Predigt zum 32. Herrentag nach Pfingsten, nach Theophanie (Eph. 4:7-13; 1 Tim. 1:15-17; Lk. 18:35-43; Mt. 4:12-17) (26.01.2020)
Liebe Brüder und Schwestern,
noch immer wird während des biss einschließlich morgen andauernden Nachfestes der Taufe des Herrn das Troparion und das Kondakion zum Fest gesungen, noch immer ist der Altartisch und sind die Zelebranten in Weiß gekleidet. Es ist der Herrentag nach Theophanie und wir hörten, wie sich die prophetischen Worte des Jesajas bewahrheitet haben: „Als Jesus hörte, dass man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, zog Er Sich nach Galiläa zurück. Er verließ Nazareth, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: ´Das Land Sebulon und das Land Naftali, die Straße am Meer, das Gebiet jenseits des Jordan, das heidnische Galiläa; das Volk, das im Dunkel lebte, hat ein helles Licht gesehen: denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen`. Von da an begann Jesus zu verkünden: ´Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe`“ (Mt. 4:12-17). Warum ging der Herr nach Norden ins „heidnische“ Galiläa und ließ Sich in Kafarnaum nieder? - Das Nordreich verlor 734 v. Chr. seine Unabhängigkeit und wurde zur Provinz des Assyrer-Reichs, wobei große Teile der Bevölkerung in assyrische Gefangenschaft gingen und im Gegenzug heidnische Völkerscharen nach Israel einwanderten. In der Folgezeit kam es zur Vermischung der Kulturen und der Religionen. Später wurde das Gebiet von Griechen und Römern erobert, die ebenfalls ihre kulturellen Spuren hinterließen. Zu Zeiten Jesu war die Bevölkerung Galiläas längst multiethnisch und multikulturell. Auch wenn sich zahlreiche Heiden zum Judentum bekehrten, waren die Galiläer bei den Juden im Süden nicht wohlgelitten. Denn trotz der babylonischen Gefangenschaft (586-538) infolge der Zerstörung des Südreichs hatte es der Stamm Juda als einziger der zwölf Stämme Israels geschafft, sich nicht mit den heidnischen Völkern zu vermischen. Somit galten die Galiläer für die Juden zwar nicht direkt als Heiden, aber doch als Hebräer zweiter Klasse. Und Kafarnaum muss als regionales Handelszentrum, das, wie man es heute formulieren würde, für seine Toleranz und Weltoffenheit bekannt war (s. Lk. 7:4-5), sogar bei den Leuten im galiläischen Hinterland in Verruf geraten sein. Dennoch ging der Herr von Nazareth bewusst nach Kafarnaum und ließ Sich dort nieder. Von dort konnte Er für Sein Missionswerk bequem mit dem Boot die anderen Städte und Dörfer am Ufer des Sees erreichen und die zur Römerzeit vorzüglich ausgebauten Handelsrouten für Überlandreisen nutzen. Vor allem aber konnte Er unter der eher einfach gestrickten galiläischen Bevölkerung mehr Zustimmung und Unterstützung für Sein missionarisches Wirken erwarten als dies im erzkonservativ und engstirnig-nationalistischen Judäa jemals der Fall gewesen wäre. Und warum hätte der Herr Seine Verkündigung nicht ausgerechnet im „heidnischen“ Galiläa beginnen sollen?.. - „Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten“. Und hier im Norden konnten sich noch eher Menschen finden, die von sich aus hätten erwidern können: „Von ihnen bin ich der erste“ (1 Tim. 1:15). In Jerusalem und Umgebung jedoch waren die Leute aus einem ganz anderen Holz geschnitzt und wären für diese Seine Botschaft gleich zu Beginn nicht empfänglich gewesen.
Wie dem auch sei, es erfüllt sich eine weiter Prophetie über unseren Herrn Jesus Christus, die wir heute im erweiterten Sinne auslegen wollen: Uns, die wir im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen. Symptomatisch dafür ist auch die reguläre Sonntagslesung von der Heilung des Blinden vor den Toren Jerichos: Auf die Frage des Blinden, was der Herr ihm tun solle, entgegnet dieser, er möchte wieder sehen können. Die Antwort darauf: „´Du sollst wieder sehen. Dein Glaube hat dir geholfen`. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen. Da pries er Gott und folgte Jesus“ (Lk. 18:42b-43a). Ist das nicht eine wunderbare Real-Allegorie in Bezug auf die Taufe heutzutage?! Der konkrete, lebendige (und nicht diffuse!) Glaube als Grundlage für die Erleuchtung mit der Gnade des Herrn, was zu einem Leben in der Nachfolge Christi führt. Herrlich! Aber weit von unserer aktuellen allgemeinen Realität entfernt.
Die „Erleuchteten“ von heute wissen ihr Glück nicht zu schätzen, weil, ja, der Glaube fehlt. Mit den Augen des Glaubens sollten wir doch erkennen, dass Sich der Schöpfer des Alls im Jordan um unseretwillen entkleidet hat, um uns mit Seiner göttlichen Gnade zu bekleiden (s. Gal. 3:27)! Was können wir dazu sagen? Zum Beispiel dieses: „Gesegnet sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen Seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in Ihm hat Er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; Er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, Seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach Seinem gnädigen Willen zu Ihm zu gelangen, zum Lob Seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in Seinem geliebten Sohn; durch Sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum Seiner Gnade. Durch sie hat Er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt und hat uns das Geheimnis Seines Willens kundgetan, wie Er es gnädig im voraus bestimmt hat; Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist. Durch Ihn sind wir auch als Erben vorbestimmt und eingesetzt nach dem Plan Dessen, Der alles so verwirklicht, wie Er es in Seinem Willen beschließt; wir sind zum Lob Seiner Herrlichkeit bestimmt, die wir schon früher auf Christus gehofft haben“. Und der Apostel ermahnt uns ferner: „Durch Ihn habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; durch Ihn habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr den Glauben annahmt. Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen, der Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden, zum Lob Seiner Herrlichkeit“ (Eph. 1:3-14).
Sind wir nicht orthodoxe Christen? Orthodox sein heißt, (Gott) richtig preisen. Unsere Gottesdienste und Gebetsregeln sind nicht bloß Fürbitten, sie stellen vielmehr eine ununterbrochene Lobpreisung des Allerhöchsten dar, oder, wie es Erzpriester Sergius Heitz (+ 1999) formulierte – das Mysterium der Anbetung. Wenn ich als Außenstehender begehre, Mitglied der Kirche Christi zu werden, dann doch nicht, um für mich irgendwelche Erleichterungen oder Vorteile zu erwirken, sondern um mich einzureihen in die Schar der himmlischen und irdischen Wesen, die vornehmlich in der Göttlichen Liturgie Gott verherrlichen. Das Seelenheil ist der Lohn dafür. Vorfreude der himmlischen Seligkeit gibt es dazu, oftmals auch Hilfe und Schutz in irdischen Angelegenheiten. Eine erhabenere Zweckbestimmung gibt es doch nicht als die, gemeinsam mit den himmlischen Heerscharen der Erzengel und Engel den Einzug der Heiligen in das Heiligtum zu vollziehen (s. Priestergebet zum Kleinen Einzug) oder als Erdgeborene die Cherubim während des Großen Einzugs im Mysterium abzubilden (s. Cherubim-Hymnus). Heilige wie der ehrwürdige Sergij von Radonezh (+ 1392), der ehrwürdige Seraphim von Sarov (+ 1832) oder der gerechte Johannes von Kronstadt (+ 1908) u.v.a. konnten diese Gnade der göttlichen Darbringung in der Liturgie sogar mit den leiblichen Augen erblicken. Auch uns könnten, wie dem Blinden zu Jericho, die Augen aufgehen, wenn wir nur den Glauben hätten und nach diesem entsprechend unserer geballten Entschlusskraft auch leben würden. Doch stattdessen meinen einige, ohne Gottesdienst und Heilige Mysterien Christ sein zu können (vgl. Hebr. 10:25). Sie sind wie Seeleute, die nie das Meer gesehen, Soldaten, die nie eine Waffe in der Hand gehalten haben oder Musiker, die nicht wissen, was eine Tonleiter ist. Ohne Anstrengung gibt es keinen Lohn. Wie geschrieben steht: „Jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat“ (Eph. 4:7). Und Christus will, dass wir alle gemeinsam in Liebe und Wahrheit wachsen. Das ist Orthodoxie! Jeder Einzelne ist gefordert, seiner individuellen Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen gerecht zu werden. „Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir Ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. Durch Ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut“ (Eph. 4:15-16). Und dann können wir mit Fug und Recht sagen, dass das Mysterium der Taufe für uns das größte Geschenk Gottes gewesen ist, denn im dreimaligen Eintauchen werden wir mit Christus in Seinem dreitägigen Begrabensein vereint. „Wenn wir nämlich Ihm gleich geworden sind in Seinem Tod, dann werden wir mit Ihm auch in Seiner Auferstehung vereinigt sein“ (Röm. 6:5). Dieses Ziel ist jede Kraftanstrengung wert und rechtfertigt auch die größten Opfer und Entbehrungen in diesem Leben. Amen.