Predigt zum 5. Herrentag der Großen Fastenzeit / Gedenktag der heiligen Maria von Ägypten (Hebr. 9:11-14; Gal. 3:23-29; Mk. 10:32-45; Lk. 7:36-50) (18.04.2021)
Liebe Brüder und Schwestern,
die heilige Maria von Ägypten (+ 522) steht am fünften Herrentag der Großen Fastenzeit einerseits für die Kraft der menschlichen Buße, andererseits aber auch für die dadurch hervorgerufene Gnade Gottes (s. Ps. 41:8). Auch die Lesungen aus dem Apostelbuch handeln von der allumfassenden Gnade des Herrn. Das Neue Testament beruft die Menschen ja zur Umkehr, weil wir durch sie erst in der Gnade Gottes leben können (s. Röm. 5:2). Gottes Gnade ist unermesslich gegenüber uns Sündern. Ohne sie können wir aber kein Leben mit Gott führen und würden wieder in den fruchtlosen Formalismus des Alten Bundes verfallen. „Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer Kuh die Unreinen, die damit besprengt werden, so heiligt, dass sie leiblich rein werden, wie viel mehr wird das Blut Christi, Der Sich Selbst kraft des ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen“ (Hebr. 9:13-14). Der Glaube ist also die Vorbedingung auf den Empfang der Gnade. „Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angezogen“ (Gal. 3:26-27).
Aber ein Glaube ohne die richtige Ausrichtung der Seele ist nutzlos, denn er vermag nicht die Gnade Gottes hervorzurufen. Die in Taufe, Myronsalbung, Beichte und Kommunion gespendete Gnade ist zwar dann an sich gültig, bringt aber keine Frucht im betreffenden Herzen hervor. Es hängt schon auch vom Menschen selbst ab, ob Gottes Gnade in ihm wirksam wird. Wir orthodoxe Christen haben ein vorzüglich geeignetes Instrumentarium zur Erlangung dieser Gnade insbesondere in der Vorbereitungszeit auf das Fest der Feste.
Zu Ehren der heiligen Maria von Ägypten, die in jungen Jahren eine große Sünderin war, wird heute von der Begegnung unseres Herrn mit einer Sünderin im Hause des Pharisäers Simon erzählt. Beispielhaft für alle Büßenden wird die Frau dafür von unserem Herrn gelobt, dass sie als „große Schuldnerin“ Gott mehr Liebe entgegenzubringen imstande ist als der fromme Pharisäer, der vor Gott vermeintlich nur eine „geringe Schuld“ hat (s. Lk. 7:40-47). Welch eine Macht die Buße hat (s. 7:48)! Das ist der Glaube, der uns Rettung und Frieden für die Seele verschafft (s. 7:50). Maria von Ägypten mag vor ihrer Bekehrung als Bürgerin des christlichen Weltreichs auch gläubig gewesen sein, aber was nutzte ihr das?.. Auch wir beobachten heute, dass Menschen heute zwar äußerlich den Glauben bekennen und sogar am kirchlichen Leben teilnehmen, doch überhaupt nicht ihre sündhaften Gepflogenheiten abzulegen gedenken. Mit dem Herzen und mit den Gedanken sind sie vollkommen in dieser Welt verhaftet, so dass ihre „Frömmigkeit“ allein auf den Erwerb irdischen Wohlseins ausgerichtet ist. Wir beobachten alle möglichen Formen des Zusammenlebens, die allesamt nicht von Gott gesegnet sind. Manche erdreisten sich sogar, Priestern „Gottes Segen“ (!) für eine Scheidung und Wiederverheiratung zu entlocken (z.B. für eine Spende) usw. Nicht das Bestreben nach Gottes alles verzeihender Milde für in der Vergangenheit begangenes Unrecht ist zu beobachten, sondern der Versuch einer Sanktionierung der selbstgewählten gegenwärtigen bzw. in naher Zukunft beabsichtigten sündhaften Lebensweise! Aber kann so die Gnade Gottes erwirkt werden?! Gott soll so dazu gebracht werden, unsere nicht abgelegten und nicht bereuten Sünden zu dulden, und die Priester sollen statt zu Werkzeugen der gnadenvollen Vergebung zu Handlangern der amoralischen Lebensweise werden!.. Aber sind wir dann noch die Kirche Christi?!.. Im Gebet vor der Beichte heißt es: „Bedenke, weshalb du in diese Heilanstalt eingetreten bist, auf dass du nicht ungeheilt von hinnen gehst!“ Eine Heilanstalt, die nicht heilt, sondern die Krankheit kultiviert, verfehlt ihren Zweck. Dann lasst uns doch gleich Geld für eine dritte Toilette auf dem Hausflur bei uns in Lankwitz sammeln…
Wer in die Kirche kommt, muss sich heilen lassen wollen, denn „nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“ (Mt. 9:12; Mk. 2:17; Lk. 5:31). Unser Glaube unterscheidet sich gerade dadurch von allen anderen, dass er den ernsthaften Willen, sich heilen zu lassen, voraussetzt. Der Widersacher verspricht das Glück natürlich auf eine ganz andere, noch dazu schnellere und einfachere Weise... Wir wollen aber nur zu Jesus Christus als dem einzigen wahren Arzt unserer Seelen eilen, so wie es die heilige Maria von Ägypten während ihres Daseins in der Wüste am Jordan getan hat. Dieser Arzt erwartet keine Bezahlung für Seine Dienste. Als Gegenleistung erwartet Er stattdessen von Seinen Patienten die uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft, damit der Heilungsprozess reibungslos vonstattengehen kann. Er bietet uns als Rezepte die lebenspendenden Mysterien der Kirche an, eine die Seelen reinigende Fastenzeit, die wunderbaren liturgischen Momente der Karwoche und die alles überstrahlende Freude der Auferstehung. Eilen wir also zu diesem Arzt, Der nicht gekommen ist, „um Sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und Sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk. 10:45)! Erkennen wir, dass wir als elendige Sünder vor dem Herrn dastehen und es nicht wert sind, Seine Söhne (und Töchter) zu sein (s. Lk. 15:19,21). Wir werden dann überwältigt sein von dem Empfang, den uns der Herr als Ausdruck der himmlischen Freude über ein wiedergefundenes, zuvor vermisstes Kind bereiten wird (s. Lk. 15:22-24). Das ist die Seligkeit der Auserwählten, die im Reich Gottes am Mahl teilnehmen dürfen (s. Lk. 14:15)! Der Schlüssel dazu liegt in unserer Hand, genauer – in unserem Herzen. Amen.
Details Eintrag
2021
Deutsch