Predigt zum Lazarus-Samstag (Hebr. 12:28-13:8; Joh. 11:1-45) (24.04.2021)
Liebe Brüder und Schwestern,
die Große Fastenzeit liegt nun hinter uns. Die Zeit bis zum Beginn der Großen Woche, auf die wir uns ja vierzig Tage lang vorbereitet haben, wird mit zwei einzigartigen Feiertagen „überbrückt“ - dem Lazarus-Samstag und dem Palmsonntag. Aber irgendwie kommt es mir vor, dass viele diese „Überbrückung“ bloß von ihrem folkloristischen Aspekt wahrnehmen: am Samstag gibt es Kaviar zu Mittag („kleine Eier“ zur Feier der „kleinen Auferstehung“), am Sonntag schmücken wir unsere häusliche Ikonenwand mit Palmenzweigen oder Weidenkätzchen, die gerade in der Kirche gesegnet worden sind. Das ist sehr schade. Denn das, was im Evangelium beschrieben wird, ist so wunder bar, dass es jeglichen menschlichen Verstand übersteigt.
Versetzen wir uns doch gedanklich in die Zeit vor zweitausend Jahren, begeben wir uns nach Jerusalem und stellen uns vor, dass wir inmitten der jubelnden Volksmenge stehen und dem Herrscher des Weltalls, Schöpfer der Äonen und Gebieter über Leben und Tod huldigen. Für die Leute damals war das alles – anders als für uns heute – völlig neu und unerwartet. Und doch waren sich jetzt wohl alle darüber bewusst, dass hier der langersehnte und von Gott versprochene Messias triumphalen Einzug in die heilige Stadt hält (s. Mt. 26:63; Mk. 14:61, Lk. 22:67; Joh. 12:34). Ausgangspunkt war die Auferweckung des Lazarus am Tag zuvor in Bethanien. Die Leute hatten sich ja fast schon an die alltäglichen Wunder des Herrn gewöhnt, und alle, die es irgendwie einrichten konnten, hatten ihre Kranken und von Dämonen Besessenen bereits zum Herrn gebracht, damit Er sie von ihren Leiden erlöse. Dennoch gab es in Judäa großen Widerstand seitens der Hohepriester und Pharisäer, der sich noch weiter verstärkte, nachdem unser Herr Jesus Christus unmissverständlich zum Tempelweihfest in Jerusalem erklärt hatte: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh. 10:30), worauf Ihn die Juden steinigen wollten, Er Sich aber ihrem Zugriff entzog und Sich auf die andere Seite des Jordans in Sicherheit begab (s. 10:39). Hier ereilte Ihn nun die Nachricht von der schweren Erkrankung des Lazarus (s. Joh. 11:1-3). Doch erst als Lazarus einschlief, ging der Allwissende mit Seinen Jüngern wieder nach Judäa, um Lazarus aufzuwecken (s. 11:8-11).
Alles das geschieht nicht aus Zufall. Wenn der Herr bewusst gewartet hat, bis Lazarus stirbt, und erst danach wieder nach Judäa gegangen ist, dann muss es einen Grund dafür gegeben haben. Und es gibt ihn – den einen und einzigen. Es ist an Absurdität nicht zu übertreffen, aber dadurch dass der Herr Lazarus aus dem Grabe ruft, unterschreibt Er quasi Sein eigenes Todesurteil (s. Joh. 12:45-53)!!!.. Der Mensch maßt sich an, über Gott die Todesstrafe zu verhängen! Dem Menschen wurde von Gott die Unsterblichkeit versprochen, wenn er Seinem Schöpfer Gehorsam leistet. Die Strafe für den Ungehorsam war der Tod (s. Gen. 2:17). Jetzt dreht der Mensch den Spieß um, und verurteilt Gott zum Tode. Unvorstellbar!?.. Aber die Ursache dafür liegt im vom Teufel eingeflüsterten „Freiheitsdrang“, der nichts anderes als die Unterjochung unter die Sünde und die Leidenschaften der gefallenen menschlichen Natur bedeutet. Alle aus der Historie oder den Nachrichten bekannten politisch-sozialen Freiheitskämpfe, Unabhängigkeitsbewegungen, Emanzipationsbestrebungen aller Art, der Kampf für Gleichberechtigung usw. haben letztlich immer dasselbe Ziel: die von Gott eingesetzte Ordnung zu zerstören. Politische Freiheit, Menschenrechte, Selbstbestimmung etc. - all das ist so verlockend, dass der Mensch sich „aus Liebe zu der Welt“ (s. 2 Tim. 4:10) vom einzig Notwendigen (s. Lk. 10:42) abwendet und vollkommen in den irdischen Sorgen und Nöten untergeht. Und letztlich führt das dazu, dass irgendwann die Freiheit von Gott auf der Tagesordnung steht. Das war sie ja von Anfang an im Plan des unsichtbaren Strippenziehers, der alles so einfädelt, dass die Menschen zunächst nicht offen gegen Gott aufbegehren müssen, bis diese Frage irgendwann unverblümt ausgesprochen wird. So auch bei Jugendlichen unserer Zeit, die anfangs noch widerwillig mit ihren Eltern in die Kirche kommen, dann aus Mangel an Motivation sonntags zu Hause bleiben und irgendwann ihre vollkommene „Unabhängigkeit von Gott“ erklären. Ohne Glauben zu leben ist ja so cool, so angenehm und so einfach… Und einer reibt sich dabei die Hände vor Freude.
Zurück zum (kirchlichen) Tagesgeschehen. Jetzt kommt der Erretter unserer Seelen und Überwinder des Todes – das hat Er eindrucksvoll in Bethanien unter Beweis gestellt – um uns aus der Knechtschaft der Sünde und des Todes zu befreien. Und die Menschen danken es Ihm durch die Verurteilung zum Tode! So wird es auch allen ergehen, die dem Herrn nachfolgen wollen (s. Joh. 15:20).
Die Kirche Christi war niemals bestrebt, in dieser Welt Macht auszuüben. Im Römischen Reich geschah der Umsturz von oben – der Kaiser nahm den Glauben an, und das Reich mit ihm. Die Kanones der Kirche gestatten es ihren Dienern nicht, politische Ämter auszuüben. Wofür sich die Kirche hingegen einsetzt, ist eine Gesellschaftsordnung, in der die nach dem Seelenheil strebenden Menschen möglichst geeignete Voraussetzung für ein Leben nach dem Glauben vorfinden. Und dafür wird sie angefeindet. Überall! Gelobt werden andere. Doch unerwartet geschieht das nicht (s. Lk. 6:20-26).
Für uns bietet dieser Tag so kurz vor dem abschließenden Leidensweg Christi die Gelegenheit zum vertieften Blick in die eigene Seele. Erweisen wir dem Herrn die angemessene Liebe, die Ihm für Seine Wohltaten gebührt? Wenn nicht, sind auch wir verflucht (s. 1 Kor. 12:3; 16:22). Christus Jesus nicht lieben kann man doch nur, wenn man nicht wirklich glaubt, also nicht sieht, was Er für uns getan hat. Mögen wir aber alle davor bewahrt werden! Amen.
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