Predigt zum Herrentag nach Theophanien / Zachäus (Eph. 4: 7-13; 1. Tim. 4: 9-15; Mt. 4: 12-17; Lk. 19: 1-10) (25.01.2015)
Liebe Brüder und Schwestern,
zum Nachfest der Theophanie hörten wir heute folgende Worte: „Derselbe, Der herabstieg, ist auch hinaufgestiegen bis zum höchsten Himmel, um das All zu beherrschen. Und Er gab den einen das Apostelamt, andere setzte Er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi. So wollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in Seiner vollendeten Gestalt darstellen“ (Eph. 4: 10-13).
Erinnern wir uns an die Evangeliumslesung, die dem Fest der Taufe Christi am Samstag vor Theophanien vorausging. Dort rief der Vorläufer des Herrn die Menschen zur Buße auf, genauso, wie es nach ihm der Herr Selbst zu Anfang Seiner öffentlichen Mission tat: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt. 4: 17). Neben zahlreichen aufrichtigen Menschen, die Vergebung ihrer Sünden zu erlangen begehrten, waren auch viele Pharisäer und Sadduzäer an den Jordan gekommen. Johannes sagte zu ihnen: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen“ (Mt. 3: 7-10). Johannes der Täufer nimmt kein Blatt vor den Mund und redet den Mächtigen ins Gewissen. Wie der nach ihm kommende Erlöser geht er dabei nicht nach den Regeln dieser Welt vor. Wer sich von ihm taufen lassen will, muss die spirituellen und moralischen Voraussetzungen dazu mitbringen. Doch heute können wir beobachten, dass die Taufe - egal ob als Kind oder im „bewussten“ Alter – oftmals nur noch eine Art Tradition, ein Familienfest mit anschließendem Kafee & Kuchen, oder aber eine persönliche, um nicht zu sagen - anonyme „Entscheidung für Gott“ darstellt. Letztere wird aber ohne die geringste Spur einer verbindlichen Lebensführung nach irgendwelchen von Gott vorgegebenen Regeln, sozusagen, mit einer Art ungeschriebener Ausstiegsklausel, getroffen. Dann darf man sich doch fragen, ob es der Mehrheit der Christen angesichts der heutigen Lage auf unserem ehemals christlichen Kontinent nicht bewusst ist, dass Gott von jedem etwas erwartet „für den Aufbau des Leibes Christi“. Wie, bitteschön, „wollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommennen Menschen werden und Christus in Seiner vollendeten Gestalt darstellen“, wenn sich unser Bekenntnis zu Christus nur durch ethnische Zugehörigkeit bzw. durch ein Kreuzchen auf dem Steuerzettel manifestiert?!
Christus, Der um unseretwillen nicht nur bis zur Erde, sondern sogar bis zur Hölle herabstieg, setzte verschiedene Ämter und Funktionen ein – Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer – „um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten“. Wir sind durch die Taufe und der Berufung nach „die Heiligen“ - nicht, weil wir einer bestimmten Ethnie angehören – „Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen“ - sondern weil wir unsere Sünden bereuen und sie vor dem Herrn bekennen. Erst dann, wenn wir mit Christus herabsteigen, können wir mit Ihm auch „bis zum höchsten Himmel“ hinaufsteigen.
Ein anschauliches Beispiel hierfür bietet uns der erste Vorbote der Großen Fastenzeit – Zachäus. Er brachte die Frucht hervor, die seine Umkehr zeigte, indem er die Hälfte seines Vermögens den Armen gab und jedem, den er zuvor betrogen hatte, den vierfachen Betrag zurückerstattete. Aber das wirklich Besondere an der Erzählung vom Oberzöllner Zachäus ist bei näherer Betrachtung die Vorgehensweise des Herrn. - Können Sie sich heute eine bedeutende und renommierte Persönlichkeit vorstellen, die in Ihre Stadt kommt und vor versammelter Menge und dem dazugehörigen Medienaufgebot demonstrativ auf einen stadtbekannten Immobilienspekulanten oder Kredithai zugeht, und dann auch noch Gast in dessen Haus wird?!.. Die hochgestellten Persönlichkeiten von heute tun doch beim obligatorischen Bad in der Menge meistens nur das, was vor laufenden Kameras und eingeschalteten Mikrophonen gut ankommt: halten Kinder auf dem Arm, streicheln Behinderte über den Kopf, nehmen dankbar Geschenke von VerehrerInnen entgegen, schütteln Hände etc. Aber unser Herr Jesus Christus macht genau das Gegenteil! Er geht von Selbst auf den meistverachteten Bürger Jerichos zu und lässt ihm Seine Milde zugedeihen. Er kümmert Sich nicht im Geringsten um die Außenwirkung. Ihm geht es nicht um Image-Pflege, sondern nur um das Seelenheil! Er trifft damit die Menge ins Mark. Das tat Er oft, um die Schwächen der Menschen offenzulegen. Er heilte z.B. Kranke am Sabbat, um die Pharisäer in ihrer blinden Gesetzestreue bloßzustellen. Hier aber ist es der Neid, der nicht nur in einer bestimmten Kaste, sondern in uns allen steckt. Irgendwie hätte sich doch jeder gewünscht, dieser bekannte Prediger hätte ihn aus der Menge hervorgehoben und ihm Seine besondere Aufmerksamkeit und Wertschätzung gezeigt. Und hätte Er einen der würdigsten Vertreter der Gesellschaft mir vorgezogen und ihn vor allen hervorgehoben, damit hätte ich mich zumindest rational noch abfinden können. Aber dass Er zu diesem Halsabschneider einkehrt, haut dem Fass doch den Boden aus!
Als Priester hat man sehr oft mit Menschen zu tun, die zur Beichte kommen, aber nicht recht wissen, was sie sagen sollen (obwohl sie über die Sünden anderer ganze Enzyklopädien erstellen könnten). So geht man routinemäßig bei dem leider vorhanden Zeitdruck die „Checkliste“ der zehn Gebote durch. Die Oberflächlichen von ihnen sehen sich bei Gebot 1-10 in keinerlei Bringschuld gegenüber Gott, auch wenn sie sich nicht für vollkommen halten. Bei anderen jedoch kommt im Gegensatz dazu das Bekenntnis über die Lippen, sie seien schuldig in allem, außer in einem: das zehnte Gebot hätten sie nie gebrochen, denn Neid sei ihnen fremd. Dieses Pauschalbekenntnis zeugt auf den ersten Blick natürlich von Einsicht, aber es ist eben nur dasselbe, vielleicht etwas couragiertere Eingeständnis der allgemeinen Unzulänglichkeit, wie bei den Erstgenannten. Konkret können und wollen sie auch nichts sagen, außer den üblichen Phrasen, wie: „Vielleicht habe ich jemanden unbewusst gekränkt oder sonst irgendwie jemandem ungewollt Leid zugefügt“. Und so muss man „konkret“ werden: „Abtreibungen?“ - „Ja, vier Stück. Aber Sie wissen doch, in was für einer Zeit wir gelebt haben“. - „Ehebruch?“ - „Ja, aber nur zwei Mal“. - „Unzucht?“ - „Oh, das ist schon lange her“. „Diebstahl, Betrug?“ - „Haben wir doch alle“... usw. Es ist demnach praktisch keine Beichte, also keine Selbstbezichtigung vor Gott, sondern eine Selbstrechtfertigung der „kleinen Vergehungen“ vor dem Menschen (in diesem Falle vor dem Priester und sich selbst). Mit Selbsterniedrigung nach dem Vorbild Christi hat das jedoch nichts zu tun. Und eine Beichte ist es auch nicht.
Doch dafür nehmen sie trotzdem für sich in Anspruch, frei von Neid zu sein. Aber ist das wirklich so? - Was z.B. das achte Gebot angeht, gibt es ein Sprichwort: „Gelegenheit macht Diebe“. Es ist so einfach wie es wahr ist. Auch bei allen anderen sündhaften Leidenschaften verhält es sich genauso. So war Judas ein Apostel, aber zum Verräter wurde er dann, als sich dazu die Gelegenheit bot. Nur Gott kannte schon zuvor die Gedanken seines Herzens,
Wäre ich nun in Jericho vor zweitausend Jahren dabei gewesen, oder an jedem anderen Ort zu jeder beliebigen Zeit während des öffentlichen Besuchs einer von mir hochgeschätzen Persönlichkeit, und hätte diese Persönlichkeit statt mir, seinem größten Fan, meinem ärgsten Widersacher aus meiner Schulzeit etwa ein Trikot mit Autogramm und persönlicher Widmung geschenkt, hätte dazu mit ihm ein paar herzliche Worte gewechselt, Späßchen gemacht und sich mit ihm auf einem Selfie verewigt, dann weiß ich nicht, wie meine Reaktion ausgefallen wäre... Wahrscheinlich wäre reflexartig die Frage gekommen: „Warum er, und nicht ich?“ - Seltsam, wenn uns großes Leid widerfährt, fragen wir: „Warum gerade ich, (will heißen: warum nicht ein anderer?)?“ Es ist, sozusagen, die andere Seite derselben Medaille. Das Gute wollen wir dem anderen nicht gönnen, doch das Böse würden wir ihm gerne wünschen. Auch das ist Missgunst, wenn wir einem anderen (auch unterbewusst und unpersönlich) ein Missgeschick gönnen.
Jedenfalls sieht eine tiefgründige Selbstanalyse, die jeder vornehmen sollte, der sich während der Fastenzeit reinigen will, anders aus, als das, was sich bei uns beim „Erwerb der Eintrittskarte für die Kommunion“ (Protopresbyter Alexander Schmemann, + 1983) des öfteren abspielt. Wir beten doch alle das Gebet des hl. Ephrem: „Lass mich meine Sünden sehen, dass ich nicht meinen Bruder richte“. Nur so können wir im geistlichen Leben voranschreiten.
Ein junger Novize sprach einst freudevoll zu seinem Starez: „Geronta, meine Gedanken drehen sich ständig nur um Gott“. Der Starez aber antwortete: „Mein Sohn, du hast noch gar nichts erreicht. Erst, wenn du dich selbst schlechter als alle anderen siehst, dann erst hast du etwas erreicht“. - So war es bei den Heiligen, die ihre eigenen Schwächen wie unter einem Mikroskop erkundeten, und für die Verfehlungen der anderen einfach keinen Blick mehr hatten. Sie waren diesbezüglich wie der Mann aus der Fabel I.A. Krylows, der zwar beim Besuch des Hauses für Naturkunde alle möglichen Käfer und Würmer bestaunte, dafür aber den direkt daneben stehenden Elefanten gänzlich übersah... Und so müssen auch wir auf das Gewürm und Ungeziefer in unserem Herzen achtgeben, damit wir die heute an uns gerichtete Botschaft des Herrn verstehen: „Seht, wer sich selbst als verachtenswertesten Sünder sieht, zu dem will Ich einkehren“. Zachäus beherzigte dies mit Worten und konkreten Taten. Dafür hörte er den Herrn über sich sagent: „Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist“ (Lk. 19: 9).
Zachäus nutzte und schadete es nicht, dass er zu einer bestimmten Nation und einem bestimmten Kulturkreis angehörte. Entscheidend war einzig seine Bereitschaft, den Ruf des Herrn zu erwidern und sich von der Sünde zu befreien. Das ist auch die Lehre der heutigen ersten Voretappe zur Großen Fastenzeit: der Wille, seine eigenen Sünden zu erkennen und die Bereitschaft, diese mit der Hilfe Christi ernsthaft zu bekämpfen.
Amen.