Predigt zum Herrentag vom Zöllner und vom Pharisäer (2 Tim. 3:10-15; Lk. 18:10-14) (09.02.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
„zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten“ (Lk. 18:10). – Praktisch jeder kennt die Erzählung vom Zöllner und vom Pharisäer, die uns auf den Weg zu Gott bringen soll. Jeder von uns muss hier gnadenlos ehrlich mit sich sein, um zu erkennen, was bei ihm als frommen Christen „pharisäisch“ und was „zöllnerisch“ ist. Es gibt wohl kaum einen Menschen, der von sich sagen kann, dass er vollkommen frei wäre von der Untugend des tugendhaften Pharisäers. Wir alle sind doch in dem einen oder anderen Maße darauf bedacht, was die Menschen von uns denken, und erst dann denken wir vielleicht darüber nach, was Gottes Wille in Bezug auf unser Tun ist (vgl. Eph. 5:10,17). Zudem freuen wir uns, wenn wir gelobt werden, tun aber oft so bescheiden, also ob es uns gar nicht darum ginge; wir zeigen äußerliche Demut wenn wir gerügt werden, ertragen es innerlich aber ganz und gar nicht, sagen nur das, was die Leute von uns hören wollen usw. Sind wir dadurch schon derart von Scheinheiligkeit verblendet wie der fiktive Pharisäer aus dem Gleichnis? Ich denke, nein, obschon wir immer weiter an uns arbeiten und immer tiefer in unserem Herzen graben müssen – ein Leben lang. Dabei geht es nicht um das Ablegen eines ausgeprägten bigotten Verhaltens, sondern um die notwendige Ausrichtung unseres Verstandes und unseres Willens. Wir begehen nämlich oftmals den Fehler, uns auf die äußeren Formen der Frömmigkeit zu konzentrieren und vernachlässigen dabei ungewollt das, worauf es letztlich wirklich ankommt – die Demut vor Gott. So aber werden wir trotz guter Vorsätze ungewollt zum „Pharisäer“. Gott will, dass wir Ihm unser Herz öffnen (s. Spr. 23:26). Es scheint nichts einfacheres zu geben als das: von Herzen zu beten! Aber die scheinbar einfachste Sache der Welt erweist sich dann sehr schnell als schwierigste Sache der Welt. Jeder kennt das aus seiner persönlichen Erfahrung. Und wir wissen, wem wir das „zu verdanken“ haben. Und doch sage ich jedem, der vielleicht der Verzweiflung nahe ist, weil er seine guten Vorsätze nicht umsetzen kann, dass wir nicht verzagen sollen. All das findet statt, damit wir eben mehr dem Zöllner als dem Pharisäer ähneln. Wir streben die äußere (subjektive) Perfektion des Pharisäers an und eignen uns stattdessen die (objektive) Demut des Zöllners an. „Opfer ist Gott ein zerschlagener Geist, ein zerschlagenes und demütiges Herz wird Gott nicht verachten“ (Ps. 50:19). Die heiligen Väter empfehlen sogar, wenn wir mal in einem Zustand der spürbaren Gnade sind, in diesem von sich aus nicht allzu lange verweilen zu wollen und lieber nach einiger Zeit auf Rührung und Freudenzustände zu „verzichten“. Generell gilt ohnehin, dass wir Normalsterbliche nicht in einem permanenten geistlichen Hochzustand verweilen können, so wie das ganze Jahr über nicht Ostern sein kann. Würde dieser Zustand stets anhalten, würden wir die wahre innere Demut verlieren und wie gewisse „Mystiker“ uns selbst und der Außenwelt vormachen, dass wir die Bescheidenheit in Person sind. Und es ist klar, wer dahintersteckt. Also hilft uns Gott dabei, wenn Er uns nicht hilft, d.h. dem Widersacher gestattet, uns zu behindern. Letzterer selbst ist, ohne es zu ahnen, ein Werkzeug zu unserer Errettung in Gottes Händen (s. Röm. 8:28; Eph. 1:11; vgl. Gen. 50:20).
Bleiben wir aber bei unserem Unterfangen, den Taten des Pharisäers zu folgen und uns die Geisteshaltung des Zöllners anzueignen. Der völlig verkehrte Schluss wäre nämlich zu sagen (um sein Fernbleiben vom Gottesdienst und seine Absage an Christi Nachfolge zu rechtfertigen): „Ach, die Kirchgänger sind ja alles Heuchler! Da geh ich nicht hin.“ Wie wir anfangs darzulegen bemüht waren, gibt es bei uns in der Heilanstalt für die Seelen gewiss menschliche Schwächen und Unvollkommenheit selbst in den höchsten Rängen der Hierarchie. Wir gehen aber offensiv damit um, besonders in der Vorbereitungszeit zur Großen Fastenzeit. Doch zu behaupten, bei uns unterläge alles dem Hang zum Pharisäertum, wäre maßlos und boshaft übertrieben. Bei uns gibt es die wahre Ausrichtung der Herzen vor Gott, wenn auch mit menschlicher Unzulänglichkeit. Die Welt „außerhalb“ hingegen – Politik, Werbeindustrie, Medienwelt etc. - ist geradezu zersetzt von Vortäuschung nicht vorhandener Tatsachen. Die entsprechenden Personen sagen uns ständig in politischen Reden und in Werbeslogans, dass es ihnen nur um das Wohl der Bürger bzw. der Kunden geht, und nach tausendfacher Beteuerung beginnen die Menschen irgendwann daran tatsächlich zu glauben. Nicht so in der Kirche Christi. Hier wird man nicht durch verführerische Propaganda berieselt. Hier wird einem reiner Wein eingeschenkt!: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach!“ (Mt. 16:24; Mk. 34; Lk. 9:23; vgl. Mt. 7:13-14; Lk. 13:22-30 u.v.m.). Doch eines ist unverrückbar: das Heil ist ausschließlich in der Kirche Christi zu finden (s. Eph. 4:7-16). Somit ist die Parabel vom Zöllner und vom Pharisäer keine Empfehlung zum Verzicht auf den Gottesdienstbesuch – im Gegenteil! Es geht nicht ums Ob, sondern um das Wie (s. Eph. 5:15), „denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk. 18:14).
Für mich gibt es am Ende aber noch ein Argument, das die größte Motivation für ein Leben in der Kirche darstellt. Erinnern wir uns daran, wie der Herr auf all die, welche sich um Ihn herum versammelt hatten, zeigte und sprach: „Das hier sind Meine Mutter und Meine Brüder. Denn wer den Willen Meines Himmlischen Vaters erfüllt, der ist für Mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt. 12:49b-50; vgl. Mk. 3:33-35; Lk. 8:21). Wozu brauche ich Reichtum, Ruhm, Macht etc.?! Es gibt doch nichts Größeres als von unserem Herrn zu Dessen Verwandtschaft zugezählt zu werden. Und dazu ist die Kirche da. Amen.