Predigt zum Gedenktag der heiligen Apostelgleichen Maria Magdalena (04.08.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
der heiligen Maria Magdalena, der Patronin unserer Weimarer Gemeinde, kommt eine außerordentliche Rolle bei der Verkündigung der Auferstehung Christi zu. Nicht nur, dass sie als Erste den Auferstandenen erblickte – sie steht durch ihr überliefertes Zeugnis am Anfang eines neuen Äons, denn gleich wird die Rede nicht von einem gewöhnlichen Wochenbeginn sein, sondern vom Anfang eines neuen Zeitalters. Wenden wir uns also dem Bericht über diesen „ersten Tag der Woche“ zu: Maria kam in der Dämmerung zum Grab, „als es noch dunkel war“ (Joh. 20:1). Sie kam aus der „alten Zeit“, die eine Zeit der Finsternis war, und noch befand sie sich darin. Als sie „sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war … lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: ´Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat`“ (20:2). Zwei Dinge erstaunen hier bei genauerem Hinsehen, und zwar Erstens: Maria geht nicht in das offene Grab hinein, erhascht aber wohl bei aller Aufregung einen Blick in das Innere der Grabhöhle; zweitens: sie spricht vom Herrn nicht wie von einem Toten, sondern wie von einem Lebenden (sie verwendet nicht das Wort „Leichnam“ – vgl. Lk. 24:3). Sie befindet sich da schon im Übergang vom alten zum neuen Äon. Dieses neue Äon wird durch eine Realität bestimmt, die jegliche sonstige Realität unvergleichlich in den Schatten stellt: CHRISTUS IST AUFERSTANDEN! Die beiden Jünger (noch werden sie hier nicht als Aposteln bezeichnet) laufen zum Grab, um sich von der Wahrheit des gerade aus Marias Munde Vernommenen zu überzeugen. Auch sie glauben beide an eine Entwendung des Leibes ihres Herrn, die trotz des großen Steins vor dem Eingang zum Grab und der davor aufgestellten Wache irgendwie stattgefunden haben muss. Dabei läuft „der Jünger, den Jesus liebte“ (aus nachvollziehbaren Gründen) schneller als Petrus. Doch am Eingang zur Grabhöhle angekommen, geht auch er nicht hinein. Er beugt sich nur von außen hinein und sieht (wie mutmaßlich Maria Magdalena zuvor) die Leinenbinden liegen. Dann kommt Petrus an das Grab und geht als erster hinein. Er sieht ebenfalls die Leinenbinden, dazu das Schweißtuch, das auf dem Kopf des Herrn gelegen hatte. Dieses lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. Man muss kein Meisterdetektiv sein, um hieraus schließen zu können, dass Räuber, noch dazu solche, welche einen Leichnam stehlen wollten, wohl kaum das Schweißtuch ordentlich zusammengebunden und behutsam weggelegt hätten. Es ist die Morgendämmerung des größten Tages der Weltgeschichte, der Beginn eines völlig Neuen Tages, an dem bzw. in dem wir heute leben. Es ist der Beginn der erneuerten Welt, und zwar der in Jesus Christus erneuerten Menschheit. Von da an werden alle, die in der Taufe mit Christus begraben und mit Ihm auferstanden sind, als „neue Menschen leben“ (Röm. 6:4). Sie sind Teilhaber dieser Realität!
Petrus geht zwar als Erster von beiden in das Grab hinein, kam aber hier noch nicht zum Glauben an die Auferstehung Christi, sondern staunte lediglich über das, was geschehen war (s. Lk. 24:12). Johannes, den der Herr natürlich wie die übrigen Jünger liebte, war aber in seiner Suche nach der unergründlichen Wahrheit einen Schritt weiter, als er hineintrat: „er sah und glaubte“ (Joh. 20:8). Hierfür liebte ihn der Herr auf ganz besondere Weise. Kurze Zeit später wird „der Jünger, den Jesus liebte“ noch vor Petrus und den anderen den Herrn in der Morgendämmerung aus großer Entfernung erkennen (Joh. 21:7).
Maria Magdalena geht eine ähnliche Metamorphose durch. Nachdem die beiden Jünger wieder gegangen waren, beugte sie sich weinend in die Grabkammer hinein. „Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten“ (Joh. 20:11). Hier ist dann doch die Rede vom Leichnam des Herrn – aber im Plusquamperfekt. Der tote Körper gehört nun einer ganz anderen Epoche an. Jetzt heißt es nämlich: „Was sucht ihr den Lebenden unter den Toten? Er ist nicht hier, sondern Er ist auferstanden“ (Lk. 24:5b-6a). So empfinden wir es jedes Jahr zu Ostern – nur zwei Tage nach dem Karfreitag und nur einen Tag nach dem Großen Sabbat der Grabesruhe Christi! „Christus ist auferstanden!“ - rufen wir voller Freude, als ob der Karfreitag schon vergessen wäre. Wahrlich, unser Glaube ist der bereits im Voraus erlebte Übergang vom Tod zum Leben (s. Joh. 5:24).
Maria Magdalena braucht aber noch eine Weile. „Frau, warum weinst du?“ (Joh. 20:13a,15a). „Wen suchst du?“ (20:15a). Ein zweites und ein drittes Mal spricht sie vom Herrn zwar wie von einem Lebenden (s. 20:13b,15b), denkt aber, dass Er tot sei. Das Herz spürt vielleicht, dass der „Urheber des Lebens“ (Apg. 3:15) nicht tot sein kann; der Verstand aber sagt (noch) etwas anderes. Als der Herr Sich ihr endlich zu erkennen gibt, denkt sie immer noch Irdisches, will sie Seine Füße umklammern. Er spricht zu ihr: „Halte Mich nicht fest; denn Ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu Meinen Brüdern, und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu Meinem Vater und zu eurem Vater, zu Meinem Gott und zu unserem Gott“ (20:17). Jetzt wird Maria Magdalena zum Apostel für die Aposteln (s. 20:18). Mehrt noch, sie steht am Anfang dieser größten Zeitenwende, die ja, genau genommen, den Übergang vom Zeitlichen in das Ewige bildet. Sie hat es selbst durchgemacht. Ihr ist es zugefallen, zu bezeugen, dass der Vater des Gottessohnes Jesus Christus auch unser Vater ist; dass der Gott des Menschensohns Jesus Christus auch unser Gott ist. Unser Herr, Dem Maria Magdalena nach ihrer Heilung (s. Mk. 16:9) so hingebungsvoll gedient hatte, „ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten“ (Kol. 1:18). Amen.