Predigt zum Fest der Enthauptung Johannes des Täufers (Apg. 13: 25-32; Mk. 6: 14-30) (11.09.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

die Heilige Kirche würdigt heute den Propheten, Vorläufer und Täufer des Herrn Johannes, welcher der kirchlichen Überlieferung zufolge den in der Unterwelt Befindlichen die nahende Befreiung durch den Messias verkündigte. Der Herr Selbst sagte über Seinen Vorläufer: „Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer“ (Mt. 11: 11; vgl.  Lk. 7: 28). Johannes saß unschuldig im Gefängnis und wurde um der Wahrheit willen hingerichtet. Daher gibt es für uns kein besseres Vorbild und keine größere Autorität in Fragen, die das Verhältnis des Christen zur Staatsmacht betreffen. Welche Schlüsse können wir also für unsere Beziehung zu den Herrschern dieser Welt ziehen? Gibt es eine „rote Linie“ zwischen bedingungsloser Loyalität und gebotenem Ungehorsam, und wenn ja – wo liegt sie?

Der Herr Jesus Christus Selbst war der Staatsmacht quasi im Mutterleib gehorsam, als Er Sich mit Seinen gesetzlichen Eltern nach dem Erlass des irdischen Kaisers in die Steuerlisten eintragen ließ. Später, als mündiger und gesetzestreuer Untertan ließ Er Sich weder zu aufrührerischen Äußerungen gegen den Kaiser hinreißen (s. Mt. 22: 21 u. Mk. 12: 17), noch stellte Er die von Gott erteilte Machtbefugnis des römischen Statthalters in Frage (s. Joh. 19: 11). Seine Gesandten betrachteten die weltliche Macht nicht bloß als notwendiges Übel, sondern – eindeutig positiv – als von Gott gegebenes Instrument zur Aufrechterhaltung der zivilen Ordnung (s. 1. Petr. 2: 13-17;  Röm. 13: 1-7;  Tit. 3: 1) oder sogar als äußere Rahmenbedingung zur Erlangung unseres Seelenheils (s. 1. Tim. 2: 2-3). Warum sonst beten wir bei jedem Gottesdienst für das Vaterland und „für die, die es regieren und beschützen“?! – Man stelle sich nur vor, es gäbe von heute auf morgen keine Staatsgewalt bzw. keine gesetzlichen Organe mehr in unserem Lande!.. Wir können ja gerade sehen, was in Ländern wie Syrien, Libyen, Irak, Jemen, Somalia oder Afghanistan geschieht. Nicht auszudenken, wenn Vergleichbares in größeren Ländern wie Pakistan, Iran oder in der Türkei passiert!... Wir sind uns also einig, dass die Institution der weltlichen Macht als solche von Gott gewollt und von Ihm gegeben ist.

Allerdings birgt die Macht der Gesetzeshüter in sich auch immer die Gefahr des Missbrauchs. Trotzdem sieht das göttliche Gesetz aus gutem Grund keinerlei Anlass für die Gläubigen, der staatlichen Macht den Gehorsam zu verweigern, und das, obwohl sich die internen kirchlichen Regeln gerade bei Amtsmissbrauch oder bei moralischen Verfehlungen von Geistlichen durch überaus hohe disziplinarische Standards auszeichnen. Soll diese grundsätzliche Loyalitätspflicht gegenüber den politischen Machtstrukturen also bedeuten, dass Christen immer alles gutheißen und zu allem schweigen müssen? - Mitnichten!

Johannes der Täufer war kein Aufwiegler, war aber auch kein Duckmäuser. Er prangerte den unmoralischen Lebensstil des weltlichen Herrschers an, weil sich dieser Gottes Gebot widersetzt hatte. Er tat dies mutig und entschlossen, in der ständigen Erwartung, die ganze Härte der Staatsmacht gegen sich zu spüren. Ihm eiferten zahlreiche Heilige wie Johannes Chrysostomos (+ 407), Metropolit Philipp von Moskau (+ 1569) und Igumen Kornilij von Pskow (+ 1570) nach. Sie taten dies konsequent bis zum Tode, indem sie die Gerechtigkeit Gottes grundsätzlich über jegliche irdische Ordnung stellten (s. Apg. 5: 29), und das, wohlgemerkt, vor dem Angesicht gesalbter orthodoxer Herrscher.

Das ist in sich auch vollkommen schlüssig: Gott ist Derjenige, Der den Herrscher über uns eingesetzt hat; Letzterer wird also vor Gott Rechenschaft ablegen müssen. Wir sind folglich nicht berechtigt, eigenmächtig an der von Gott eingesetzten Ordnung zu rütteln. Aber das darf uns zu keiner Zeit daran hindern, Zeugnis von der Wahrheit abzulegen. Nur wenn uns diese Möglichkeit verwehrt wird, dürfen wir uns der weltlichen Macht widersetzen, ohne aber deren grundsätzliche Legitimität anzuzweifeln. So hat Johannes der Täufer niemals zum Sturz des Herodes aufgerufen oder dessen Machtbefugnis als solche in Frage gestellt. Wie Christus vor Pilatus, so bezeugte auch Johannes vor Herodes, dass die irdische Macht ihre Daseinsberechtigung aus der göttlichen Macht bezieht und sich in der Gewaltausübung nach den Normen des himmlischen Gesetzes zu orientieren hat. Keine Macht – weder geistliche noch weltliche – existiert demnach um ihrer selbst willen.   

Aus der weiteren Kirchengeschichte können wir ebenso keine eindeutigen, allseits verbindlichen Schlüsse darüber ziehen, wann und wo die Kirche zu Loyalität aufrief oder den Segen zum Befreiungskampf gegen die Tyrannei geben hat. Logisch ist nur, dass man zur Verteidigung des Vaterlandes gegen externe Feinde aufruft. Aber wenn sich die Fremdherrschaft dann doch einstellt, muss man eben irgendwie auch mit ihr klarkommen – auch unser Herr Jesus lebte unter dem römischen Joch. Was ist aber, wenn der Feind aus dem Inneren kommt? Patriarch Tichon (Belavin, + 1925) exkommunizierte zunächst alle, die sich gegen die rechtmäßige Regierung erhoben, doch als ebendiese Vaterlandsverräter schließlich an die Macht kamen, musste er sich mit ihnen arrangieren und erklärte öffentlich, er sei „kein Feind der Sowjetmacht“. Der Metropolit und spätere Patriarch Sergij (Stragorodskij, + 1944) zögerte am 22. Juni 1941 keine Minute, allen orthodoxen Christen den Segen der Kirche zur Verteidigung des Vaterlandes zu erteilen – eines Vaterlandes, in dem zu diesem Zeitpunkt nach den grausamsten Verfolgungen der Menschheitsgeschichte noch etwa 100 Kirchen offen waren. Ziemlich verwirrend das Ganze!

Jedoch ist es vielleicht auch gar nicht die Aufgabe der Kirche, für alle erdenklichen Eventualitäten einen vorgefertigten Strategieplan in der Schublade zu haben. „Aufgabe“ der Kirche ist es vielmehr zu beten, dass sich in allem Gottes Wille erfüllen möge – auch wenn es uns das Leben kosten sollte! Gott, Der alle Geschicke der Welt in Seinen Händen hält weiß, warum Er dieses geschehen und jenes nicht geschehen lässt. Das, was Gott vor aller Zeit bestimmt hat, kann der Mensch ohnehin nicht mit Gewalt ändern. Es hat aber Fälle gegeben, dass durch das inbrünstige Gebet von Heiligen oder durch die aufrichtige Buße von Sündern Gott von Seinem längst gefassten Ratschluss zurücktrat bzw. bereit war, Seinen bereits gefällten Urteilsspruch rückgängig zu machen (s. Gen. 18: 20-33;  Ex. 32: 7-14;  Dtn. 9: 18-19;  3. Kön. 21: 17-29;  Jona 3: 1-10, 4: 11).  

Es gibt aber noch einen wichtigen Aspekt, warum Christen die bestehende irdische Ordnung immer respektieren sollen –  nämlich den, dass diese Gesetzestreue ein untrügliches Indiz darüber ist, ob jemand sich um seiner selbst willen zum Märtyrer stilisieren will oder ob er tatsächlich und ausschließlich Gottes Willen erfüllen will. Johannes der Täufer und alle Märtyrer waren loyale Staatsbürger. Ihnen ging es nicht um gesellschaftspolitische Belange. Offiziell wurden sie aber trotzdem nie wegen ihres Glaubens verurteilt, sondern wegen angeblicher Untreue gegenüber dem weltlichen Machtapparat. Auch die frühen christlichen Märtyrer, die sich geweigert hatten, ihrem Glauben abzuschwören und den Götzen Opfer darzubringen, wurden formal als Staatsfeinde verurteilt – so wie auch unser Herr Selbst (s. Joh. 19: 12). Ebenso sind die Neumärtyrer Russlands offiziell wegen „konterrevolutionärer Machenschaften“ oder „verfassungswidriger Umtriebe“ verurteilt worden, und sind deswegen „zu den Verbrechern gerechnet worden“ (Jes. 53: 12;  Mk. 15: 28;  Lk. 22: 37). Wenn uns jemand vernichten will, wird er immer nach einem äußeren Vorwand dafür suchen müssen, aber niemals öffentlich zugeben können, dass sein wahres Motiv Hass gegen Christus und Seine Kirche ist. Man wird vielmehr immerfort bemüht sein, das Ganze vor dem eigenen Gewissen und der öffentlichen Meinung als gottgefälliges Werk darstellen zu wollen (s. Joh. 16: 2). Wir müssen uns also nicht selbst um die Lieferung eines Motivs zu unserer Anklage bemühen. Das werden unsere Hasser schon für uns besorgen. Und wenn Gott dies zulässt, dann nur um des Zeugnisses willen (s. Mt. 10: 18;  Mk. 13: 9;  Lk. 21: 13). Ist dies nicht ein Grund zur Freude für uns (s. Apg. 5: 40-43)?! Unsere einzige Sorge muss dann nur sein, bis zuletzt in der Wahrheit zu verbleiben – so wie Johannes der Täufer es sein ganzes Leben lang bis zu seinem Tode tat. Amen.

 

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch