Predigt zum Hochfest des Tempelgangs der Allerheiligsten Gottesgebärerin (Hebr. 9:1-7; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (04.12.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
manche unserer Zeitgenossen, die der Kirche fernstehen, fragen sich vielleicht, wenn sie vom Fest der Einführung der dreijährigen künftigen Gottesmutter in den Tempel hören, was diese Feierlichkeit eigentlich soll. Wenn sie gar in religiösen Fragen ein wenig bewandert sind, mögen sie darauf hinweisen, dass im Neuen Testament nichts von diesem Ereignis gesagt wird und dass dieses nur in den Apokryphen sowie in der Überlieferung der Kirche Erwähnung findet. Letzteres ist faktisch richtig. Die Kirche hat von frühester Zeit an dieses Ereignis in ihrem kollektiven Gedächtnis behalten und die Einführung der angehenden Gottesgebärerin in das Allerheiligste des Tempels (s. Hebr. 9:3,7) zur Grundlage für die Verehrung der Mutter unseres Herrn genommen. Schließlich ist Sie vom Hohepriester Zacharias (s. Mt. 23:35; Lk. 11:51; 1:5-25; 57-80), der vom Heiligen Geist geleitet worden war, dorthin eingeführt worden, wo sonst nur der Hohepriester, und das nur ein Mal im Jahr, hineingehen durfte (s. Hebr. 9:7). Jener Stelle im Brief an die Hebräer, wo vom Allerheiligsten (dem „zweiten Zelt“, s. 9:3) die Rede ist, schließt sich die folgende Passage an: „Dadurch deutet der Heilige Geist an, dass der Weg in das Heiligtum noch nicht sichtbar geworden ist, solange das erste Zelt bestand. Das ist ein Sinnbild, das auf die gegenwärtige Zeit hinweist; denn es werden Gaben und Opfer dargebracht, die das Gewissen des Opfernden nicht zur Vollkommenheit führen können; es handelt sich nur um Speisen und Getränke und allerlei Waschungen, äußerliche Vorschriften, die bis zu der Zeit einer besseren Ordnung auferlegt worden sind“ (Hebr. 9:8-10). Diese „bessere Ordnung“ – das Neue Testament unseres Herrn Jesus Christus – wird bereits durch die Einführung Seiner Mutter in das zweite Zelt vermittels des Heiligen Geistes vorgebildet.
Aber vielleicht ist das alles viel zu spitzfindig für manche von uns? Gut. Dann wollen wir den Bezug des heute zu gedenkenden Ereignisses zu unserer gegenwärtigen Realität „volksnah“ herstellen: Die Eltern der Gottesgebärerin, die Gerechten Joachim und Anna, erfüllen das vor der Geburt ihres Kindes geleistetes Gelübde und geben ihr dreijähriges Kind zur Erziehung in den Tempel. Die Eltern sind beide hochbetagt, beides Heilige, die bei uns am Ende jedes Gottesdienstes Erwähnung finden – sie sind ja die leiblichen Großeltern unseres Herrn. Die Darbringung ihrer Tochter vor das Angesicht des Allerhöchsten, die Übergabe ihres Kindes an Gott kann als leuchtendes Vorbild für alle christlichen Eltern dienen, die ihr Kind zur Taufe in die Kirche bringen, um es Gott zu widmen. Wie schön, wie romantisch. Aber hier enden bei den allermeisten schon die Parallelen zur Heilsgeschichte. Wenn mich eine unbekannte Frau anruft (die Mutter, nicht selten die Großmutter), um einen Termin für die Taufe ihres Kindes zu vereinbaren, frage ich meistens, ob die Eltern denn selbst in die Kirche gehen. „Jaaa“, lautet oft die sehr überzeugend klingende Antwort. Wenn ich aber nachhake und frage, wie oft sie denn zur Kirche kämen, kommt die standardmäßige Antwort: „An Feiertagen“. Ich frage weiter: „Zu welchen?“ Antwort: „Zu Ostern“. - „Und sonst?“ - Dann höre ich für einige Sekunden nur noch ein Rauschen in der Leitung. Und so endet das Sondierungsgespräch vor der Taufe mit der Ausrede, man komme halt so oft zur Kirche, wie man könne. Nun ja, das Kind wird dann trotzdem getauft und zwei „Taufpaten“ in das Kirchenregister eingetragen, die vom Glauben nicht mehr Ahnung haben als ich vom Paarungsverhalten indonesischer Wasserbüffel.
Jetzt habe ich mir aber vorgenommen, diese hochnotpeinliche Befragung jedes Mal fortzusetzen. Etwa so: „Sagen Sie bitte: geht ihr Mann jeden Tag (Mo. - Fr.) zur Arbeit, oder nur, wenn ihm gerade der Sinn danach steht?“ Oder: „Gehen ihre Kinder jeden Tag zur Schule (Mo.- Fr.) oder nur, wenn es ihnen gerade zeitlich passt?“ Weiter: „Und sie selbst – wie oft gehen sie pro Jahr zum Friseur, und wie oft zur Kirche? Wie oft lassen sie sich maniküren, und wie oft gehen sie zur Beichte?“ Alles rhetorische Fragen. Doch wenn die Leute ehrlich mit sich selbst sind, müssen sie eingestehen, dass eine derartige Prioritätensetzung darauf hindeutet, dass Gott, das Himmelreich, das ewige Leben, der Glaube und das Seelenheil nicht an erster Stelle bei ihnen stehen. Wozu aber dann die Taufe?!
Jedenfalls haben alle, ob sie nun regelmäßig mit ihren Kindern zur Kirche kommen oder eben nur zu Feiertagen, an denen bunte Eier gesegnet werden, im heutigen Festtag ein höchst nachahmenswertes Beispiel dafür, dass es nichts Wichtigeres gibt als die frühkindliche Erziehung im kirchlichen Glauben. In der Schule bleibt das Kind auch nicht beim ABC und bei Plus und Minus stehen, denn es ist für die weitere geistige Entwicklung notwendig, dass das Kind mit den Aufgaben wächst. Nur in Glaubensangelegenheiten scheint es heute vollkommen ausreichend zu sein, auf dem Niveau des Vorschulalters zu bleiben... Ist den Leuten nicht klar, dass aus einem frommen Menschen ganze Generationen ein Leben mit Gott führen können? Auch ich, der ich von Kindheit an jeden Sonntag in der Kirche bin, musste irgendwann die innere Entscheidung darüber treffen, was für mich absolute Priorität hat. Das ist für alle schon Getauften die wichtigste Entscheidung im Leben! Welch ein Glück, wenn man nach der getroffenen Entscheidung nicht allein ist, wenn um einen herum viele gläubige Menschen sind, die durch ihr Vorbild zeigen, dass ein Leben ohne die Gemeinschaft im Hause Gottes (s. Ex. 25:8; Ps. 25:8; Jes. 56:7; Jer. 7:11; Esra 1:3; vgl. Mt. 21:12; Mk. 11:17; Lk. 19:46; Joh. 2:16) kein Leben ist. Und diese Menschen haben ihr Vorbild von einer Kette frommer Menschen überliefert bekommen, welche ihrerseits die heiligen Joachim und Anna mit ihrem gesegneten Kind zum leuchtenden Vorbild hatten. Amen.