Predigt zum Herrentag vom Blindgeborenen (Apg. 16: 16-34; Joh: 9: 1-38) (17.05.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

auch am sechsten und letzten Sonntag des Nachfestes von Ostern wird uns die individuell ausgerichtete Vorgehensweise des Herrn zur Errettung von uns Sündern beschäftigen. Der Blindgeborene, von dem der heutige Evangeliumstext handelt, erduldet, anders als zuvor der Gelähmte (s. Joh. 5: 14), nach dem Bekunden des Herrn keine Strafe für eigene oder elterliche Vergehen, „sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden“ (Joh. 9: 3). Das bedeutet zugleich, dass eine unverschuldete Krankheit oder Behinderung aus Gottes Perspektive einer Erwählung entspricht. So lebte im zwanzigsten Jahrhundert in Moskau eine Frau namens Matrona (Nikonova, + 1952), die seit frühester Kindheit sowohl blind als auch gelähmt war. Anstatt voll Verzagtheit zu lamentieren („Warum gerade ich?!“), nahm sie das ihr von Gott bestimmte Schicksal an, so dass aus ihrem Inneren „Ströme von lebendigen Wasser“ (Joh. 7: 38) flossen. Nicht nur, das sie selbst „selig“ genannt wurde (s. Lk. 6: 20-23), sie half auch in Zeiten schwerster Prüfungen Tausenden von verzweifelten Menschen durch den Glauben an Christus Halt im Leben zu finden.

Auch für die Seele unseres Gelähmten war die langjährige Krankheit heilsam, aber das unverhoffte Geschenk der Heilung vergalt er dem Herrn trotz eindringlichster Warnung dadurch, dass er im vorauseilenden Gehorsam zu den Juden lief und Christus durch seine verräterische Aussage belastete (s. Joh. 5: 14-16). Völlig anders aber reagiert der sehend gewordene Blinde auf die ihm zuteil gewordene Heilung. Sein vorauseilender Gehorsam besteht darin, dass er bereit ist, an den Menschensohn zu glauben, ohne Ihn bewusst zu kennen (s. Joh. 9: 36). Trotzdem: „blinder“ Gehorsam sieht anders aus! Der vormals Blinde hatte den Menschensohn bereits zuvor unerkannterweise vor den Pharisäern bekannt und verteidigt, wofür er von diesen hinaus gestoßen wurde (s. Joh.9: 30-34). Er wurde zu einem würdigen und dankbaren Empfänger der unerschöpflichen Güte des Herrn, so dass mit seiner leiblichen Blindheit einhergehend auch die seelische geheilt werden konnte (s. Joh. 9: 38). 

Dieses Beispiel zeigt, dass im Glauben scheinbar Wankelmütige oder in äußeren Formen der Frömmigkeit offensichtlich Ungeübte oftmals dann, wenn es darauf ankommt, den Glauben durch Taten bezeugen, während vermeintlich Gefestigte und Geübte in der Stunde der Prüfung vom Glauben abfallen können. Also ist kein Gläubiger schon gerettet und kein Ungläubiger bereits verloren. Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch