Predigt zum 15. Herrentag nach Pfingsten / Gedächtnis aller Heiligen des Deutschen Landes (2 Kor. 4:6-15; Lk. 5:1-11) (06.10.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
erstmals in ihrer Geschichte feiert die Russische Orthodoxe Kirche das Gedächtnis aller Heiligen, die im Deutschen Lande aufgeleuchtet sind. Für mich als in Deutschland aufgewachsenen Russen gibt es jetzt zwei solcher Tage: den Festtag Aller Heiligen des Russischen Landes feiern wir orthodoxe Deutsche seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich als unseren Feiertag, ganz wie nun der neue Festtag Aller Heiligen des Deutschen Landes für uns Russen in Deutschland schon jetzt ein Höhepunkt des Kirchenjahres ist. Durch diese Feste bedanken wir uns gewissermaßen bei den Heiligen, die durch ihren heiligmäßigen Lebensweg für die Christianisierung unserer Völker maßgeblich gewesen waren und in Zeiten der Verfolgung und Unterdrückung standhaft die Glaubenswahrheit verteidigt haben. Und doch sind solche Feste alles andere als „Nationalfeiertage“, in denen wir die Vorzüge unserer jeweiligen nationalen Kultur feiern. Für uns orthodoxe Christen steht nämlich im Vordergrund, dass wir durch unsere Heiligen die Gnade der Taufe in Christus empfangen haben, wobei St. Bonifatius (+754) zeitlich vor St. Wladimir (+1015) gewesen war. Anders als das notwendigerweise national geprägte Gesetz Mose mit dem Befolgen äußerer Vorschriften ist der Neue Bund Jesu Christi innerlich (geistlich) zu erfüllen. Der kulturhistorische Rahmen spielt hierbei überhaupt keine Rolle (s. Gal. 3:28). Das zeitlose „Gesetz“ Christi steht über den Dingen dieser Welt, es offenbart sich auf keiner kulturellen oder intellektuellen, sondern auf einer spirituellen Ebene. Es geht nur darum, dass Gott „im Geist und in der Wahrheit“ angebetet wird (Joh. 4:23,24). Das Gesetz der Gnade infolge des Pfingstereignisses kann jedoch nicht aus menschlicher Kraft allein erfüllt werden, denn seine Feinde zu lieben (s. Mt. 5:44; Lk. 6:35), seinem handgreiflich gewordenen Kontrahenten im Streit die andere Wange hinzuhalten (s. Mt. 5:39; Lk. 6:29) und seinen Mitmenschen von Herzen alle Verfehlungen zu verzeihen (s. Mt. 5:14; Lk. 6:37) übersteigt auf Dauer jegliches Potential der natürlichen Herzensgüte, so dass erfahrungsgemäß zahlreiche „gute Menschen“ an diesen Prüfungen verzweifeln, sich enttäuscht vom Glauben abwenden und seelisch zugrunde gehen. Wer meint, vollkommen sein zu können wie der Himmlische Vater (s. Mt. 5:48; vgl. Lk. 6:36), ohne die „neutestamentlichen Gebote“ (s. Mt. 5:3-12; vgl. Lk. 6:20-26) auch nur annähernd befolgt zu haben, ist Opfer dämonischer Täuschung geworden (vgl. Gen. 3:5). Und es gibt viele, die diesen Weg gegangen sind (s. Mt. 7:13-14; vgl. Lk. 13:22-30).
Wer nach den Seligpreisungen aus der Bergpredigt des Herrn lebt, wird sich hingegen als unendlicher Schuldner vor Gott sehen. Jegliche äußerliche oder innerliche Anfechtung wird er als willkommenes Geschenk Gottes dankbar annehmen, weil er dadurch (nach menschlichem Ermessen) seine Unwürdigkeit vor Gott sühnen kann. Aber nur Gott allein kann ihn gerecht machen – durch Seine Gnade: „Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt“ (2 Kor. 4:7). Auch aus diesem Grunde verneigen wir uns heute vor unseren deutschen Heiligen, die alle ihren Beitrag dafür geleistet haben, dass in diesem wunderbaren Land aus Finsternis Licht aufgeleuchtet ist. Dank ihres asketischen Kampfes ist Gott „in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi“ (2 Kor. 4:6). Sie alle sind durch ihre Demut vor Gott für uns zur „Regel des Glaubens“ und zum „Vorbild der Sanftmut geworden“ (Правило веры и образ кротости).
Der „leichte Weg“ in die Verderbnis führt u.a. über die Lektüre pseudo-christlicher Bestseller, die z.B. von „Erfahrungen aus Gesprächen mit Engeln“ handeln. Wer die heiligen Väter nicht gelesen hat, aber „hoch hinaus“ will, wird zur leichten Beute solcher „Engel“, die mithilfe einschlägiger AutorInnen, die selbst meist unbewusst Opfer dieses teuflischen Hochmuts geworden sind, verführt werden. Und das ist eine völlig konträre Einstellung zu dem, was uns die Erfahrung wahrer Glaubensboten in der heutigen Apostellesung aus dem zweiten Brief an die Korinther darbietet: „Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird. Denn immer werden wir, obgleich wir leben, um Jesu willen dem Tod ausgeliefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird. So erweist an uns der Tod, an euch aber das Leben seine Macht. Doch haben wir den gleichen Geist des Glaubens, von dem es in der Schrift heißt: ´Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet`. Auch wir glauben, und darum reden wir. Denn wir wissen, dass Der, Welcher Jesus, den Herrn, auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken und uns zusammen mit euch (vor Sein Angesicht) stellen wird. Alles tun wir euretwegen, damit immer mehr Menschen aufgrund der überreich gewordenen Gnade den Dank vervielfachen, Gott zur Ehre“ (2 Kor. 4:8-15). Gott wirkt durch Seine Heiligen in dieser Welt – durch die, welche ihre Furcht vor den sie erwartenden unvorstellbaren diesseitigen Plagen überwanden und sich freudig dem Herrn bei Dessen Verkündigung anschlossen (s. Lk. 5:1-11). An ihnen erwies der Tod seine Macht, damit an uns das Leben seine Macht erweisen konnte. Sie taten alles unseretwegen, damit immer mehr Menschen aufgrund der überreich gewordenen Gnade den Dank vervielfachen, Gott zur Ehre. Amen.