Predigt zum Gedenktag des seligen Isidor aus Brandenburg, Narr um Christi willen von Rostow, des Wundertäters (27.05.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
alle Heiligen gehen allgemein den Weg des Evangeliums, der zu Gott führt – anschaulich dargestellt in den Seligpreisungen aus der Bergpredigt des Herrn (Mt. 5:3-12; Lk. 6:20-26). Dieser Weg ist unumgänglich für alle Diener Gottes: von der Armut im Geiste, über das Beweinen seiner Sündhaftigkeit, die Sanftmut, das Streben nach Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit, die Reinheit des Herzens, die Friedfertigkeit bis hin zum bereitwilligen Erdulden von Verfolgung, Beschimpfung und Verleumdung für den Namen des Herrn. Wer all diese Stufen durchlaufen hat, darf von allen zurecht als Seliger verehrt und gepriesen werden. Welch ein Unterschied zu den kleinen und großen Personagen dieser Welt! Diese tun alles, um von den Menschen bewundert zu werden, jene aber bemühen sich förmlich um die Ablehnung durch die Kinder dieser Welt, weil sie allein Gott zu gefallen trachten. Sie sind demnach umgekrempelte „Heuchler“ – solche, die vorgeben irr zu sein, in Wirklichkeit aber heilig vor Gott sind. Auch wenn wir das wegen unserer Schwachheit natürlich in dieser extremen Form nicht vermögen – Schläge, Spott und Verunglimpfungen um der Gerechtigkeit Gottes willen zu erdulden (vgl. Hebr. 11:36-38), – sind wir anhand des Beispiels der Seligen aufgerufen, die Kernbotschaft aus ihrem Wirken zu erkennen und in unserem Leben zu verwirklichen: Gott zu gefallen anstatt den Menschen! So können auch wir die Vorgaben des Neuen Testamentes erfüllen, die da sind: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1 Joh. 2:15-17) und: „Wisst ihr nicht, dass Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ist? Wer also ein Freund der Welt sein will, der wird zum Feind Gottes“ (Jak. 4:4). So erweist sich, dass das, „was die Menschen für großartig halten, in den Augen Gottes ein Gräuel“ ist (Lk. 16:15).
Wollen also auch wir dem „umgekehrten Pharisäertum“ der „Narren in Christo“ nacheifern und dadurch das Unterpfand unserer Erlösung sicherstellen, denn: „Im ewigen Gedenken wir sein der Gerechte“ (Ps. 111:6). Es muss uns also um das Königtum Gottes und um seine Gerechtigkeit gehen, dann wird Sich Gott um den Rest kümmern (s. Mt. 6:33; Lk. 12:31).
Die „Narren um Christi willen“ sind Heilige, die fast ausschließlich in orthodoxen Mehrheitsgesellschaften lebten. Als die Kirchenverfolgungen vorbei waren, bestritten die potentiellen Märtyrer ihren Kampf in der Wüste oder in Klöstern. Natürlich gab es zu allen Zeiten auch würdige Geistliche, die ihren Dienst in der Welt versahen, und – Gott sei dafür gedankt – die Kirchen noch voll waren. Es gab ja eine Zeit im oströmischen Reich (Byzanz) und im Russischen Reich vor den Reformen des Zaren Peter des Großen, als die Orthodoxie offizielle Staatsdoktrin war. Jedoch erkannten damals viele die Chance, sich im „Mainstream“ zu profilieren. Und daraus erwuchsen zwangsläufig Versuchungen des zu jeder Epoche gültigen Pharisäertums: nach außen hin fromm zu leben, im inneren des Herzens aber weit von der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen zu sein. Es galt dabei immer, den eigenen Vorteil (materiell, politisch, gesellschaftlich, kirchlich – was da ja alles miteinander zusammenhing) im Auge zu behalten. Im 20. Jahrhundert gab es dann solche „Narren Christi“ wie den heiligen Erzbischof Ioann (Maximovitch, +1966) oder den heiligen Priestermönch Gavriil (Urgebadze, +1995), die den Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs aufzeigten, dass sie alles (Weltliche), „was damals ein Gewinn war (…), um Christi willen als Verlust erkannt“ hatten, „weil die Erkenntnis Christi Jesu, des Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen hatten sie alles aufgegeben und hielten es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in Ihm zu sein“ (Phil. 3:7-9a). Der eine – in der religiös neutralen Welt, der andere – im glaubensfeindlichen Kommunismus. Was sie damals für ihre Liebe zu Christus und zu den Menschen erdulden mussten, entsprach vollkommen dem, was ihre Vorgänger in der orthodoxen Mehrheitsgesellschaft bereitwillig ertrugen. So ist es aber für alle Heiligen und zu jeder Zeit gewesen (s.1 Tim. 3:12). Nach diesen beiden Heiligen haben sind eine bzw. zwei Generationen vergangen. Doch warum gibt es diese kompromisslosen Mahner für uns Gläubige nicht mehr? Der Bedarf ist da, wenngleich wir nirgendwo mehr in einer orthodoxen Mehrheitsgesellschaft leben. Demzufolge müsste sich die Aktivität solcher Verkünder des Lichtes zur Aufdeckung der Sünden (vgl. Eph. 5:8-14) heute auf die überschaubare Zahl der Gläubigen fokussieren, denn moderne Unaufrichtigkeit gibt es da zuhauf. Ein Brautpaar beichtet z.B. kurz vor der Hochzeit. Beide „bereuen“ dabei, dass sie vor der Eheschließung nicht bloß Händchen gehalten habe… Leute, das könnt ihr eurer Großmutter erzählen, dass es euch leid tut, aber nicht vor dem Angesicht Gottes im Mysterium der Beichte. Anderes Beispiel: wir haben soeben ein Baby getauft. Alles schön und gut. Der Priester erinnert noch ein mal an das im Vorfeld der Taufe Vereinbarte, dass die Eltern von nun an regelmäßig zum Gottesdienst kommen und das Kind somit den Glauben quasi mit der Muttermilch vermittelt bekommt. „Wir werden uns bemühen“, heißt es da oftmals. - Quatsch! Ihr werdet keinen Finger rühren am Sonntag. Wenn hingegen ein Kumpel sonntags zum Angeln einlädt, sitzt man mit voller Ausrüstung um 7.00 Uhr am Ufer des Sees oder Weihers, aber um 10.00 Uhr in der Kirche?!.. - Niemals. Oder, besser gesagt, wenn es sich so (von selbst) ergibt, dass eine innere Stimme sagt: „So, heute gehen wir alle zusammen zur Kirche und feiern die Auferstehung Christi“; oder wenn von selbst elektronische Wegweiser aufleuchten und uns den Weg von der Wohnung zur Kirche durch Dauerblinken zeigen, dann vielleicht. Aber unter „sich bemühen“ verstehe ich etwas anderes: dass man seine eigene Trägheit nach einer halben Nacht vor dem Tablet-PC überwindet, den Widerwillen der Kinder („Äh, ich will lieber zu McDonalds“) und des Ehepartners („Komm, lass die Kinder doch mal ausschlafen“) bricht und einfach nur die Liebe Gottes und das eigene Seelenheil an die oberste Stelle der eigenen Prioritätenliste setzt.
Aber auch die nach kirchlichen Kriterien Lebenden müssen an sich arbeiten. Oft erkennt man, dass fromme Pilger an heiligen Orten oder auch nur Besucher unserer bescheidenen Gottesdienststätten sich nach Betreten der Kirche sofort auf den Kerzentisch bzw. auf das Podest mit Papier und Bleistift stürzen, um die Namen ihrer lebenden und verstorbenen Angehörigen aufzuschreiben. - Nun stellen Sie sich mal vor, ein junger Mann studiert im Ausland und kommt für die Semesterferien nach Hause zu seinen Eltern. An der Haustür begegnet er seinem Vater, die beiden umarmen sich, und der Sohn spricht sofort: „Papa, das Geld reicht nicht“ oder „ich brauche einen neuen Laptop, der alte macht´s nicht mehr lange“. Hat der Vater, dem der Sohn alles zu verdanken hat, nicht auch Anspruch auf Zuwendung aus dem Herzen, auf Liebe, Respekt, Dankbarkeit für das bisher Geleistete?! Vielleicht will auch der Himmlische Vater in analogen Situationen was anderes von uns hören, z.B. in der Art von: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind“ (Mt. 17:4; vgl. Mk. 9:5; Lk. 9:33)?!.. Sind wir etwa aufrichtig vor Gott, wenn wir uns nur mit Bitten an Ihn wenden, aber nicht die Gemeinschaft mit Ihm als oberstes Gut anstreben wollen?!.. So erweist sich, dass unser zweifellos vorhandener Eifer sich nur nach außen hin, leider aber ohne jegliche geistliche Erkenntnis manifestiert (s. Röm. 10:2).
Abschließend möchte ich zu der wohl nicht nur mich beschäftigenden Frage kommen, weshalb es die „Narren um Christi willen“ heute nicht gibt oder, besser, warum sie heute nicht mehr öffentlich in Erscheinung treten? Denn natürlich gibt es sie auch heute in Klöstern oder Einsiedeleien, aber dort vollzieht sich ihr Wirken im Verborgenen, was die Außenwelt nicht mitbekommt. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, ist die Antwort darauf nicht wirklich schwierig: wir leben heute in einer Welt, in der man allein schon durch den gesunden Menschenverstand anecken, provozieren und den Hass dieser Welt auf sich ziehen kann. Was der Apostel prophetisch formulierte, ist heute bereits Wirklichkeit geworden: „Es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln; und man wird der Wahrheit nicht mehr Gehör schenken, sondern sich Fabeleien zuwenden“ (2 Tim. 4:3-4). Für uns Geistliche gilt deshalb: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung“ und, in Anlehnung an unseren Gemeindepatron: „Sei in allem nüchtern, ertrage das Leiden, verkünde das Evangelium, erfülle treu deinen Dienst“ (4:2,5). Dann hat diese Welt noch eine Chance. Amen.