Predigt zum 4. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 6:18-23; Mt. 8:5-13) (06.07.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
die heutige Lesung aus dem Evangelium nach Matthäus handelt von einem römischen Hauptmann, der unseren Herrn für seinen schwerkranken Diener bittet. Das Bemerkenswerte an dieser Begebenheit ist, dass dieser Mann nicht nur ein Heide war, was im religiösen Sinne schon einen Affront darstellte, sondern auch noch Vertreter der verhassten Okkupanten war, was politisch für Brisanz sorgen musste. Aber, wie wir sehen, stellt der Herr nicht nur den Juden der damaligen Zeit, sondern vor allem uns diesen mutmaßlich in Glaubensfragen, definitiv aber in Fragen der externen Frömmigkeit völlig ungehobelten Offizier als nachahmenswertes Beispiel hin. Wir sind ja rechtgläubige Christen, die, sagen wir mal, formal nach den Regeln der Kirche leben. Aber hinter dieser Fassade der Rechtgläubigkeit verbirgt sich oft die bei den Juden von damals verbreitete Erwartungshaltung in Bezug auf ein Wunder, d.h. auf Gottes Beistand in irdischen Dingen. Ich merke das z.B. auf Pilgerfahrten, wenn unsere Kopftuch tragenden Frauen sich in jedem Kloster oder in jeder Kirche sofort auf die Schreibtische stürzen, um Gedenkzettel für ihre lebenden und verstorbenen Verwandten zu produzieren, ohne dem Herrn vorher richtig „Guten Tag!“ gesagt zu haben. Gott hat gefälligst das zu tun, was wir von Ihm erwarten! Wir haben unseren Part erfüllt – jetzt ist Er an der Reihe… Bei den Juden damals war dies verbunden mit der Erwartung, dass der Messias alles für den Befreiungskampf gegen die Römer Benötigte gewährleistet – für die aufständischen Armeen Brot in der Wüste vermehrt, im Kampf Verwundete sofort heilt und Gefallene wieder zum Leben erweckt usw. Stattdessen aber heilt der Herr den Diener dieses in den Augen der meisten Juden „Unberührbaren“! Statt Feindschaft zeigt Er Liebe! Und das ist das eigentliche Wunder, das wir hier erkennen können! Besonders für unsere Zeit wäre es von unschätzbarer Bedeutung, wenn wir nach dem Vorbild Christi es lernen könnten, im ideologischen, politischen oder sonstigen Gegenüber unseren Bruder oder unsere Schwester zu erkennen, da wir ja alle Kinder des einen Gottes sind. Zuerst durch Menschlichkeit (ohne die geht es nicht!), dann, natürlich, über den Glauben (s. Mt. 5:43-48). Und für die, welche den Zugang zu Gott oder zur Kirche auf dem Weg der (formalen) Rechtgläubigkeit noch nicht gefunden haben, besteht die Chance, durch ihren aufrichtigen und direkten Glauben unseren Herrn „in Erstaunen zu versetzen“. Wer weiß, ob Gott sie nicht über die Masse der selbsternannten Gerechten stellen wird (s. Mt. 8:10)?!..
Der Hauptmann von Kafarnaum war bestimmt kein Weichling. Wenn irgendwo auf dem besetzten Gebiet des Römischen Reiches ein Aufstand aufflammte, reagierte die Staatsmacht mit kompromissloser Härte, wobei sie sich auf ihre für Extremsituationen gedrillten Offiziere in vordersten Front stützen konnte. Fraternisierung oder auch nur ein Anflug von Sentimentalität gegenüber dem Feind war unter diesen Umständen undenkbar, weder von der einen noch von der anderen Seite. Wir alle wissen, dass es solche Menschen mit rauer Schale gibt und wohl auch geben muss – in Militär, Justiz, bei Sicherheitskräften usw. Doch dieser vermutlich grobschlächtige und hartgesottene Haudegen scheint von sich aus diese Konfrontation überwunden zu haben (s. Lk. 7:4-5). In einer von äußerster Not diktierten Situation „erniedrigt“ er sich als Vertreter der Staatsmacht und lässt den Herrn bitten, in sein Haus zu kommen (bei Matthäus begegnet er dem Herrn persönlich, bei Lukas schickt er eine Delegation zu Ihm). Er erklärt die gesellschaftlichen, religiösen und politischen Widerstände von sich aus und für ihn persönlich als ungültig. Was für ein mutiger Schritt! Und Gott belohnt ihn dafür! Und ich sehe darin ein großes Zeichen: wenn die weltlichen Machthaber vor dem wahren Weltenherrscher ihre Knie beugen, werden sie gesegnet sein und die Gnade des Herrn wird mit ihren Völkern sein! Wenn nicht, dann wehe uns allen!..
Auf alle Fälle erkennen wir, dass sich jeder Mensch, egal zu welcher Kaste er auch gehören mag, sich Gott nähern kann, ohne zu befürchten, von Ihm verschmäht zu werden (s. Joh. 6:37). Wird Gott ihn nach seinem Pass fragen oder wird Er prüfen, ob in diesem Menschen Ansätze von Mitleid, Barmherzigkeit und Friedfertigkeit vorhanden sind?! Dagegen müssen wir „Rechtgläubige“ darauf achten, dass wir nicht wie die Juden von einst von solchen direkt zu Gott findenden Menschen eine Lektion in Sachen Glaubensstärke erhalten. Wenn wir in unserer Selbstzufriedenheit verharren, sind wir nicht besser als die rechtgläubigen Juden von damals. Dann kann es auch uns in der Zeit der Prüfung passieren, dass wir unseren Herrn eher verleugnen als dass wir Ihm mit aufs Kreuz nachfolgen werden.
Der heilige Siluan (+1938), der sich Gedanken darüber gemacht hatte, warum von Milliarden zum Heil berufener Menschen nur eine Handvoll Auserwählte (s. Mt. 22:14) zu sein scheinen, empfing einst die Offenbarung, dass Gott auch den Menschen, die Seine Liebe verschmähten, Seine Gnade erweisen wird. Da stellte sich für den Asketen die Frage, wozu einige dann Schweiß, Tränen und Blut für Gott vergössen? Ist das dann alles vergebliche Liebesmüh´? „Nein“, antwortete ihm der Herr. „Wenn ihr Mir treu und gewissenhaft dient, werde Ich euch zu Meinen Freunden hinzuzählen (s. Joh. 15:14-15); zu den anderen werde Ich aber gnädig sein“. Der qualitative Unterschied ist also eindeutig.
Für jeden ehrlichen Christen kann nur die erste Option in Betracht gezogen werden. Und was gibt es Schöneres, als den Freunden des Herrn (s. Ps. 138:17) zugezählt zu werden?! Amen.