Predigt zum 20. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 1:11-19; Lk. 7:11-16) (22.10.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
der heilige Lukas überlieferte uns als einziger Evangelist die Auferweckung des Sohnes einer Witwe aus der Stadt Nain unweit von Kafarnaum, von wo der Herr in diesen dreieinhalb Jahren zu Seinen zahlreichen Missionsreisen aufbrach.
Wir können uns vorstellen, welch ein Leid die arme Frau zu ertragen hatte. Nach ihrem Mann, dem Ernährer der Familie, starb nun der einzige Sohn der Witwe, der ja zur Stütze ihres Alters werden sollte. Wir kennen solche und ähnliche Situationen aus unserem Leben. Was können wir solchen Menschen zum Trost sagen?.. Oft versagt uns selbst die Stimme, fehlen uns die Worte… Unser Herr Jesus Christus verwendet im heute geschilderten Fall auch keine ausgeklügelten Worte – das hat Er auch gar nicht nötig, da Er doch Selbst „die Auferstehung und das Leben“ (Joh. 11:25) ist. Er stammelt nicht irgendetwas dahin, gibt auch keine eingeübten Standardfloskeln von Sich (die den Schmerz der um ihr Kind trauernden Mutter eher noch vergrößern als dass sie ihn lindern würden), sondern sagt zu der Frau: „Weine nicht!“ (Lk. 7:13). Einfacher geht es nicht! Der Herr offenbart Sein Mitleid, und wir erkennen an der Reaktion der Träger sowie letztlich an der Erweckung des Jungen, dass diese sehr schlichten Worte mit göttlicher Vollmacht ausgesprochen wurden (s. 7:14; vgl. Mt. 7:29). Und dazu bedarf es keiner eloquenten Reden, „denn nicht in Worten erweist sich die Herrschaft Gottes, sondern in der Kraft“ (1 Kor. 4:20; vgl. 2:4). Diese Kraft nehmen auch wir aus unserem Glauben. So ermahnt der Apostel Paulus die Starken (im Glauben), die Schwäche derer zu tragen, die schwach sind (s. Röm. 15:1); und solche, die stark sind (im Glauben), sollen im Falle des Ablebens eines lieben Menschen folglich auch nicht trauern „wie die anderen, die keine Hoffnung haben“ (1 Thess. 4:13) und sich stets dessen annehmen, „der im Glauben schwach ist“ (Röm. 14:1). Diese Schwäche im Glauben äußert sich bei uns ja meistens darin, dass wir zur Zeit des Wohlergehens Gott vergessen und zu Zeiten der Drangsal die Kühnheit haben, Gott als hart und ungerecht zu verurteilen (s. Mt. 25:24-25). Diese Schwäche des Glaubens äußert sich bei uns auch darin, dass wir aus Gottes Händen fast ausschließlich irdisches Glück erwarten – und dadurch selbst für unser Unglück verantwortlich sind (s. 1 Kor. 15:19). Wir müssen erkennen, dass wir ohne unseren Glauben die unglücklichsten Menschen auf Erden wären. Unvorstellbar, ohne Christus zu leben! Besonders für uns, die Berufenen. Nach der Absage an Christus geht auch die Mitmenschlichkeit flöten. Vor einigen Jahren brach in Russland ein junger Mann nach einem Herzstillstand mitten in der Disko zusammen. Für einen Moment herrschte Verwirrung, wurden Musik und Tanz unterbrochen. Nachdem aber der Tod des jungen Mannes festgestellt worden war, wurde er beiseite geschaffen und das Vergnügen ging mit unverminderter Intensität weiter…
Der große Trauerzug aus der Stadt Nain zeugt davon, dass die Menschen da noch Mitgefühl besaßen. Wir wissen nicht, wer diese Frau war – war sie eine angesehene, einflussreiche Person in der Stadt, oder waren sie, ihr verstorbener Mann und ihr auf der Totenbahre liegender Sohn möglicherweise bekannt für ihre Herzensgüte und Hilfsbereitschaft? Möglich. Doch für sie alle gibt es keinen Trost außer der ihnen unerwartet entgegenkommenden großen Menschenmenge, angeführt durch unseren Herrn Jesus Christus. Diese Menschen im Gefolge Christi erinnern mich an einen Clip auf YouTube, bei dem im Hintergrund die „Hymne“ der orthodoxen Christen („Вера вечна, вера славна“ von St. Nikolai Velimirovic, + 1956, ausgeführt durch von Art-Group Largo aus Krasnodar) gesungen wird. Auf dem Video sieht man u.a. unseren Heiligsten Patriarchen umgeben von zahlreichen Geistlichen und einer riesigen Menschenmenge bei einer Prozession zu Ehren des heiligen Sergij von Radonezh. Dabei kommen mir diese Zeilen aus der Apokalypse in den Sinn:
„Und ich sah: Das Lamm stand auf dem Berg Zion, und bei Ihm waren hundertvierundvierzigtausend; auf ihrer Stirn trugen sie Seinen Namen und den Seines Vaters. Dann hörte ich eine Stimme vom Himmel her, die dem Rauschen von Wassermassen und dem Rollen eines gewaltigen Donners glich. Die Stimme, die ich hörte, war wie der Klang der Harfe, die ein Harfenspieler schlägt. Und sie sangen ein neues Lied vor dem Thron und vor den vier Lebewesen und vor den Ältesten. Aber niemand konnte das Lied singen lernen außer den hundertvierundvierzigtausend, die freigekauft und von der Erde weggenommen worden sind. Sie sind es, die sich nicht mit Weibern befleckt haben, denn sie sind jungfräulich. Sie folgen dem Lamm, wohin Es geht. Sie allein unter den Menschen sind freigekauft als Erstlingsgabe für Gott und das Lamm. Denn in ihrem Mund fand sich keinerlei Lüge. Sie sind ohne Makel“ (Offb. 14:1-5).
Was für eine unvorstellbare Glückseligkeit, wenn auch wir uns noch hier auf Erden in den Chor dieser, durch das Blut des Lammes Reingewaschenen, einreihen dürfen: „Deshalb stehen sie vor dem Thron Gottes und dienen Ihm bei Tag und bei Nacht in Seinem Tempel; und Der, Der auf dem Thron sitzt, wird Sein Zelt über ihnen aufschlagen. Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden, und weder Sonnenglut noch irgendeine sengende Hitze wird auf ihnen lasten. Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen wischen“ (Offb. 7:15-17).
Was gibt es Großartigeres, als sich schon jetzt dieser unüberschaubaren Menschenmenge anschließen zu dürfen?! Und umgekehrt: um nichts in der Welt will ich aus diesem Gefolge unseres Herrn, der Gemeinschaft Seiner Jünger und aller meiner Brüder und Schwestern in Christo ausgeschlossen sein! Amen.