Predigt zum Fest der Beschneidung des Herrn (Kol. 2:8-12; Lk. 2:20-21, 40-52) (14.01.2025)
Liebe Brüder und Schwestern,
wir begehen heute, acht Tage nach Weihnachten, das Fest der Beschneidung des Herrn. Manch einer wird sich fragen, warum dieses scheinbar unbedeutende Ereignis in der orthodoxen Kirche mit einem Fest der zweithöchsten Kategorie gewürdigt wird. Die Beschneidung als verbindlichen rituellen Akt gibt es im Judentum, und auch die islamische Überlieferung (haddith) beruft sich an mehreren Stellen auf Mohammed, der selbst als Säugling beschnitten gewesen und später zu mehreren Anlässen die Beschneidung von Männern befürwortet haben soll. Das Christentum jedoch lehnt die Beschneidung im Neuen Testament, welches den Alten Bund abgelöst hat (s. Gen. 17:11-13), kategorisch ab (s. Gal. 5:1-6). Warum also dann die kirchliche Feier der Beschneidung wenige Tage nach der Geburt und wenige Tage vor dem Hochfest der Taufe des Herrn?..
Die heiligen Väter lehren uns, dass Christus in diese Welt gekommen ist, nicht um zu leben, sondern um Sein Leben für uns alle hinzugeben (s. Mt. 20:28; Mk. 10:45; vgl. Lk. 22:28). Auf der Ikone der Geburt Christi wird durch die Umrandung der Höhle bereits das Grab angedeutet, die Windeln weisen auf die Grabtücher hin und die Finsternis im Hintergrund in der Grotte symbolisiert den Hades, in den der Erretter der Welt mit Seiner Seele herabsteigen wird, um die dort Festgehaltenen durch Seine Auferstehung zu befreien. Und das ist der Punkt, an dem sich unser Glauben von den anderen „abrahamitischen“ Religionen unterscheidet: Wenn in der Vorstellung des Judentums und des Islam Gott selbstverständlich (und zurecht) als groß, allmächtig, herrlich, erhaben etc. angesehen wird, so feiern wir in der Menschwerdung Christi darüber hinaus etwas, wovon nur der christliche Glaube kündet, – nämlich, dass Gott Sich im Fleisch erniedrigt und Knechtsgestalt annimmt, für uns schrecklich leidet, qualvoll stirbt und mit der Seele in den tiefsten Abgrund der Gottverlassenheit herabsteigt. Es ist der Gott, Der unendlich liebt, unendliche Opferbereitschaft zeigt, unendlich demütig ist, ein Gott, Der Sich für nichts zu schade ist, um uns, Seine Sklaven, zu erretten! Und so demütigt Sich der Gesetzgeber heute Selbst, beugt Sich dem Gesetz, lässt Sich am achten Tage nach der Geburt beschneiden (vgl. Gen. 17:11-13); schon als Säugling empfindet Er Schmerzen und vergießt Sein göttliches Blut. So einen Gott konnten sich Menschen nicht ausgedacht haben! Schon als Kind ist Er somit für die einen „ein empörendes Ärgernis“ und für die anderen „eine Torheit“ (vgl. 1 Kor. 1:23).
Es ist aber nicht eine bloße „Demonstration“ der unendlichen Güte des Herrn, denn das alles geschieht zu unserem Heil und wir unsererseits sind nicht bloß kontemplative Empfänger dieser Gnade, sondern aktive Teilhaber – so zumindest unsere Berufung. Von Anfang an ist der Mensch, der im Abbild Gottes erschaffen worden ist, dazu aufgerufen, Gott ähnlich zu werden (s. Gen. 1:26). Das ist die Bestimmung von uns allen gemäß den heiligen Vätern (hll. Athanasios der Große, Basilios der Große, Johannes von Damaskus u.v.a.). Nur, mag sich jemand zurecht fragen, wie kann ich als Mensch aus Fleisch und Blut Gott ähnlich werden – dem Gott, Der unendlich größer als das Weltall, unendlich älter als die Äonen und in Seinem transzendenten Wesen unendlich wahrhaftiger ist als jegliches Sein?! Einem Gott, Der Zeit, Raum und Materie geschaffen hat und folglich auf unendliche Weise über allen diesen Dingen steht?!..
Nein, solch einem Gott kann kein Mensch ähnlich werden oder Ihn nachahmen. Oder vielleicht doch? Was nämlich, wenn dieser Gott, Den der Weltraum nicht fassen kann, in einer winzigen Höhle in Bethlehem Platz findet; wenn dieser Gott, Der vor aller Zeit war, in diese zeitliche Welt als absoluter Mittelpunkt ihrer Geschichte eintritt und in ihr bleibt (s. Mt. 28:20); oder wenn dieser Gott, Der allein vollkommener Geist ist (s. Joh. 4:24), im Schoße der allerreinsten Jungfrau menschliche Gestalt annimmt – und wenn dieser Gott uns dann ein Vorbild an unendlicher Liebe, unvorstellbarer Demut und unaussprechlicher Selbstaufopferung zeigt, – JA, solch einem Gott können wir nacheifern. Auch wenn Er in all diesen Dingen unerreichbar selbst für die Engelscharen ist, so können wir doch aus eigenem Bemühen etwas tun, um wenigstens wie ein Spielzeug-Globus von der Größe eines Tennisballs dem Erdball ähnlich zu sein. Aber nicht nur das. Kraft der Gnade des Heiligen Geistes können wir an den Mysterien der Kirche teilnehmen und uns tatsächlich mit diesem Gott in Fleisch und Blut vereinen und realiter der Gnade nach Gott ähnlich werden. Als Mitglieder der Kirche Christi haben wir doch alle „den Geist Christi“ (1 Kor. 2:16), denn Christus ist vollkommen „Gottes Ebenbild“ (2 Kor. 4:4). Und da dem so ist und Er „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol. 1:15) in Sich trägt, können auch wir untereinander so gestimmt sein, „wie es dem Leben in Christus entspricht“ (Phil. 2:5). Das ist die Bestimmung des Neuen Bundes, den Christus in Seinem Blute gegründet hat (s. Mt. 26:28; Lk. 22:20). Doch bevor der Urheber des Alten Bundes (s. Joh. 8:58) den Neuen Bund gründen kann, muss Er den Alten Bund erfüllen. Und so unterwirft Er Sich der menschlichen Natur nach dem göttlichen Gesetz und erduldet die Beschneidung, durch die wir, die wir aus dem Heidentum stammen (s. 1 Kor. 12:2), symbolisch zu Angehörigen von Gottes Volk werden, in dem nach Gottes ewigem und unergründlichen Ratschluss „alle Völker der Erde sich segnen“ (Gen. 26:4). Und so heißt es folgerichtig: „Selig das Volk, dessen Gott der Herr ist, das Volk, des Er Sich zum Erbe erwählt“ (Ps. 32:12). Amen.