Predigt zum 26. Herrentag nach Pfingsten (Eph. 5:8-19; Lk. 17:12-19) (22.12.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
wieder einmal wenden wir uns der Heilung der zehn Aussätzigen in einem galiläischen Dorf zu. Unser Herr Jesus Christus wird bei Seiner Ankunft von den zehn Männern aus der Ferne um Erbarmen angefleht. Er befiehlt ihnen, zu den Priestern zu gehen, was diese umgehend befolgen (obwohl sie das nach dem Gesetz nicht durften - s. Lev. 13:45-46). Unterwegs werden alle zehn von ihrer Krankheit geheilt, doch nur einer von ihnen – ein Samariter – erachtet es als notwendig, zurückzukehren und dem Herrn für Dessen Wohltat zu danken. Zu diesem Mann spricht der Herr die Worte, die wir auch von anderen Stellen kennen: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen!“ (Lk. 17:19).
Uns allen dürfte hinlänglich bekannt sein, dass uns diese Begebenheit lehrt, uns Gott gegenüber immer dankbar zu erweisen (vgl. Eph. 5:20; 1 Thess. 5:18). Ferner ist die Aufforderung, sich den Priestern zu zeigen (s. Lk. 17:14; vgl. Lev. 13:49; 14:2-32) eine allegorische Andeutung unserer sakramentalen Beichte, durch die wir vom Aussatz unserer Seele gereinigt werden. Die Männer befolgen die Anweisung des Herrn vorbehaltlos, also wohl im Vertrauen darauf, „dass Jesus schon wissen wird, was er tut“. Und tatsächlich werden sie geheilt, was als Einziges dem Gang zu den Priestern auch Sinn verleiht.
Doch es lassen sich auch andere Aspekte aus dieser recht kurzen Erzählung, über die wir übrigens nur beim Evangelisten Lukas lesen, ableiten.
Der Herr macht gegenüber dem dankbaren Samariter deutlich, dass es Ihm auch hier im eigentlichen Sinne um den Glauben geht. Die anderen neun Geheilten hatten ja auch den Glauben an die Macht Christi, von Dem sie wohl schon viel gehört hatten, sahen aber keine Notwendigkeit, ihrem Wohltäter zu danken...
Auch wir kennen sehr viele getaufte Menschen, die von sich behaupten, sie glaubten an Gott, und dass dies für sie (also für ihr Seelenheil) schon ausreichend sei. Ihnen sollte die Hervorhebung des Glaubens beim Samariter gegenüber den undankbaren neun anderen Männern als Warnung dienen. Warum? Versuchen wir das anhand eines ausgedachten und sehr phantasievollen Gedankenspiels zu illustrieren: Stellen Sie sich vor, Sie alle sind todkrank oder befinden sich in sehr großer Gefahr. Nun komme ich und heile bzw. rette sie alle, und zwar unter Einsatz meines Lebens und unter Aufbietung all meiner Kräfte und meines ganzen Vermögens. Dafür, dass ich alles, aber auch alles für Ihr Wohl aufgewendet habe erwarte ich keine Gegenleistung. Ich habe es nur aus Liebe zu Ihnen allen getan und bereue die von mir erlittenen Verluste nicht. Sie sind mir also nichts schuldig. Im Gegenteil, anstatt einen Dankesbeweis Ihrerseits zu erwarten, lade ich sie jede Woche zu mir in mein Haus zu einem Festmahl ein, weil mich Ihre Gesellschaft erfreut und ich mich durch Ihren Besuch geehrt fühle. Nun frage ich aber: Würde irgendeiner von Ihnen meine Einladung (ohne nachvollziehbaren Grund) abschlagen (vgl. Mt. 22:1-10; Lk. 14:15-24)?! So wie ich Sie kenne, wohl kaum. Natürlich würden Sie sich eingedenk meiner selbstlosen und aufopferungsbereiten Liebe gerne unter mein Dach begeben, d.h. sich wahrscheinlich nicht bloß aus Pflichtgefühl der Gemeinschaft mit mir und mit allen anderen Tafelgästen erfreuen. So würden wohl auch die meisten anständigen Menschen handeln, zu denen ich ganz bewusst die überwiegende Mehrheit der nicht-praktizierenden Getauften zähle, die sich selbst als „gläubig“ bezeichnen. Natürlich sind sie keine Heuchler, die bloß vorgeben, an Gott zu glauben, es aber in Wahrheit bewusst nicht tun. Nein. Ich weiß, dass sie abstrakt „an etwas Höheres“ glauben. Auch habe ich keinen Zweifel daran, dass diese Menschen auf ihre Weise durchaus bemüht sind, moralisch zu leben, was aber wegen der subjektiven Beliebigkeit ihres Moral-Kodexes wenig wert hat (man ist sich selbst Anwalt und Richter zugleich; ein „Ankläger“ ist hier gar nicht vorgesehen, was sich aber am Ende vor dem Richter fatal auswirken wird – s. Mt. 5:25-26; Lk. 12:58-59).
Glaube ist nicht gleich Glaube. Wir sehen das anhand des Beispiels von den zehn Aussätzigen: alle hatten den Glauben, aber nur einem, dem einzig Dankbaren, hat der Glaube letztlich auch geholfen. Den anderen neun war er in Bezug auf das Seelenheil nicht förderlich. Und bezogen auf unsere daheimgebliebenen „Gläubigen“ bedeutet dies, dass diese zwar an die Existenz eines höheren Wesens glauben, für sie aber Jesus Christus de facto keine ernstzunehmende Kategorie darstellt (vgl. Joh. 10:9; 14:6,15; 15:5). Würden sie nämlich ernsthaft glauben (= sich darüber bewusst gewahr werden), was der Herr Jesus Christus für uns getan hat, könnten sie gar nicht anders als Ihm bei jeder Gelegenheit zu danken und sich unentwegt in Seiner Schuld wissen. Da ihnen dieses Bewusstsein aber völlig abgeht, kommen sie vielleicht ab und zu zur Kirche, um ihre Osterspeisen segnen zu lassen oder literweise Weihwasser zu schöpfen, und bilden sich dabei ein, Gott damit einen Gefallen zu erweisen. Die fehlende Dankbarkeit gegenüber unserem Erlöser und Wohltäter ist somit das untrügliche Kriterium ihres faktischen Unglaubens, auch wenn sie sich in ihrem trügerischen Sicherheitsgefühl auf der sicheren Seite wähnen. Auf ihre Unwissenheit können sie sich jedoch in Zeiten, da die Heilige Schrift, anders als noch zu Sowjet-Zeiten, jedermann zugänglich ist, nicht mehr berufen. Zum Abschluss daher eine kurze Anleihe aus dem Strafrecht: Nach §17 StGB handelt man ohne Schuld, wenn einem bei Begehen der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun, soweit dieser Irrtum vermeidbar gewesen ist (vgl. Lk. 12:47-48). Schon allein die Lektüre des Johannesevangeliums (s. Quellenhinweise weiter oben in diesem Absatz) könnte bei dieser selbstgewählten, weil allzu bequemen Unwissenheit für Abhilfe sorgen. Amen.