Predigt zum 10. Herrentag nach Pfingsten (1 Kor. 4:9-16; Mt. 17:14-23) (13.08.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute vernahmen wir folgende bemerkenswerte Worte: „Wir werden beschimpft und segnen; wir werden verfolgt und halten stand; wir werden geschmäht und trösten. Wir sind sozusagen der Abschaum der Welt geworden, verstoßen von allen bis heute“ (1 Kor. 4:12b-13). Diese Worte des Apostels paraphrasieren nicht nur die Bergpredigt (s. Lk. 6:28; vgl. Mt. 5:44), sie ergänzen zudem die Lehre des Herrn über die Feindesliebe. Der Herr ruft die, welche Ihm nachfolgen wollen, in der Tat dazu auf, dem Bösen keinen Widerstand zu leisten und dem, der uns auf die linke Backe schlägt, auch die andere hinzuhalten (s. Mt. 5:39; vgl. Lk. 6:29). Viele selbsternannte Exegeten folgern daraus, dass wir uns als Christen niemals verteidigen dürfen und es daher jedem gestatten sollen, mit uns alles zu machen, was sie wollen. Diese Interpretation beruht aber auf rein menschlichem Denken und ist hier nicht zielführend. „Keine Weissagung der Schrift darf eigenmächtig ausgelegt werden; denn niemals wurde eine Weissagung ausgesprochen, weil ein Mensch es wollte, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Auftrag Gottes geredet“ (2 Petr. 1:20-21). Das aber missachteten die Reformatoren im Abendland, als sie die Autorität der Kirche bei sich durch den individuellen menschlichen Verstand ersetzten (vgl. Lk. 10:16). Von daher war es gar nicht verwunderlich, dass okzidentale Philosophen und Friedensforscher aller möglichen Denkrichtungen zu hanebüchenen Doktrinen neigten. Es sind heute ja gerade diejenigen politischen Kräfte, welche ursprünglich den Pazifismus auf ihre Fahnen geschrieben hatten und seinerzeit antimilitaristische Massendemonstrationen organisierten, die heute todbringende Waffen in Konfliktzonen liefern.
Die Antwort auf die Frage, wie man sich dem Bösen gegenüber verhalten soll, sehen wir in den eingangs zitierten Worten des Apostels. Denn wenn uns der Herr in der Bergpredigt dazu ermahnt, dem Bösen keinen Widerstand zu leisten, dann doch dazu, um mit der allseits üblichen Eskalation von Gegenschlägen und Vergeltungsmaßnahmen aufzuräumen. Wir alle kennen das aus der Politik, aus dem gesellschaftlichen Leben und leider auch aus unserem persönlichen Bereich: zugefügtes Unrecht wird dem Urheber durch noch größeres Unrecht vergolten. Es entsteht eine endlose Spirale von Aggression und Gewalt. Das Gesetz Gottes kam dem vermeintlich durch das allen bekannte Prinzip von „Leben für Leben; Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß“ (Ex. 21:24) bei, bezog sich aber eher auf fahrlässige denn auf mutwillige Körperverletzungen, die infolge des täglichen Miteinanders entstehen konnten. Der Sinn jener juristischen Maßnahme bestand darin, schuldhaft entstandene Schäden adäquat zu kompensieren, gewährleistete also eine Schlichtung in Streitfällen (s. Ex. 21:18-27). Gottes Gesetz rief aber auch im Alten Testament niemals dazu auf, Böses mit Bösem zu vergelten. Aus diesem Blickwinkel (s. Mt. 5:17) wird ersichtlich, warum wir nach den Worten des Herrn dem Bösen keinen Widerstand leisten sollen. Denn Gewalt erzeugt immer Gegengewalt, so lehrt uns die Geschichte seit der Steinzeit, das kennen wir auch aus unserem täglichen Leben. Eine ausgestreckte Hand dagegen, ein partielles Eingeständnis der eigenen Schuld, ein Signal der Kompromissbereitschaft, das Einschalten von neutralen Vermittlern – all das sind geeignete Werkzeuge der friedliebenden Menschen. Gott zeigt aber einen Weg, der über dieses diplomatische Maß der Deeskalation hinausgeht: werden wir beschimpft – segnen wir; werden wir verfolgt – halten wir stand; werden wir geschmäht – trösten wir. Es sind friedensschaffende und friedenserhaltende Maßnahmen, die den Frieden Christi (s. Joh. 14:27) zum Ziel haben. „Denn Er ist unser Friede ... Er riss durch Sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder, … Er stiftet Frieden und hat in Seiner Person die Feindschaft getötet“ (Eph. 2:14-17). Und deshalb besingen wir Sein lebenspendendes Kreuz als „Waffe des Friedens“, die uns den „unbesiegbaren Sieg“ bringt. Nicht mit Panzern und Raketen, sondern durch die Liebe zu den Feinden, welche ja im Kreuz Christi ihren Ausdruck findet (vgl. Lk. 23:34). Durch den Kreuztod des Gottessohnes wurden wir mit unserem Himmlischen Vater versöhnt (s. Röm. 5:10) und finden Frieden in Christus, Der das Böse überwand, indem Er dem „Fürsten dieser Welt“ (s. Joh. 12:31; 14:30; 16:11), auch wenn der keine Macht über Ihn hatte, keinen Widerstand leistete. Wer seinen Feinden vergibt, trägt diesen Frieden Christi im Herzen; wer nicht vergibt, geht letztlich am Gallengift seiner teuflischen Bosheit zugrunde.
Von jedem einzelnen von uns hängt nun das Schicksal der Welt ab. Jede noch so geringe gute Tat kann das Sandkorn sein, das die Waage der Gerechtigkeit Gottes sich zugunsten des Wohlgefallens gegenüber uns Menschen neigen lassen kann. „Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst, der uns durch Gottes Erbarmen übertragen worden wurde. Wir haben uns von aller schimpflichen Arglist losgesagt; wir handeln nicht hinterhältig und verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern lehren offen die Wahrheit. So empfehlen wir uns vor dem Angesicht Gottes jedem menschlichen Gewissen. Wenn unser Evangelium dennoch verhüllt ist, ist es nur denen verhüllt, die verlorengehen; denn der Gott dieser Weltzeit hat das Denken der Ungläubigen verblendet. So strahlt ihnen der Glanz der Heilsbotschaft nicht auf, der Botschaft von der Herrlichkeit Christi, Der Gottes Ebenbild ist. Wir verkünden nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen. Denn Gott, Der sprach: ´Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!`, Er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi“ (2 Kor. 4:1-6). Amen.