Predigt zum 13. Herrentag nach Pfingsten (1. Kor. 16: 13-24; Mt. 21: 33-42) (30.08.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

beim ersten Lesen der Parabel von den bösen Winzern ist offensichtlich, dass unter diesen Verbrechern diejenigen zu verstehen sind, die zuerst die Propheten töten und später Gottes Sohn umbringen. Aber beim zweiten Hinsehen kann man erkennen, dass die primitive Habgier jener Mörder im übertragenen Sinne eine noch größere, über das menschliche Maß hinaus gehende perfide Schärfe besitzt: Die Feinde Christi meinten doch, ein prioritäres, gar exklusives Anrecht auf Gottes Erbe zu haben (s. Mt. 21: 38; vgl. Joh. 8: 30-47), und wähnten sich diesbezüglich in einer Art Monopolstellung. Also können wir auf der zweiten exegetischen Ebene in den bösen Winzern ebenso gut selbstgerechte Christen erkennen, die formal zu den Erben des Himmelreichs gehören, sich aber keinerlei spirituellem Transformationsprozess unterzogen haben. Sie haben den „alten Menschen“ nicht abgelegt und sind Sklaven der Sünde geblieben (s. Joh. 8: 34; Röm. 6: 6). Da sie die innere Erneuerung (s. Joh. 3: 3; Gal. 6: 15) schuldig bleiben, wollen sie das Erbe Gottes stattdessen „mit Gewalt“ an sich reißen: durch Hass gegenüber Andersdenkenden, Eifersucht gegenüber Gleichgesinnten, Auflehnung gegen die Oberen etc. 

In exakt einer Woche werden wir beim königlichen Hochzeitsmahl einem Mann begegnen, der kein Hochzeitsgewand anhat, und dennoch Einlass zur Hochzeitsgesellschaft begehrt (s. Mt. 22: 11-14). Obgleich eingeladen, erfüllt er die Auswahlkriterien nicht. So handelt einer, der zwar an der Uni immatrikuliert ist, aber keine Vorlesungen besucht und sich nicht auf die Prüfungen vorbereitet, sich dafür aber überall in den Kneipen und Cafés als Student gebärdet. Nach diesem Grundsatz verfahren auch religiös verblendete Menschen, die größtmöglichen Wert auf äußere Merkmale und ihr Renommee legen, aber nicht gegen ihre sündhaften Leidenschaften ankämpfen. Dieser Kampf aber bedingt die Zugangsberechtigung zu Gottes Gemeinschaft. Die dabei „eingesparte“ Energie kann sich bei besagten Menschen in Aggression wider deren Mitbrüder, später auch gegen die vom Herrn eingesetzten Diener, und danach gegen den Herrn Selbst richten, so dass sie abtrünnig werden und ihr Erbteil verlieren. Und das alles, obwohl sie ja Gottes Sohn erkannt hatten (s. nochmals Mt. 21: 38), Er aber nicht in ihr durch und durch menschengemachtes „Schema“ passte.

All das geschieht immer dann, wenn sich weltliche Zielsetzung mit religiösem Eifer vermischt. Dann will man Gott manchmal „vorschreiben“, wie Er zu sein hat. Dies entsteht überwiegend aus dem Verlangen, Gott zum eigenen Erfüllungsgehilfen zu machen: „Mach, dass mein Wille geschieht!“. Gott ist aber (wen wundert´s?!) ein freies Wesen. Und da der Mensch ebenfalls frei ist, neigt er leicht zum Missbrauch dieser gottgegebenen Gnade, verfällt aus Hochmut in Schismen und Häresien (griech. haereso = sich etwas aussuchen , auswählen), gerät unversehens in die Fänge von Sekten. Oder er bastelt sich seinen eigenen „Gott“, was natürlich der bequemste Weg ist (s. Mt. 7: 13; vgl. Lk. 13: 24), denn so kann er sich die Gebote Gottes nach Belieben zurechtbiegen. Er entsagt dadurch der Gemeinschaft der Heiligen, die voller Demut und Gehorsam nach Gottes Willen lebten und handelten, damit wir ihnen nacheifern (s. 1. Kor. 4: 16;  Phil. 3: 17). Solche verbohrten und in geistlich-dogmatischen Dingen unbelehrbare Menschen sind nur einem „Lehrer“ hörig...

Die wichtigste „Funktion“ von Heiligen besteht allgemein ja nicht in ihrer „Wirksamkeit“ bei diesen und jenen Sorgen und Nöten (es gibt inzwischen  regelrechte „Kataloge“, die einem die „Zuständigkeit“ diverser Heiliger für alle möglichen Krankheiten definieren), sondern in ihrer Vorbildfunktion bei der unbeirrten Erfüllung des göttlichen Willens. Daraus ergibt sich bei Heiligen die lebendige Erfahrung der Güte und Herrlichkeit des Herrn (s. Apg. 4: 20). Gehorsam kommt von „Hören“ und setzt immer die Freiwilligkeit voraus, darf also nicht mit Zwangsmaßnahmen und Abhängigkeiten verwechselt werden. Gott berief den Menschen zum freiwilligen Gehorsam, aus dem allein ein Nutzen für das Seelenheil erwächst. Pflichterfüllung in allen Ehren (s. Lk. 17: 7-10), aber Gott erwählte uns zur Sohnschaft, nicht zur Sklaverei. Doch wie bei Kindern bis zur Erlangung der Männerreife mit jährlich wachsender Freiheit auch kontinuierlich die Verantwortung zunimmt, so will auch Gott uns durch gewissenhafte Arbeit in Seinem Weinberg zu „mündigen“ Bürgern Seines Himmlischen Reiches erziehen. - Beispiel gefällig?

In Jordanville ruhten zur Kartoffelernte nachmittags alle sonstigen Arbeiten im Kloster. Mönche und Studenten gingen hinaus aufs Feld – allen voran der Vorsteher des Klosters und Rektor des Priesterseminars, der Erzbischof und spätere Metropolit Laurus (Skurla, + 2008). Einmal aber verspürte ich bei nasskalter Witterung plötzlich das fromme Verlangen, mit den drei dafür eingeteilten Brüdern (ein Priester und ein Duo am Lesepult) der Vesper in der warmen und trockenen Kirche beizuwohnen, während alle anderen draußen auf dem Acker froren. Zufrieden mit mir selbst und dem verrichteten Gebet ging ich bei Anbruch der Dunkelheit über den Klosterhof zurück in meine Zelle – und traf den bis zu den Knien mit Schlamm bedeckten Erzbischof vom Felde kommend. Als Vladyka mich sah – er wusste sofort Bescheid – lächelte er nur und sagte: „Na, Mischa, du bist wohl erkältet?!“ - worauf ich mich anschickte, dies durch eine ungelenke Handbewegung in Richtung Hals und ein gekünsteltes Räuspern zu bejahen. Sekunden später wäre ich am liebsten in den Erdboden versunken... Aber auch nicht eine Silbe des Tadelns, kein anklagender Blick!!! Diese Lektion blieb für das ganze Leben. … Kartoffeläcker und Weinberge haben doch Vieles gemeinsam. Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch