Predigt zum Festabschluss des Tempelgangs der Allerheiligsten Gottesgebärerin (Hebr. 9:1-7; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (08.12.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute ist der letzte Tag des Nachfestes der Einführung der Gottesgebärerin in den Tempel. Dieses Fest bietet reichlich Stoff zur Reflexion, zeugt doch allein der Tatbestand des Eintritts eines dreijährigen Kindes, - noch dazu eines Mädchens, - in das Allerheiligste, dass Sie diejenige ist, die den Tempel mitsamt dem Allerheiligsten heiligt, und nicht umgekehrt. Durch Ihr Gebären ist Sie nämlich der „Allreine Tempel des Erlösers“, „geheiligte Schatzkammer der Herrlichkeit Gottes“ (s. Kondakion) – die leibliche Wohnstatt des Allerhöchsten.
Das Gesagte führt uns nun zur Frage, ob und wie auch wir zur göttlichen Behausung werden können, und welche Bedeutung hierfür der Tempel aus Stein oder Holz, also eine Kirche, spielt. Laut dem Neuen Testament ist jeder aus Wasser und Geist Geborene (s. Joh. 3:5) doch „ein Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor. 6:19). Reicht es demnach etwa, bloß getauft zu sein, aber nicht aktiv am kirchlichen Leben teilzunehmen? Schließlich gibt es zahlreiche passive Christen, die immer dieselben Standardsätze anführen: „Ich glaube zwar an Gott, aber ich kann auch zu Hause beten. Um ein guter Mensch zu sein, brauche ich jedenfalls keine stundenlangen Gottesdienste“. - Haben sie etwa Recht?
Bei der Suche nach einer Antwort könnte uns die Begebenheit aus dem Lukasevangelium von Martha und Maria behilflich sein, die zu Gottesmutterfesten in der Liturgie vorgetragen wird - so auch heute. Martha macht sich „viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden“ (Lk. 10:41-42). Denn das, was Maria gewählt hat, hat auf ewig Bestand. Martha hingegen plagt sich für vergängliche Dinge ab. Das, was die selbsternannten guten Menschen unter guten Werken verstehen, dient vornehmlich dem leiblichen Wohl, nicht aber dem Seelenheil. Soziales Engagement und Wohlfahrtspflege sind ohne Zweifel gut und richtig, weil sie die physische und psychische Not Bedürftiger und Schutzsuchender lindern, aber wenn sie einen Surrogat für das einzig Notwendige darstellen, quasi als Rechtfertigung für die Vernachlässigung des Seelenheils dienen, sind sie lt. Evangelium mit einem Makel vor Gott behaftet. So kann man die ganze Welt gewinnen, aber Schaden an seiner Seele nehmen (s. Mt. 16:26; Mk. 8:36; Lk. 9:25) – tausend Krankenhäuser, Kinderheime oder Obdachlosenasyle bauen, durch soziale Reformen die Lebensverhältnisse von Millionen verbessern, und doch keine einzige Seele retten. Tatsächlich machen wir uns tagtäglich viele Sorgen und Mühen, finden aber kaum Zeit für ein vertieftes Gebet oder für geistliche Erbauung, auch nicht im Internet. Der Herr sagt: „Sorgt euch nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage“ (Mt. 6:34). Wir beklagen oft zurückliegende Ereignisse oder verpasste Gelegenheiten und sorgen uns um das, was noch kommen mag, aber die Vergangenheit können wir nicht zurückholen (s. Lk. 9:62) und die Zukunft ist noch nicht greifbar; nur die Gegenwart halten wir in unseren Händen. Deshalb lehren uns die heiligen Väter, jeden Tag so zu leben, als sei es der letzte oder gar einzige Tag unseres Lebens. Es gibt kein gestern und morgen – nur heute! Der Vorteil: man kann jeden Tag neu beginnen und das Vergangene einfach „abhaken“. Doch dazu fehlt uns die Entschlossenheit („Heute nicht mehr, vielleicht aber morgen oder übermorgen“). Wir sind zerstreut, können uns innerlich nicht für die Zwiesprache mit Gott sammeln, sind permanent in „die Sorgen dieser Welt“ vertieft (Mt. 13:22; vgl. Mk. 4:18; Lk. 8:14), weil Zweitrangiges, Nichtiges und Überflüssiges (wenn nicht gar Schädliches) unsere ganze Aufmerksamkeit beanspruchen. Und dann kommen die nominellen Christen, die Alibi-Gläubigen, und rechtfertigen ihr Wegbleiben dadurch, dass es ihnen in der Kirche „zu langweilig“ ist. Wären sie ehrlich zu sich selbst, würden sie zugeben, dass sie gar nicht (richtig) beten können, und es auch gar nicht lernen wollen. Denn wenn sie sich bei leiblicher Präsenz in der Kirche langweilen, heißt das, dass sie gar nicht erst versuchen, zu beten. Wer richtig betet, der hält Zwiesprache mit Gott, der müsste folglich auch der spürbaren Gnade des Heiligen Geistes teilhaftig werden. Heilige werden im Gebet zu „Gesprächspartner der Engel“ (s. Megalynarion zu Festen von Heiligen im Mönchsstand) oder sehen als Hesychasten das gnadenreiche Licht des Bergs Thabor. Sind denn diese Daheimbeter etwa schon so weit, dass sie ihr Herz ohne Beichte und Kommunion von allem Fehl gereinigt haben und bereits die ungeschaffenen Energien Gottes mit den leiblichen Sinnen wahrnehmen können (s. Mt 5:8)?! … Bei sich zu Hause?!..
Wir können im Leib Christi „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ sein (Eph. 2:19). Aber dazu bedarf es einer ernsthaften Herangehensweise. In der kirchlichen Gemeinschaft kann das besser gelingen, weil wir uns gegenseitig unterstützen, weil unsere Gebete für die ganze Welt, „für alles und für jeden“ hier gemeinsam Gott dargebracht werden. Hier erwerben wir die bleibenden Schätze, die wir im Himmel sammeln sollen (s. Mt. 6:20-21; 19:21; Lk. 12:33). Und dann merke ich, wie sehr ich meine Brüder und Schwestern im Glauben brauche, wie dankbar ich ihnen doch sein muss, dass sie mit mir diesen Weg in das Königtum Gottes gehen. Christus ist dieser Himmlische Schatz, den wir im Mysterium der Heiligen Eucharistie empfangen dürfen und dadurch der Gnade nach vergöttlicht werden. Deshalb möchte ich allen meinen nahen und fernen Geschwistern im Geiste zurufen: „Durch ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut“ (Eph. 2:22). Amen.