Predigt zum Herrentag des Gedenkens an die Vertreibung Adams (Vergebungssonntag) (Röm. 13:11-14:4; Mt. 6:14-21) (02.11.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
am Vortag des Beginns der Großen Fastenzeit erinnert uns die Kirche an die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies als Folge des Sündenfalls: „Dann sprach Gott, der Herr: ´Seht, der Mensch ist geworden wie Wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt`. Gott, der Herr, schickte ihn aus dem Garten von Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er genommen war. Er vertreib den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Cherubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten“ (Gen. 3:22-24). Bei bedeutenden Entscheidungen des ewigen Ratschlusses der Heiligen Trinität sehen wir, dass Gott in der ersten Person Plural von Sich spricht (s. Gen. 3:22; vgl. 1:26). „Seht, der Mensch ist geworden wie Wir“ ist vom Standpunkt der Logik aus betrachtet ein eindeutiger Hinweis auf (mindestens) drei göttliche Hypostasen. Aber ironisiert Gott etwa, wenn Er sagt, der Mensch sei jetzt gottgleich und habe die Erkenntnis von Gut und Böse erlangt?! - Es ist der Ausdruck des tiefsten Bedauerns Gottes über die eigenwillige Loslösung des Menschen vom göttlichen Willen, wobei es aber faktisch zutrifft: der Mensch hatte vorher die Erfahrung vom Guten, während er das Böse nur abstrakt kannte. Jetzt aber, nach dem Treuebruch gegenüber Gott, kennt er das Böse aus Erfahrung, während das Gute für ihn lediglich in sehnsuchtsvoller Erinnerung bleibt. Nun war das eingetreten, wovor Gott den Menschen gewarnt hatte: der Mensch war dem Tod anheimgefallen, d.h. er verlor seine Unsterblichkeit (s. Gen. 2:17). Gott ließ dies jedoch aus Liebe zum Menschen zu. Hätte den Menschen, nachdem sie von der verbotenen Frucht gekostet hatten, der Zugang zum Baum des Lebens weiter offengestanden, wäre zugleich auch der Zustand der Entfremdung von Gott und der Menschen voneinander (s. Gen. 3:7) unendlich für sie geworden. Die Leiden der Menschen (s. Gen. 3:16-19) hätten dann kein Ende gehabt. So aber setzte Gott dem Leid ein Ende – durch den Tod.
Der Erlöser Jesus Christus hat aber den Tod durch Seinen Tod besiegt und allen Menschen das Tor zum Paradies wieder geöffnet. Aber dieser Weg zurück in die harmonische Gemeinschaft mit Gott ist kein leichter (s. Mt. 7:14; Lk. 13:24). Es führt keine Rolltreppe zurück in den Himmel, wo unsere Heimat ist (s. Phil. 3:20). Für diesen beschwerlichen Weg bedarf es unserer bewussten Entscheidung, zahlreichen Widerständen und Prüfungen trotzen zu wollen und sich durch nichts vom Weg des Heils abbringen zu lassen. Ein Übungsmodell für diese Entschlossenheit stellt die Große Fastenzeit dar. Sie projiziert auf irdischer Ebene unseren Weg zurück in das verlorene Paradies der Gemeinschaft mit Gott. Und es gibt keinen anderen Weg als den der reuevollen Umkehr. Ohne ein authentisches Umgeisten ist es bloß eine folkloristische Pflichtübung, eine Diät mit religiösem Anstrich, jedoch bar jeglicher geistlicher Komponente. Die Versöhnung mit Gott (s. 2 Kor. 5:20) ist nur auf kirchlichem Weg möglich. Nur so beweisen wir unsere Liebe zu Gott, Dem wir außer unserem Herzen ja nichts anzubieten haben. Rituelle Reinwaschungen, also religiöse Handlungen, welche uns ipso facto vor Gott rechtfertigen sollen, sind dem spirituellen Selbstverständnis der orthodoxen Kirche ebenso zuwider wie eine rein emotionale Gott-Bezogenheit („Christus liebt uns alle, lasst uns daher in die Hände klatschen – halleluja!“). Wer aber ernsthaft seine Verfehlungen gegenüber Gott in sich ausfindig macht, sie bedauert und Gott aufrichtig um Verzeihung bittet, dessen Gebet kann von Gott nicht abgewiesen werden. Aber was bedeutet es, Gott um Vergebung zu bitten?! „Tut mir leid, war nicht so gemeint!“, oder was? Man kann als Christ gewiss so anständig leben, dass man seinen Mitmenschen bewusst keinen Schaden zufügt und womöglich sogar bei jedermann beliebt ist, d.h. einen nahezu makellosen Lebenswandel führen. Doch wer sich auf dieser Grundlage einbildet, dass er etwas vor Gott darstellt, befindet sich im Zustand der dämonischen Täuschung (slaw. прелесть). So ein Mensch kann durch Charme, natürliche Ausstrahlung und pseudo-spirituelle „Aura“ vielleicht Menschenmassen in seinen Bann ziehen, womit er jedoch noch nichts Nützliches für das Seelenheil vollbracht hat – weder für das eigene, noch für das der anderen (s. Mt. 16:26; Mk. 8:36; Lk. 9:25). Das alles sind bloß unnütze Surrogate für das wahre Leben in Christus, das sich im Inneren des Menschen abspielt (s. Lk. 17:21; vgl. Gal. 2:20). Der Christ muss erst bei sich selbst im Inneren aufräumen – und gar nicht daran denken, Außenstehenden den Weg des Heils weisen zu wollen. Deswegen will der Herr nicht, dass wir uns nach außen hin als Fastende zu erkennen geben, womit wir nicht besser wären als die Heuchler (s. Mt. 6:16). Sich Asche auf das Haupt schütten ist ein Zeichen der Trauer und der Zerknirschung, wer aber wirklich vor Gott seine Sünden bereut und Ihn flehentlich um Vergebung bittet, darüber hinaus auch den Vorsatz hat, sich nach Kräften zu bessern, der erlangt schon sehr früh den Zustand der Freude ob der alles verzeihenden Milde Gottes. Wir wollen doch wie der Zöllner sein – nicht wie der Pharisäer, und wie der verlorene Sohn – nicht wie sein älterer Bruder. Was für ein Glück es doch ist, sich seiner vollkommenen Unwürdigkeit vor Gott gewahr zu sein – und zu wissen, nein, lebhaft zu erfahren, dass Gott dich nicht verstoßen hat, sondern geduldig auf deine Umkehr gewartet hat. Doch dann lasst uns alle umkehren, nachdem wir unsere Verfehlungen entdeckt haben, bevor sie dann am jüngsten Tag aufgedeckt werden! Die Fastenzeit ist somit die beste Vorbereitung auf das Ende. Abend.