einen vollkommenen Sinn: "Amen, amen, Ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und Sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer Mein Fleisch isst und wer Mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und Ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Denn Mein Leib ist wirklich eine Speise, und Mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer Mein Fleisch isst und Mein Blut trinkt, der bleibt in Mir und Ich bleibe in ihm" (Joh. 6:53-56). Der praktizierte Glaube überwindet die menschliche Schwäche und übersteigt das menschliche Denken. Christ sein bedeutet demnach viel mehr als bloß Verfechter eines humanistischen Weltbildes zu sein. Nur der gelebte Glaube führt ins ewige Leben: "Amen, amen, Ich sage euch: Wenn jemand an Meinem Wort festhält, wird er auf ewig den Tod nicht erleiden" (Joh. 8:51).
Klar, Marta und Maria hätten sich aus menschlicher Sicht gewünscht, ihr Bruder wäre nicht gestorben (s. 11:21,32), doch ihr Glaube, ihr Vertrauen und ihre Ergebenheit mündeten in der völligen Zuversicht Martas: "Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum Du Gott bittest, wird Gott Dir geben" (11:22). Und der Herr verdeutlicht ihr nun, dass Er dieser Gott ist, der vor ihr steht: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an Mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an Mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?", worauf Marta bekennt: "Ja, Herr, ich glaube, dass Du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll" (11:25-27).
Mehr Auferstehung geht nicht an einem Samstag. Der Orthros zu diesem Fest enthält einige Elemente der Auferstehungsfeier, die sonst nur im sonntäglichen Orthros gesungen werden ("Der Chor der Engel war erstaunt", "Christi Auferstehung haben wir geschaut", "Heilig ist der Herr, unser Gott"). Es ist die "Auferstehung vor der Auferstehung" zur Stärkung unseres Glaubens. Amen.