Predigt zum Fest der Muttergottes-Ikone von Kazan´ (Phil. 2:5-11; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (04.11.2022)
Liebe Brüder und Schwestern,
bei allen Festen der Gottesmutter lesen wir den Abschnitt über den Besuch unseres Herrn im Hause Marthas und Mariens. Da das Evangelium des Lukas nicht chronologisch aufgebaut ist, wird dabei nicht ersichtlich, ob es sich hier um das Mahl in Betanien handelte, das die Schwestern nach der Auferweckung ihres Bruders für Christus bereiteten (vgl. Joh. 12:1-11). Für unsere Betrachtung ist dies aber unerheblich, da die Verehrung der Mutter unseres Herrn im Vordergrund steht. Daher wird der Zusatz aus Kap. 11, Verse 27-28 angefügt.
Entscheidend ist ja ohnehin der allegorische Gehalt. Während Martha, die ältere von beiden, sich als Hausherrin große Mühe um die Bewirtung des Herrn und der zahlreichen Gäste macht, sitzt Maria zu Dessen Füßen und hört eifrig Seinen Worten zu. Symbolisch steht Martha für die leibliche Askese, also für das, was die äußere Frömmigkeit (Gebet, Fasten, Wachen, Mildtätigkeit etc.) ausmacht. Alle diese Dinge sind richtig und wertvoll, und werden vom Herrn keineswegs verworfen, aber sie stellen noch nicht das Ziel unserer Hinwendung zu Gott dar, zumal sie allein für sich genommen ein enormes Potential für Hoffart beinhalten (vgl. Lk. 18:9-14). Notwendig ist in den Augen des Herrn nur die geistliche Askese, für die Maria steht. Martha erfüllt gewissermaßen die Norm des Alten Bundes (s. Ex. 20:1-17), Maria hingegen die des Neuen (s. Mt. 5:1-12). Wie die Gesetzgebung auf dem Sinai die Bergpredigt erst bedingt hat, so ist auch die leibliche Askese unerlässlich zur Erlangung der wahren Spiritualität. Doch am Ende zählt nur Letztere: „Maria hat das Bessere gewählt, das soll nicht von ihr genommen werden“ (Lk. 10:42b). Anders als es der äußeren Darstellung nach erscheinen mag, ist die geistliche Askese der viel mühevollere Weg, der aber bei konsequenter Befolgung die Gemeinschaft mit unserem Herrn möglich macht. Das ergibt sich aus der Antwort des Herrn auf den Zuruf einer Frau aus der Volksmenge. Diese preist die Mutter des Herrn für ihre leibliche Mitwirkung bei der Geburt des Herrn (s. Lk. 12:27). Die Entgegnung des Herrn aber lautet: „Selig sind vielmehr die, welche das Wort Gottes hören und es befolgen“ (12:28), womit das Leben nach den geistlichen Regeln des Neuen Testamentes gemeint ist. Es ist der Lobpreis des Herrn für Seine Mutter, die ständig die Worte Ihres göttlichen Sohnes in Ihrem Herzen bewahrte (s. Lk. 2:51) und Ihr ganzes Leben danach ausrichtete. Sie ist somit die Erfüllung all dessen, was der Herr mit dem einzig Notwendigen (s. Lk. 10:42a) gemeint hat. Amen.