Predigt zum 25. Herrentag nach Pfingsten (Eph.. 4:1-6; Lk. 18:18-27) (15.12.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
vor einiger Zeit sah ich einen Clip des bekannten Comedians Volker Pispers, der manchmal wirklich sehr treffende satirische Kommentare zu diversen innen- und außenpolitischen Themen abliefert. Auf humoristische Art kam er auch auf das Christentum zu sprechen und brachte als Beispiel für die „exakte Erfüllung des Evangeliums“ die Worte des Herrn vor: „Verkauf alles, was du hast, verteil das Geld an die Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Lk. 18:22). Gelächter aus dem Publikum!..
Wo er recht hat, da hat er recht – könnte man spontan sagen. Wir Christen nehmen die Worte des Herrn wohl nicht allzu ernst. Aber hier müssen wir verdeutlichen, dass diese Aufforderung des Herrn ihrem Wortlaut nach a) an eine konkrete Person gerichtet sind und b) einen eindeutigen Empfehlungscharakter haben. Es handelt sich hierbei um ein Angebot an einen reichen Mann, der eine angesehene hohe Stellung in der säkularen Gesellschaft genießt, sich all dieses weltlichen Ballastes zu entledigen und nur noch himmlische Schätze in der Nachfolge Christi zu begehren. Diese Aufforderung des Herrn hat so also keinen explizit allgemeingültigen Charakter wie die kurz davor vom Herrn ebenfalls angeführten Gebote aus dem Gesetz (s. Lk. 18:20). Wäre dem so, wenn nämlich alle Vermögenden ihre sämtliche Habe an die Armen verschenken würden, hätten wir über Nacht eine unüberschaubare Menge an Neuarmen. Würde ich mein Haus in ein Obdachlosenasyl umwandeln – wo sollten dann meine Frau, meine Kinder und ich selbst hin?.. Eine buchstabengetreue Verabsolutierung der Worte Christi ergäbe also keinen Sinn. Aber für die, „welche es erfassen können“ (s. Mt. 19:11a) ist die Aufforderung des Herrn: „Folge Mir nach!“ (s. Mt. 9:9; 19:21; Mk. 2:14; 10:21; Lk. 5:27; 9:59; 18:22; Joh. 1:43; 21:19; 21:22) eine mehr als lohnende Alternative zum jeweiligen Zeitgeist. „Die, denen es gegeben ist“ (Mt. 19:11b) leben praktisch von da an bis heute als Mönche und Monialinnen in freiwilliger Armut in der Nachfolge Christi. Und dieses asketische Leben erfolgt ganz gewiss nicht um der Askese willen. Sie erwerben sich Schätze im Himmel.
Es ist überhaupt so eine Sache mit den Bibelzitaten, die einseitig und tendenziös aus dem Zusammenhang gerissen werden, um irgendwelche vermeintlichen Wahrheiten zu belegen. Wenn man will, kann man anhand von Bibelzitaten „zweifelsfrei belegen“, dass man bloß an Gott glauben muss, um gerettet zu werden (s. z.B. Joh. 6:47; Röm. 1:17), aber auch das genaue Gegenteil „einwandfrei beweisen“, dass nämlich ein Glaube ohne Werke tot ist (s. z.B. Jak. 2:18); man kann sich ebenso auf die Bibel berufen, indem man behauptet, dass man als Christ sündlos sei (s. z.B. 1 Joh. 3:9), um in der gleichen Epistel zu lesen, dass wir lögen, wenn wir behaupteten, dass wir keine Sünden begehen (s. z.B. 1 Joh. 1:8-10). Hier schafft der Evangelist selbst Klarheit darüber, indem er zwischen der „Sünde, die zum Tod führt“ und derjenigen, die „nicht zum Tod führt“ unterscheidet. (s. 1 Joh. 5:16). Einmal sagt der Herr: „Wer nicht für Mich ist, ist gegen Mich; wer nicht mit Mir sammelt, der zerstreut“ (Mt. 12:30; Lk. 11:23); und ein anderes Mal sagt Er: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ (Mk. 10:40; vgl. Lk. 9:50). Alles erklärt sich aus dem Zusammenhang des jeweils Gesagten. Im ersten Fall verteidigt Sich der Herr gegen gegen Seine Feinde, die Ihm vorwarfen, Er treibe Dämonen mit Hilfe von Beelzebul, dem Anführer der Dämonen, aus. Hier gibt es eindeutig nur entweder für Christus oder gegen Christus. Im anderen Falle ist die Rede von einem fremden Wundertäter, welcher im Namen Christi Dämonen austreibt. Er hat zwar noch nicht den Weg in die Gemeinschaft Christi und Seiner Jünger (= die Kirche) gefunden, aber er verfolgt ohne jeden Zweifel hehre Absichten. Sein lauteres Bemühen darf auch nicht von den Anhängern des Herrn untergraben werden. Aus dem Zusammenhang herausgerissen können sämtliche Schriften aber leicht fehlinterpretiert werden und ins Verderben führen (s. 2 Petr. 3:16).
Priestermönch Nil (Lazarenco) aus der Skite des heiligen Spyridon in Geilnau sieht die Möglichkeit der wahrheitsgetreuen Auslegung der Schrift nur im Verbund mit einem heiligmäßigen Leben. Er schreibt über die zeitgenössischen Theologen: „Wenn sie in die Fußstapfen der Apostel treten wollen, müssen sie auch deren Askese nachahmen. Es ist seltsam, aber diese einfache Schlussfolgerung ist aus dem Bewusstsein des modernen westlichen Christen verschwunden. In unseren Breiten kann man Doktor der Theologie werden, ohne nur einmal die Große Fastenzeit mit der Kirche durchzumachen, ohne nur eine fünfstündige Nachtwache im Stehen auszuhalten, beinahe ohne gebetet zu haben. Wie kann man das Paradox erklären, dass gerade zu einer Zeit, in der theologische Fachliteratur en masse produziert wird, hunderte von Tausenden nur in Deutschland allein jährlich aus den Kirchen austreten? Kann es sein, dass einer der Gründe für dieses Trauerspiel das Über-Bord-Werfen der Askese ist?“
Vater Nil fährt weiter fort: „Ein guter Historiker nach modernen Maßstäben ist jemand, der zu verstehen vermag, was der Text zwar verschweigt, aber doch auf eine Weise verrät. Diese Gedanken können für Orthodoxe in ihren Diskussionen mit Protestanten über das „Sola Scriptura“-Prinzip hilfreich sein. Wir können zugeben, dass die Heilige Schrift „genug“ ist. Die Orthodoxen Väter haben oft die Schrift als pleroma („die Fülle“) bezeichnet. Es geht nicht darum, etwas der Heiligen Schrift zur Seite zu stellen – wie etwa mündliche Überlieferungen und andere Schriften –, um sie zu vervollständigen. Die eigentliche Frage lautet: wie wird man zu einem verständigen Menschen, dem die Heilige Schrift allein genügt? Und die Antwort ist: man wird zu einem solchen Menschen in einem langen Prozess des Lebens in der Kirche. Je mehr sich jemand in die Heilige Schrift vertieft (am besten mit den Väter-Kommentaren zur Hand), je mehr er in der Kirche und zu Hause betet (besonders wichtig ist das „Jesus-Gebet“), je tiefer man die kirchlichen Mysterien (insbesondere die Heilige Kommunion) erlebt, je eifriger man eine umfassende, ausgewogene Askese betreibt, indem man gegen die Leidenschaften der Seele und des Leibes ankämpft, desto schneller und sicherer erreicht man die geistliche Reife, die allein die Schrift „genug“ zu machen vermag. Wer solches geistliches Verständnis erreicht hat, kann „allein aus der Schrift“ die ganze Erfahrung der Kirche herausziehen“ („Askese und Theologie“, 2024 Edition DOM).
Würde Christus heutzutage von einem gläubigen, aber der Welt nicht besonders abgeneigten Menschen bezüglich des Weges zur Erlangung des ewigen Lebens zur Rede gestellt werden, könnte das Gespräch in etwa so ablaufen:
X.Y.: Was ist notwendig für das Heil? Wie erlangt man Gerechtigkeit vor Gott?
J.C.: Durch das Halten der Gebote.
X.Y.: Welche Gebote?
J.C.: Aus der Heiligen Schrift. Es gibt da die Seligpreisungen (s. Mt. 5:3-12), eingebettet als Herzstück in die Bergpredigt (s. Mt. 5:1-7:29; vgl. Lk. 6:20-49); dann das dem Alten Testament entlehnte Doppelgebot von der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen (s. Mt. 22:37-39; Mk. 12:29-31; Lk. 10:27; vgl. Dtn. 6:5; Lev. 19:18). In Meiner Abschiedsrede vor Meinen Jüngern habe Ich dreimal dazu aufgerufen: „Liebt einander!“ (Joh. 13:34; 15:12,17). All das ist aber nur möglich und nur dann überhaupt sinnvoll, wenn du dich mit Mir und mit allen Gläubigen in Meinem Leib und in Meinem Blut vereinst, denn erst durch dieses Gebot (s. Mt. 26:26-27; Mk. 14:22; Lk. 22:19; 1 Kor. 11:24-25) nimmst du am ewigen Leben teil (s. Joh. 6:32-35,48-51,53-58).
X.Y.: Das kenne ich doch aus meiner Kindheit. Ist das etwa alles?
J.C.: Ich rede hier nicht von folkloristischem Befolgen irgendwelcher Bräuche, vergleichbar mit Karnevalsumzügen, dem Schmücken von Weihnachtsbäumen und dem Bemalen von Ostereiern. Wenn du es ernst meinst, dann entledige dich deiner weltlichen Denkweise und richte deinen Blick gen Himmel, auch wenn du dann dafür verspottet und angefeindet wirst. Zeige, dass du dein Kreuz auf dich zu nehmen sowie dich um Meiner Nachfolge willen selbst zu verleugnen bereit bist, d.h. kompromisslos den Weg zur Erlangung des himmlischen Königtums gehen willst (s. Mt. 16:24-28; Mk. 8:34-9:1; Lk. 9:23-27).
X.Y.: Äh… echt jetzt?!
J.C.: Willst du oder willst du nicht „schon in dieser Welt das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben“ (Lk. 18:30)?!
X.Y.: Ich muss mir das noch überlegen...
J.C.: Dann wird es zu spät sein, denn „keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Königtum Gottes“ (Lk. 9:62).
X.Y.: Entschuldige bitte, aber meine S-Bahn fährt in fünf Minuten...
Und doch gilt für uns Menschen das Prinzip Hoffnung: „Was für Menschen unmöglich ist, ist für Gott möglich“ (Lk. 18:27). Amen.