Predigt zum 4. Herrentag nach Ostern / Gedächtnis des aufgerichteten Gelähmten / Übertragung der Gebeine des hl. Nikolaos von Myra nach Bari (Apg. 9: 32-42; Joh. 5: 1-15) (22.05.2016)
Liebe Brüder und Schwestern,
wieder beginnt die Phase der sonntäglichen Lesungen um Mitpfingsten, in denen das Wasser als Grundstoff des physischen Lebens zum Symbol der belebenden Gnade des Heiligen Geistes wird (vgl. Joh. 7: 37-39). Heute lesen wir von einem Gelähmten, welcher seit 38 Jahren vergeblich bemüht ist, Heilung am Schafstor zu bekommen. Gott sendet den Menschen reichlich Seine Gnade (s. Joh. 5: 4), doch Er will, dass die Menschen behutsam und verantwortungsbewusst mit ihr umgehen. Doch weder die abgehobene geistliche Führungsschicht, noch das gemeine Volk erweisen sich dieser Gnade als würdig. Hätte man die von Gott geschenkte Segnung nicht in geregelten Bahnen in Gestalt einer Art „Warteliste“ organisieren können, was wohl im Verantwortungsbereich der geistlichen Obrigkeit läge, und hätte man sich seitens des Volkes nicht selbst auf einen gerechten Verteilungsschlüssel der ausgegossenen Hilfe unter Berücksichtigung der Schwere und der Dauer der Krankheit einigen können?!.. Stattdessen regieren Gleichgültigkeit seitens der Oberen und Egoismus seitens der Niederen. Dabei hätte Gott gewisslich Seine Gnade noch weiter vermehrt, wenn Er würdige Empfänger derselben in den Menschen gesehen hätte. So tat Er es z.B, als ein Junge fünf Brote und zwei Fische in der Einöde hatte. Dieser hätte ja auch sagen können: „Für die vielen Tausend reicht es eh´ nicht, aber für mich allein ist es gerade genug“. Tat er aber nicht. Und Gott ließ das Wunder geschehen. Und so könnte es in allen Dingen dieser Welt sein. Nicht Gott entzieht uns Seine Liebe, sondern wir Menschen erweisen uns ihrer als unwürdig. Gandhi hatte recht, als er feststellte, dass es in der Welt genügend natürliche Ressourcen zur Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen gäbe, nicht aber zum Stillen ihrer Begierden. Deshalb sollen wir ja auch lediglich um das „tägliche Brot“ bitten, und nicht um Überflüssiges, „denn wir haben nichts in die Welt mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen. Wenn wir Kleidung und Nahrung haben, soll uns das genügen. Wer aber reich werden will, gerät in Versuchungen und Schlingen, er verfällt vielen sinnlosen und schädlichen Begierden, die den Menschen ins Verderben und in den Untergang stürzen“ (1. Tim. 6: 7-9). Gott gibt jedem das, was er braucht.
Heute heilt der Herr einen Mann in der Hoffnung, dass dieser die richtigen Schlüsse aus dem ihm widerfahrenen Leid zieht: „Jetzt bist du gesund; sündige nicht mehr, damit dir nicht noch Schlimmeres zustößt“ (Joh. 5: 14). Doch was tut dieser? - Er denunziert seinen Wohltäter bei den Juden dafür, dass Dieser ihn am Sabbat geheilt hatte (s. 5: 15-16). Unvorstellbar, sollte man meinen.
In der Realität vergessen die Menschen Gott jedoch tagtäglich, erweisen sich Ihm gegenüber als undankbar. Die Kirche ist zu einer Art Notfallstation verkommen, an die man sich nur dann zu wenden braucht, wenn es einem dreckig geht. Und wenn Abhilfe geleistet worden ist, kann man sich wieder seinem gottlosen Lebensstil zuwenden. Hauptsache, die Notrufnummer für Hilfe von oben in allen Lebenslagen ist ist im Handy gespeichert.
Oftmals kriege ich zu hören: „Das wichtigste ist die Gesundheit“. Wirklich? - Man kann sich von Leinsamen und Kräutertee ernähren und hundert Jahre alt werden, aber zu welchem Zweck? Es kommt doch vielmehr darauf an, was man mit der einem von Gott vorherbestimmten Lebenszeit, den von Ihm verliehenen Fähigkeiten macht und wie man die sich bietenden Möglichkeiten nutzt. Gesundheit und Wohlergehen sind zwar schön, aber als Selbstzweck würde ich sie nicht ganz oben auf meiner Werteskala ansiedeln. Die hl. Matrona von Moskau (+1950) wurde blind geboren, war seit ihrer frühesten Kindheit gelähmt, doch statt endlos über ihr Dasein als Pflegefall zu lamentieren, vermehrte sie die ihr gegebene göttliche Gnade, so dass sie wie zu Lebzeiten, so auch nach ihrem Heimgang abertausend Menschen im Leid helfen konnte.
Heute klagen Menschen Gott wegen der Missstände in der Welt an und verkennen dabei, dass Gott ihnen diese Welt anvertraut hat. Wenn sie nach Seinem Willen leben, kann und wird Er im Bedarfsfall eingreifen können. Doch solange es den Menschen persönlich gut geht, bevorzugen sie die Deregulierung durch Gott: „Bitte nicht stören, wir kommen schon alleine zurecht!“
Einer der Mächtigsten dieser Welt vergaß trotz vorheriger Warnung des Propheten, dass seine Macht von Gott ist. Anstatt Armen Gutes zu tun, maß er sich an, sich seine Herrlichkeit selbst zuzuschreiben. Als sich die Worte des Propheten erfüllten, und er Gras fressen musste wie ein Ochse, wurde er aus der Gemeinschaft der Menschen verstoßen. Doch als die Zeit verstrichen war, kehrte sein Verstand in ihn zurück, er pries Gott und erkannte: „Ja, Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft: Sein Reich überdauert alle Generationen. Alle Bewohner der Erde gelten vor ihm wie nichts. Er macht mit dem Heer des Himmels und mit den Bewohnern der Erde, was Er will. Es gibt niemand, der Seiner Hand wehren und zu Ihm sagen dürfte: ´Was tust Du da?`“ (Dan. 4: 31-32). Er musste erst einem Rindvieh gleich werden, um zu erkennen, dass der Mensch nicht Gott gleich, sondern nur das Ebenbild Gottes ist. Und mit uns wird Gott ähnlich verfahren, wenn wir Ihn vergessen. Garantiert! Mahnende Beispiele gibt es zuhauf, Nachahmung nicht empfohlen. Als Vorbild nehme ich mir da lieber den heiligen Nikolai, der in allen Dingen nur Gott gehorchen wollte – selbst als es darum ging, nicht (seinem eigenen Willen entsprechend) als Einsiedler in die Wüste zu gehen, sondern (Gottes Ruf folgend) als Hirte in dieser Welt für die Menschen da zu sein. Schätzen wir uns glücklich, solchen Vorbildern nacheifern zu dürfen! Noch ist Zeit dazu in unserem Leben. Amen.