Predigt zum Herrentag nach Theophanie (Eph. 4:7-13; Mt. 4:12-17) (26.01.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
am Herrentag nach Theophanie wird uns eine kurze Lesung aus dem Evangelium angeboten. Sie handelt davon, dass unser Herr nach der Taufe im Jordan wieder nach Galiläa zurückkehrt. Er verlässt jedoch Nazareth und siedelt Sich in Kafarnaum am Ufer des Sees Genezareth (des „Galiläischen Meeres“) an (s. Mt. 4:13). Von jetzt an wird Er vornehmlich in Galiläa zur Umkehr aufrufen und das Königtum Gottes verkünden (s. 4:17). Mit dem Evangelisten Matthäus erkennen wir darin die Erfüllung der Prophezeiung Jesajas: „Das Land Sebulon und das Land Naftali, die Straße am Meer, das Gebiet jenseits des Jordan, das heidnische Galiläa: das Volk, das im Dunkel lebte, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen“ (Mt. 4:15-16; vgl. Jes. 8:23-9:1).
Galiläa war schon zu Zeiten des Propheten Jesajas heidnisch. Nach der Spaltung des Königreichs in Nordteil und Südteil unter König Rehabeam (926 v. Chr.), dem Sohn Salomos (s. 3/1 Kön. 12:1-19), blieb das Heiligtum in Judäa, im kleineren Teil des auseinandergefallenen Reiches. Im Nordreich Israel, wo auch Galiläa liegt, entstand eine polytheistische und synkretistische Ersatzreligion. Zentrum des Kultes war zunächst Sichem, nach der Eroberung durch Assyrien (722 v. Chr.) war es Samaria. Die spätere Eroberung durch die Griechen (333 v. Chr.) und die darauffolgende Herrschaft der Römer (ab 63 v. Chr.) machten die verschiedenen Landesteile wieder zu jeweiligen Provinzen eines großen Imperiums. Die Juden schauten aber auch noch zu Zeiten Jesu despektierlich auf die Galiläer herab und vermieden jegliche Gemeinschaft mit den Samaritern.
Aber was hat das mit unserer Zeit, mit unserem Dasein zu tun?!.. Ganz einfach. Wenn wir an diesem Sonntag nach der Liturgie wieder die Schwelle unserer Kirche nach draußen überschreiten, begeben wir uns (im übertragenen Sinne) in das „heidnische Galiläa“. Wenn wir als Gläubige wieder nach Hause zu unseren getauften „Heiden“, die sich ein oder zweimal im Jahr bemühen zur Kirche zu kommen, um Weihwasser zu schöpfen bzw. ihre Osterspeisen segnen zu lassen, zurückkehren, dann werden wir wieder mit dem „Volk, das im Dunkel lebt“, konfrontiert. Denn der Herr will, dass durch uns Sein „helles Licht“ in diesem „Schattenreich des Todes“ erstrahlt (s. Mt. 5:16). Nicht mehr und nicht weniger.
Wir können unsere Angehörigen nicht mit Gewalt zur Kirche schleppen. Auch hat es wenig Sinn, ihnen ständig mit Kirche und Frömmigkeit in den Ohren zu liegen. Sie haben diese freudige Erfahrung der lebendigen Gemeinschaft mit Gott und anderen gläubigen Menschen in der Kirche noch nicht selbst gemacht, also ist es zwecklos, ihnen mit der Erinnerung an ihre „Pflichten“ auf die Nerven zu gehen. Geduld und Liebe sind gefragt – gegenüber dem treulosen Ehepartner, den undankbaren Kindern, die von der Kita an zur Respektlosigkeit gegenüber ihren Eltern (v)erzogen werden, gegenüber der gesamten „im Herzen glaubenden“ Mischpoke. Aber auch innerhalb unserer Kirchengemeinden ist der Bedarf an Selbstbeherrschung unverändert hoch. Warum wohl werden fast alle zum Kauf angebotenen Ikonen bei uns mit dem Label „Liebt einander! / Любите друг друга!“ versehen?! Weil es keinen besseren Ort auf der Welt gibt, sich im wichtigsten Gebot Christi zu üben. Darum! Oft machen wir OrthodoxInnen uns doch selbst zum Gespött. Frage: „Wer ist der größte Feind einer orthodoxen Frau?!“ Antwort: „Jede andere orthodoxe Frau“… Erst wenn wir es lernen, die gehässige Frau hinter dem Kerzentisch, die Kopftuch tragende bigotte Frau mit frommen Augenaufschlag im Chor, die Großmutter, welche ihren angestammten Platz neben dem Kerzenständer beim heiligen Nikolai mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt, zu lieben, dann finden wir den Frieden Christi in unseren Herzen. Darum beten wir bei jedem Gottesdienst in der Friedenslitanei. Und ich garantiere jedem, der dies vermöge der Gnade Gottes schafft, dass er dann trotz Hitze oder Kälte, Enge oder unverständlichen Lesungen bzw. Gesängen während der nicht sehr kurzen Gottesdienste bei uns die Freude verspüren wird, die z.B. die beiden Jünger in Emmaus empfanden, nachdem Sich der Herr ihnen im Brechen des Brotes zu erkennen gegeben hatte (s. Lk. 24:32). Und dann brauchen wir unseren nominell gläubigen Verwandten nicht erklären, warum sie gefälligst jeden Sonntag in die Kirche gehen sollen. Denn wenn wir selbst diese Freude in uns tragen, wird das unweigerlich auch auf unser familiäres oder soziales Umfeld ausstrahlen. Dabei dürfen wir uns aber nicht durch anfängliche widrige Umstände entmutigen lassen. Die vier Männer von Kafarnaum fanden einen Weg, wie sie trotz der undurchdringlichen Menschenmenge ihren gelähmten Freund unserem Herrn zu Füßen legen konnten. So hätten auch die jungen Menschen, welche sich zu Sowjetzeiten nicht in die Kirche trauten, weil rings herum Kordons des Komsomol sie daran hinderten, ihr Herz in die Hand nehmen können und sich einfach nur auf die Verfassung der UdSSR berufen können. Hätte der Herr ihren Mut und ihre Beharrlichkeit dann etwa nicht belohnt? Und was hätten die kommunistischen Fanatiker dagegen einwenden können? Aber wir wollen ja alle den komfortablen Weg in das Himmelreich gehen (vgl. Mt. 7:13-14; Lk. 13:24) und nirgendwo anecken. Das Königtum Gottes zum Nulltarif quasi. Warum muss es auch eine „Leiter“ (s. Gen. 28:12) sein, und keine himmlische Rolltreppe?!..
Gott hat uns Menschen – samt und sonders sowie an allen Orten und zu allen Zeiten – in die für jeden von uns ideale Position gebracht, um das ewige Leben zu gewinnen. Wir müssen nur die uns von Gott gegebenen Rahmenbedingungen mit ganzem Herzen annehmen – und schon sind wir die glücklichsten Menschen auf der Welt. Oder etwa nicht?! Amen.