Predigt zum Lobpreis der allerheiligsten Gottesgebärerin (Hebr. 9:24-28; Hebr. 9:1-7; Mk. 8:27-31; Lk. 10:38-42;11:27-28) (13.04.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
nicht einmal eine Woche ist vergangen, seit wir das (unbewegliche) Hochfest der Verkündigung der allerheiligsten Gottesgebärerin gefeiert haben. Heute, am Samstag der fünften Woche der Großen Fastenzeit, sieht das Fasten-Triodion (die bewegliche Gottesdienstordnung während der Großen Fastenzeit) den vom liturgischen Rahmen her eher bescheidenen Lobpreis der Gottesgebärerin vor. Dennoch hat dieser Feiertag, der das nahende Ende der heiligen vierzig Tage einläutet, eine Besonderheit vorzuweisen: nur an diesem einen Tag (nämlich im Morgenamt, das nach der slawischen Tradition am Freitagabend gefeiert wird) sieht die Agende den Akathistos vor, ein liturgisch-poetisches Werk, bestehend aus dreizehn kürzeren (Kondakien) und zwölf längeren (Ikoi) Hymnen. Der heute (bzw. gestern Abend) gesungene Akathistos (griech. akathistos = Gebet, das nur im Stehen gesungen wird, im Gegensatz zu den Psalmlesungen /Kathismen/, bei denen man in der Kirche sitzen darf) dient von seiner Struktur her als Grundlage für alle anderen Akathistoi, die außerhalb der vorgeschriebenen Gottesdienstordnung in Form eines Bittgottesdienstes in der Kirche gesungen oder von Laien gerne auch zu Hause gelesen werden.
Durch den Akathistos entbieten wir am Ende der Fastenzeit der Mutter des Herrn den von Herzen kommenden Dank für Ihre Beteiligung an unserer Erlösung. Wahres Fasten bedeutet Selbstläuterung, aber nicht nur das – es ist, gewissermaßen, eine Arznei zur Wiederherstellung der ursprünglichen harmonischen Gemeinschaft des Menschen mit seinem Schöpfer. Der Verlust der paradiesischen Wonne geschah ja durch den Ungehorsam der Urahnen (s. Gen. 2:16-17 bzw. 3:6), der darin bestand, dass sie sein wollten wie Gott, das aber ohne Gott (s. Gen. 3:5). Dieses anfängliche Vergehen, herbeigeführt durch die List der Schlange, wäre aber noch an Ort und Stelle rückgängig zu machen gewesen, hätten Adam und Eva ihre Untreue sofort bereut, anstatt sich gegenseitig, die Schlange und sogar Gott anzuklagen (s. Gen. 3:12-13). Somit war das zweite Vergehen, nämlich die Selbstrechtfertigung bzw. die Weigerung zur Selbstbezichtigung, entscheidend für die Vertreibung aus dem Paradies. Unsere Urahnen, die zuvor noch von Angesicht zu Angesicht mit Gott sprachen, konnten ihrem Schöpfer nun nicht mehr in die Augen blicken.
Die Wiederherstellung der zuvor eingebüßten harmonischen Einheit zwischen Himmel und Erde war im vor Urzeiten gefassten Heilsplan Gottes jedoch vorgesehen. Die Menschwerdung von Gottes Sohn aus der heiligen Jungfrau markierte den Anfang unserer Erlösung; sie wäre aber nicht möglich gewesen ohne die Einwilligung des Menschen in diesen unvorstellbaren göttlichen Gnadenakt (s. Lk. 1:38). Die Einwilligung Mariens in den Heilsplan mit Gott machte nicht nur den Ungehorsam unserer Erzmutter wett, er bedingte zudem den für unser Heil unerlässlichen Gehorsam des aus Ihr geborenen Erlösers der Welt (s. Phil. 2:8). Die uns den Himmel öffnende Selbstaufgabe des Neuen Adam (s. 1 Kor. 15:45) war also erst dadurch möglich geworden, dass sich auf Erden ein Mensch fand, Der von Gott als würdig erfunden wurde, als göttliche Behausung zu dienen. Diese Neue Eva war auserkoren worden, noch vor unserer Erlösung Tempel des Heiligen Geistes zu sein (vgl. 1 Kor. 6:19), wodurch wir alle, die wir zuvor „nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden“, nunmehr durch die Einswerdung mit dem Allerhöchsten im mystischen Leib Christi „nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden“ (1 Kor. 15:49)! Ungeachtet des Treuebruchs der Urahnen, aber auch unserer unzähligen persönlichen Verfehlungen ist die uns nun offenstehende himmlische Glückseligkeit in Christus noch herrlicher, als die Seligkeit der ersten Menschen im Garten Eden vor dem Sündenfall! Die von Gott gemachte erste Welt war zwar „sehr gut“ (Gen. 1:31), aber noch nicht vollkommen. Und deshalb setzte Gott den Menschen in den Paradiesgarten, „damit er ihn bebaue und hüte“ (Gen. 2:15). Der Mensch hätte sich durch die göttliche Gemeinschaft vervollkommnen sollen, um die Ähnlichkeit Gottes zu erlangen - allerdings nicht durch eigenmächtiges Handeln (s. Gen. 3:22), durch das sich die Menschen schließlich nicht nur von Gott, sondern auch voneinander entfremdeten (vgl. Gen. 2:22-25 und 3:7,12). Die Scham vor der plötzlich bewusst gewordenen Nacktheit war Ausdruck des Verlustes der einstigen Unschuld vor Gott (wie sie jetzt nur noch Säuglinge und Kleinkinder haben), aber auch der Entfremdung voneinander. Damit aber die Nachkommen Adams und Evas füreinander wieder „Bein vom Bein“ und „Fleisch vom Fleisch“ und dadurch „ein Fleisch“ (Gen. 2:24) sind, muss folgerichtig erst wieder die Gemeinschaft mit Gott hergestellt werden. Und das bedeutet, dass nur im Mysterium der Ehe, der Keimzelle des Lebens, intime Beziehungen und die Kindeszeugung dem Willen und den Geboten Gottes entsprechen, woraus sich wiederum ergibt, dass die Bewahrung der Reinheit vor der Ehe (oder gar die freiwillige Ehelosigkeit in klösterlicher Gemeinschaft – s. Gen. 2:18a) sozusagen unseren persönlichen Beitrag zur Tilgung unserer Schuld vor Gott darstellt. Wir können darüber hinaus in allen Lebensphasen Gott unsere Loyalität beweisen: als Heranwachsende durch Gehorsam gegenüber den Eltern, als Herangereifte durch voreheliche Enthaltsamkeit, als Familienmenschen durch eheliche Treue sowie Erziehung der Kinder in der Furcht Gottes und schließlich im grauen Haar als glaubwürdige Zeugen und authentische Ratgeber für das Streben nach dem einzigen wahren Sinn des Lebens – der neuen harmonischen Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, die im unbefleckten Leib der allerheiligsten Jungfrau ihren Ursprung hat. Ihr singen wir deshalb heute das Dankeslied: „Freue Dich, Du unvermählte Braut!“ Amen.