Predigt zum Hochfest der Hypapante des Herrn / Herrentag des jüngsten Gerichts (Hebr. 1: 7-17; 1. Kor. 8: 8 – 9: 2; Lk. 1: 22-40; Mt. 25: 31-46) (15.02.2015)
Liebe Brüder und Schwestern,
auf dem Höhepunkt der Vorbereitung, eine Woche vor Beginn der Großen Fastenzeit ruft uns die Heilige Kirche zur Besinnung, indem sie uns daran erinnert, dass am Ende der Welt das Gericht Christi stehen wird. Alles was bis dahin jemals in allen nur erdenklichen Bereichen des menschlichen Lebens – Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, Literatur, Kunst etc. erschaffen, alles was von jedem einzelnen Menschen zu jeder Epoche jemals gedacht, gesagt und getan worden sein wird, - all das wird am Tage des Herrn auf den Prüfstand gestellt. Das bedeutet, dass erst an diesem Tage abgerechnet werden wird.
Was wissen wir noch? Dass dieses Gericht des Herrn gerecht und vollkommen objektiv sein wird, dass nichts, aber auch gar nichts dem Richter entgehen wird (s. Mt. 12: 36).
Die Erinnerung an das, was noch bevorsteht, dient dem Zweck der Vorbereitung auf diesen Moment. In den vergangenen Wochen hörten wir so viele Beispiele von scheinbar unanfechtbaren menschlichen Urteilen: das Murren der Leute von Jericho in Bezug auf Zachäus, den Hochmut des Pharisäers gegenüber dem Zöllner, den gekränkten Stolz des älteren Bruders gegenüber dem verlorenen Sohn. All diese selbsternannten Richter blenden die weltumfassende Tatsache aus: „Mein ist die Rache, Ich werde vergelten, spricht der Herr“ (Röm. 12: 19, vgl. Ps. 93: 1, s. Jes. 35: 4 und Jer. 46: 10).
Die Ankündigung des Gerichts durch unseren Herrn macht eines deutlich: die richtige Einstellung bewirkt das richtige Handeln. Die „Schafe“ zur Rechten vollbrachten - anders als die „Böcke“ zur Linken, - Werke der Nächstenliebe, weil sie in den bedürftigen und schutzlosen Mitmenschen das Ebenbild Gottes erkannten (s. Mt. 25: 35-36 bzw. 25: 40), egal ob diese Menschen es „verdient“ hatten oder nicht, denn es steht geschrieben: „Hat dein Feind Hunger, gib ihm zu essen; hat er Durst, gib ihm zu trinken“ (Spr. 25: 21, s. Röm. 12: 20). Auch Gott der Vater lässt nämlich „Seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und Er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt. 5: 45). Er weiß, wozu Er das tut. Er hat uns Menschen zwar mit der rechten Unterscheidungsgabe und einem gesunden Urteilsvermögen ausgestattet, aber Er hat uns nicht dazu eingesetzt, abschließend darüber zu entscheiden, wer oder was gut oder böse ist. „Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden“ (Mt. 6: 37).
Wir sollten endlich begreifen, dass es für alles in der Welt eine „letzte Instanz“ gibt, dass die Macht zu vergelten und zu vergeben bei Christus dem Weltenrichter in im vollkommenen Sinne bestmöglichen Händen ist. Er kennt auch das Verborgene, nur Er kann alles absolut objektiv beurteilen.
Unsere Sünde besteht viel zu oft in unserer subjektiven Denkweise. Wie oft treten wir in zwischenmenschlichen Beziehungen so auf, als ob es nur einen einzig vertretbaren Standpunkt gäbe – und zwar den unsrigen?! Gott wird dabei außen vor gelassen, denn wir meinen oft genug auch ohne Ihn bestens zurechtkommen zu können... Man könnte fast meinen, bei dem Gleichnis vom „Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm“ (Lk. 18: 2) handelte es sich um eine bildhafte Darstellung des Zustandes unserer Seelen. Auch wenn um uns herum viel Lied geschieht und Ungerechtigkeit herrscht, dürfen wir die uns zugewiesene „Baustelle“ nicht aus dem Blick verlieren – unsere eigene Seele, für die Gott dereinst Rechenschaft fordern wird.
Es gibt im Deutschen den etwas saloppen Ausdruck: „Über Gott und die Welt reden“. Damit meint man ein langes, aber belangloses Gespräch über dies und das. Wie kann das aber sein, dass Gott zu einer Banalität herabgestuft wird?! … Wir sollten uns lieber mit aller Ernsthaftigkeit – nämlich um unseres Heiles willen - ständig Gedanken „über Gott und die Welt“ machen, denn aus dieser Haltung entsteht das richtige Denken, entwickelt sich das richtige Handeln. Meine russischen Vorfahren kannten noch die fromme Regel: „Denk an deinen letzten Tag, und du wirst niemals sündigen“. Mein und aller Menschen letzter Tag wird spätestens der „Tag des Herrn“ sein. Ihn muss ich immer im Gedächtnis haben, alles von mir Abhängende auf diesen Tag ausrichten und die vollkommene Gewissheit haben, dass alles außerhalb meiner Macht Stehende spätestens am letzten Tag der Geschichte zurechtgebogen sein wird. Dabei kann die mir und allen Menschen vom Herrn anvertraute Macht, etwas zu tun schon heute enden... Wir wissen nicht wann, aber wir wissen alle, dass dieser Tag kommen wird. Doch in der Realität sieht es anders aus: die meisten Menschen leben so, als würde diese einzige 100%-ge Gewissheit unseres irdischen Daseins nicht existieren. Der Gedanke an den letzten Tag wird unter geflissentlicher Mitwirkung des Widersachers aus dem Bewusstsein verdrängt. Wie oft müssen Priester Menschen beerdigen, die sie zu Lebzeiten nie gesehen haben, die aber Wochen und Monate zuvor bei vollem Bewusstsein auf der Intensivstation ihres Krankenhauses gelegen hatten?! Doch waren weder die nun Verstorbenen selbst, noch ihre Angehörigen auf den Gedanken gekommen, einen Priester zu rufen, damit sich der oder die Betreffende auf den alles entscheidenden Übergang in die Ewigkeit vorbereiten könne! Stattdessen heftet man seine Gedanken nur an das irdische Leben: „Er/sie wird ganz sicher wieder gesund“. Hätten solche nominellen Christen wirklich, wie sie behaupten, „Gott in ihren Herzen“, dann würde ihnen der Gedanke an die Errettung der Seele ganz selbstverständlich kommen. So aber kleben sie mit Herz und Verstand nur an der Erde, und darin liegt wahrlich das „Verdienst“ des Feindes unserer Errettung (s. Gen. 3: 14).
Zu guter Letzt (diese Redewendung ist heute besonders angebracht!) sehen wir, dass mit dem Weltgericht Christi alles wieder auf seinen Platz kommt. All diese von den Leugnern der Existenz Gottes unzählige Male vorgebrachten Argumente, die im Prinzip immer nur eines sagen: „Wenn es einen lieben Gott gibt, warum lässt Er solches Leid in der Welt zu?“, - bieten doch keine echte Alternativlösung an. Sie verleiten die Menschen eher zu der Grundhaltung, die Dostojewskij so formulierte: „Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt“. Und Gerechtigkeit erkenne ich in diesem System nicht einmal ansatzweise. Wenn der Mensch aber weiß, dass alles, was selbst noch am Vortag des jüngsten Gerichts Bestand hatte, dann am Ende vor dem Angesicht der Ewigkeit Gottes nur noch „Schall und Rauch“ sein wird (vgl. Ekkl./ Koh. 1: 2), wird er doch sein zeitliches Leben auf das ausrichten, was nach dem Tag des Gerichts noch Bestand haben wird (s. Mt. 6: 19-21; Lk. 12: 21, 31). Denn alles Unrecht wird ausgemerzt, jede Ungerechtigkeit wird gesühnt werden (s. Lk. 16: 25).
Nur dieses Weltbild ist eines, das endgültige, abschließende, vollkommene und allumfassende Gerechtigkeit schafft. Zudem macht es Leiden erträglich und verleiht der mannigfaltigen Ungleichheit in dieser Welt einen Sinn.
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Diese angesprochene göttliche Gerechtigkeit hat zu unserer Errettung menschliche Gestalt angenommen. Sie beugte Sich sowohl dem weltlichen Gesetz (s. Lk. 2: 4-5), als auch dem göttlichen (s. 2: 21), um zu zeigen, dass alles in dieser Welt nach Gottes Ordnung eingerichtet ist: weltliche Institutionen dienen dem leiblichen Wohl, während die Kirche für das Seelenheil zuständig ist. Diese göttliche Selbsterniedrigung findet ihren vorzüglichen Ausdruck in der Begegnung des Herrn im Tempel am vierzigsten Tag nach Seiner Geburt. Das Gesetz forderte nämlich, dass jede männliche Erstgeburt in Israel als Tribut für die Verschonung durch den Engel des Todes in der Nacht des Auszugs aus Ägypten dem Herrn geweiht werden sollte (s. Ex. 13: 2, 11-16). Später wurde stellvertretend für alle der Stamm Levi für den Dienst im Tempel eingesetzt, so dass alle übrigen Erstgeborenen durch fünf Schekel Silber ausgelöst werden mussten (s. Num 18: 16). Die Mutter des Kindes galt sieben Tage nach der Entbindung als unrein, wie sie es im Alten Bund auch in der Zeit ihrer Regel war. Am achten Tage erfolgte bei Jungen die Beschneidung der Vorhaut sowie die Namensgebung, wonach die Mutter weitere dreiunddreißig Tage das Heiligtum nicht betreten durfte. Bei der Geburt eines Mädchens dauerten die Tage der Unreinheit doppelt so lang (vierzehn Tage), die jedoch auf die restlichen Tage der Reinigung „angerechnet“ wurden, so dass die Mutter schon nach sechsundzwanzig statt nach dreiunddreißig Tagen zum Heiligtum kommen durfte. Am vierzigsten Tag sollte sie nämlich Gott ein Brandopfer und ein weiteres Sündopfer für ihre Reinigung darbringen (s. Lev. 12: 1-8).
Gott fordert von den Menschen aber nichts, was Er Selbst nicht erfüllt hätte. Auch wenn das Kind hier der Gesetzgeber Selbst ist, Der im unbefleckten Leib Seiner Mutter vom Heiligen Geist empfangen worden war, geruhten Er Selbst und Seine Mutter „die Gerechtigkeit, die Gott fordert, ganz (zu) erfüllen“ (Mt. 3: 15). In diesem Sinne ist es heute auch ein Fest der Mutter des Herrn.
Wir leben jetzt in der neutestamentlichen Ära der Gnade (s. Röm 6: 15). Das Gesetz des Mose mit seinen strengen Vorschriften ist für uns nicht mehr gültig. Auch gelten Frauen bei uns weder nach der Entbindung, noch während ihrer Tage als „unrein“. Dennoch gibt es in unserer Tradition den schönen Brauch, in Anlehnung an das Beispiel des Herrn und Seiner jungfräulichen Mutter die Gebete zur Aussegnung der Mutter und des Kindes am vierzigsten Tag vom Priester in der Kirche lesen zu lassen. Erst danach darf die Mutter wieder die Heiligen Gaben empfangen. Wir sind ja in Christus getauft (Röm. 6: 3; Gal. 3: 27), also ist Sein Leben unser, und unser Leben – Seins. So wie Christus und Seine allreine Mutter Sich dem Gesetz unterordneten, so zeigt auch heute die Mutter eines Neugeborenen ihre Demut vor Gottes Ratschluss und der kirchlichen Überlieferung. Gezwungen wird man bei uns dazu aber nicht. Auch sehe ich persönlich in unserer alltäglichen Praxis keinerlei Veranlassung, diese Gebete für Mütter zu lesen, die z.B. keinen blassen Schimmer davon haben, was die Heilige Kommunion überhaupt ist. Ganz anders aber bei Familien, die ein Leben nach dem Vorbild Christi führen wollen. Für sie ist der heutige Feiertag eine Art Familienfest. Auch das Alter wird heute, stellvertretend durch Simeon und die Prophetin Hanna (s. Lk. 2: 36-38) auf besondere Weise geehrt.
Bei der „Begegnung“ des Herrn im Tempel mit Simeon trifft das Alte auf das Neue Testament. Der greise Simeon darf nun in Frieden „gehen“, denn die Knechtschaft des Todes ist vorüber. Die „Sonne der Gerechtigkeit“, welche nun auch den Heiden leuchtet, war bei ihrem Aufgang dem Volk Israel erschienen und wird bei ihrem Untergang das auserwählte Volk zurückführen: „Bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben, dann wird ganz Israel gerettet werden“ (Röm. 11: 26). Heute wird diese Neue Zeit, in der alle Völker gerettet werden, eingeläutet. Der heilige Simeon „wartete auf die Rettung Israels“ (Lk. 2: 25) – nun ist sie da, die Rettung für das Alte und das Neue Israel.
In der Kirche Christi haben wir, anders, als in der unvollkommenen urbildlichen Kirche des Alten Bundes, „den Zugang zu der Gnade erhalten“ (Röm. 5: 2). Nun wird jedes Neugeborene Gott geweiht, wozu u.a. die Beschneidung der Haupthaare im Anschluss an die Taufe und Myronsalbung Sinnbild ist. Nun ist es unerheblich, ob du Grieche oder Jude, Russe oder Deutscher, Mann oder Frau, reich oder arm bist - Hauptsache du gehörst zu Christus! Das äußert sich nach erfolgter Taufe dadurch, dass der Priester das Kindlein vor dem Allerheiligsten in den Armen hält und mit denselben Worten des hl. Simeon betet, welche dieser sprach, als er den Erlöser der Welt in seinen zittrigen Armen hielt:
„Nun lässt Du, Herr, Deinen Knecht, wie Du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das Du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für Dein Volk Israel“ (Lk. 2: 29-32).
Amen.