Predigt zum Fest des Schutzes der Allerheiligsten Gottesgebärerin (Hebr. 9:1-7; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (14.10.2022)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute begehen wir feierlich das Gedenken an die wundersame Errettung Konstantinopels von den anstürmenden Feinden durch die Mutter Gottes, die während der Vigil dem heiligen Andreas, Narr in Christo, erschienen war, der mit seinem Schüler Epiphanios beobachtete, wie Sie, umringt von vielen Heiligen, Ihren Schutzmantel über die inbrünstig Betenden in der Kirche hielt. Es war somit die Ankündigung vom Himmel, dass die Gottesmutter gemäß Ihrer vor dem Entschlafen gemachten Verheißung Ihre Kinder auf Erden nicht verlassen wird. Wir alle sind ja in Person des Lieblingsjüngers des Herrn zu Golgatha Ihrem mütterlichen Schutz anvertraut worden (s. Joh. 19:26-27). Was der heilige Andreas und sein Schüler sahen, war also der Beistand der himmlischen Kirche für die irdische. In Russland, das im Verlauf seiner Geschichte ständig durch Feinde bedroht war, wird dieser Tag ganz besonders in Ehren gehalten. Er ist die Bestätigung dessen, dass im geistlichen Sinne Himmel und Erde, die unsichtbare und die sichtbare Welt, eine Einheit bilden. Wir Erdlinge bringen dies täglich dadurch zum Ausdruck, indem wir zu unserem Himmlischen Vater beten: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“ (Mt. 6:10; vgl. Lk. 11:2). Der Herr Selbst hat ja vorgemacht, wie wir den Willen des Vaters im Himmel erfüllen sollen (s. Mt. 26:39,42; Lk. 22:42; Joh. 4:34; 5:30; 6:38-40). Im Himmel wird der Wille Gottes des Vaters ohnehin jederzeit erfüllt; wir auf Erden müssen danach bemüht sein, ebenso diesen Willen zu erkennen und zu verkündigen (s. Apg. 20:27; 22:14). So werden wir, die wir noch in dieser vergänglichen Welt weilen, in Ewigkeit leben (s. 1 Joh. 2:17). Zu nichts anderem ist uns dieses zeitliche Leben geschenkt worden; zu nichts anderem als der Erfüllung des göttlichen Willens zu unserem Heil führt uns der lebendige Glaube an unseren Herrn (s. Hebr. 10:36).
Alles, was in dieser Welt (in Raum, Zeit und Materie) geschieht, läuft nicht „separat“ ab, sondern hat vielmehr eine Bewandtnis mit der unendlichen, ewigen und immateriellen Welt. Die Erfüllung des göttlichen Willens durch die Menschen auf Erden bzw. die Nichterfüllung desselben äußert sich vor allem im Kontext des Himmelreichs. Und wir alle, die wir im Alltag zu Hause und an Festtagen in der Kirche beten, stellen täglich diese Beziehung zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt her. Für uns existiert die Frage nach der Existenz des Transzendenten nicht, und das macht das Leben in dieser Welt, in der es bekanntlich nicht nur Glück und Wohlergehen gibt, erträglich. Je stärker diese Verbindung, desto größer der Trost und sogar die geistliche Freude, wenn der Wille Gottes (statt unseres Willens) auf Erden geschieht. Und das bewahrheitet sich in allen nur erdenklichen Umständen: je stärker der Glaube und die Gottesergebenheit, desto größer die Gnade in diesem zeitlichem Leben in allen unseren Unterfangen. Und dieses Bewusstsein stärkt uns in dieser Zeit der Prüfung, in der es vordergründig scheinbar nur um politische, wirtschaftliche oder nationale Belange geht, genauer betrachtet aber den Kampf abbildet, der sich seit Erschaffung der unsichtbaren Welt vollzieht (s. Offb. 12:7-18; Kap. 13). Die Endphase dieses Kampfes naht. Wir müssen uns positionieren, zumindest die, welche es noch nicht bewusst getan haben. Der Ausgang des Kampfes ist vorentschieden; jedem von uns bleibt nun überlassen, wer auf welcher Seite stehen wird. Die Erscheinung der Mutter Gottes in der Blacherna-Kirche ist eine Andeutung dessen, dass der himmlische Beistand denen gewiss sein wird, die auf Seiten Gottes kämpfen werden. „Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen!“ (Offb. 13:10). Alles Irdische hat somit einen tiefen Sinn: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, spricht der Geist, sie sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke folgen ihnen nach“ (Offb. 14:30). Und wenn dem so ist, wovor sollten wir uns fürchten (s. Ps. 22: 4; 26:1-3)?! Wer aber nur Irdisches im Sinn hat, wird sich schwer tun damit, Gottes Willen zu akzeptieren. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa hatten Millionen Menschen nach Ende der Unterdrückung des Glaubens über dreißig Jahre Zeit und Gelegenheit, ungehindert ein Leben im Einklang mit Gottes Willen zu suchen und zu finden. Nur ca. 1-5% haben davon Gebrauch gemacht. Der Rest betrachtet die heilige Taufe als Zugangsberechtigung zur alljährlichen Segnung der Osterspeisen („Wir sind orthodox“). Und viele von denen, welche den Weg zur Kirche gefunden haben, haben noch immer nicht begriffen, dass es Gott vor allem auf die Liebe unter den Menschen ankommt (s. 1 Kor. 13:13). Wir alle tragen doch gemeinsam die Verantwortung für das, was in der Welt passiert.
So hat unser Patriarch zum diesjährigen Fest der Kreuzerhöhung vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse von der Notwendigkeit einer „geistlichen Mobilmachung“ gesprochen. Diejenigen orthodoxen Christen, welche meinten, es genüge vollkommen, ein Mal im Jahr zur Kirche zu kommen, sollten ihre Ansichten in diesen schwierigen Zeiten überdenken. Überhaupt kann jeder von uns etwas an sich und an seiner Lebensweise ändern, denn alle stünden jetzt in der Pflicht, sich durch Opferbereitschaft um seine Nächsten zu kümmern. Diese tätige, aktiv gelebte Liebe habe die Kraft, die Menschen von ihren Sünden zu befreien (vgl. 1 Petr. 4:8), so Seine Heiligkeit. Es mag kaum verwundern, dass bösartige Quellen diese Worte wieder mal in einem völlig verkehrten Licht ausgelegt haben, um die Autorität der gesamten Kirchenleitung in den Augen gutgläubiger Menschen zu untergraben. Wenn aber schon Gott Selbst zuerst alle Vorwürfe prüft, bevor Er zu einem Urteil gelangt (s. Gen. 18:20-22), sollten wir das im Sinne von Mt. 7:12 (die „Goldene Regel“) auch immer tun. Amen.